Über 200 staatliche Schulen in England haben in Toiletten-, Wasch- und Umkleideräumen Kameras zur Überwachung der Schülerinnen und Schüler installiert, wie aus einem vor Kurzem veröffentlichten Bericht zu den Überwachungsmaßnahmen hervorgeht.
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Diese Studie beruht auf Informationen, die die Gruppe Big Brother Watch(BBW), die sich gegen Überwachungen wendet, im Rahmen des Gesetzes zur Informationsfreiheit ausgehändigt bekam. Aus der Gruppe hieß es, man sei über die Ergebnisse entsetzt gewesen, weil das Ausmaß sehr viel höher sei, als man es sich vorgestellt hatte. »Für viele Eltern wird dieser Bericht ein Schock sein«, erklärte Nick Pickles, Vorsitzender von Big Brother Watch. »Die Schulen müssen offenlegen, warum sie die Kameras eingebaut haben und was mit den Aufzeichnungen geschieht.«

Insgesamt wurden 825 Kameras in Toiletten-, Wasch- und Umkleideräumen in 207 verschiedenen Schulen in ganz England, Schottland und Wales eingebaut, wie aus den Angaben von insgesamt mehr als 2.000 Schulen hervorgeht. Es ist nicht bekannt, wo die Kameras in den Toiletten-, Wasch- und Umkleideräumen jeweils installiert wurden, wer die Aufzeichnungen zu Gesicht bekommt, und ob Schülerinnen und Schüler auch beim Umziehen gefilmt wurden.

Videoaufzeichnungen in Toiletten- oder Umkleideräumen sind zwar legal, sollten aber nur aufgrund außerordentlicher Umstände vorgeschlagen werden, erklärte das Information Commissioner’s Office(ICO), eine unabhängige Behörde in Großbritannien, die unter anderem auch für den Schutz der Privatsphäre und den Datenschutz verantwortlich ist.

Weitere Recherchen ergaben, dass sich das Ausmaß des Einsatzes der Kameras in den einzelnen Schulen deutlich voneinander unterschied. »Einige Schulen setzen Kameras praktisch in einem Verhältnis von einer Kamera auf jeweils fünf Schüler ein«, heißt es in dem Bericht. »Offenbar wurden die Kameras als kurzfristige Lösung für weitaus komplexere Probleme und Themen, die sich aber nicht einfach durch passive Überwachungsmaßnahmen lösen lassen, angesehen.«

Sind Schulen in Großbritannien so unsicher, dass die Überwachung bis in die privatesten Bereiche hinein erfolgen muss?

Seit den 1990er Jahren hat das britische Innenministerium 78 Prozent seiner für Verbrechensverhütung vorgesehenen Haushaltsmittel für die Installation von Kameras aufgewandt, und auch die Schulen haben in ähnlicher Weise erhebliche Mittel in ihre eigene Überwachungsausrüstung gesteckt, wie derBBW-Bericht aufzeigt. Bisher liegen aber keine verlässlichen Untersuchungen darüber vor, ob diese Kameras die Verbrechensrate gesenkt haben.

BBW war bei seinen Recherchen zum Thema nur auf eine einzige Untersuchung des französischen Institut d’aménagement et d’urbanisme gestoßen, die zu dem Schluss kommt, dass die Zahl der Diebstähle und Einbrüche nach dem Einbau von Kameras in der Region Île-de-France sogar noch angestiegen war. Auch über einen geringfügigen Rückgang von leichteren Ordnungswidrigkeiten in Schulen wurde berichtet.

»Schockierende« Höhepunkte

Nach Schätzungen desBBW-Berichts überwachen in ganz England mehr als 100.000 Kameras Schüler, Studenten und Lehrer, wobei 90 Prozent der befragten Schulen den Einsatz von Videoüberwachung in unterschiedlichem Ausmaß einräumten.

Aus den Angaben von 2.107 weiterführenden Schulen geht hervor, dass sie insgesamt 47.806 Kameras benutzen, von denen mehr als die Hälfte im Inneren der Gebäude eingesetzt werden. Den Vogel schießt dabei die Radclyffe School in Oldham ab, die insgesamt 20 Kameras in Toiletten sowie Wasch- und Umkleideräumen installiert hat.

Sharon Holder vom Vorstand der Gewerkschaft GMB erklärte gegenüberNewsvine, ihre Gewerkschaft sei von den Ergebnissen der Befragung angeekelt: »Der Einbau von Kameras in Waschräumen verweist auf eine erschreckende schulpolitische Entwicklung und wirft zahlreiche Fragen auf. Wie viele Eltern haben den Schulleitern erlaubt, ihre Kinder zu filmen, wenn diese die Toilette aufsuchen oder duschen? Was geschieht später mit den Aufzeichnungen? Inwieweit wurde dieses Thema in den Verwaltungsgremien diskutiert und in welchem Maße wurden die Gemeinden und Ratsmitglieder an diesen Entwicklungen beteiligt? Welche Probleme versuchen die Schulen [damit] zu lösen?«
  • Insgesamt wurden 47.806 Kameras in 2.107 Schulen eingebaut.
  • 207 Schulen statteten Umkleideräume sowie Toiletten- und Waschräume mit insgesamt 825 Kameras aus.
  • 90 Prozent der Schulen setzten CCTV-Kameras ein (»Closed Circuit Television«, Videoüberwachung mit einem geschlossenen System) ein.
  • 54 britische Schulen setzen eine Kamera pro 15 Schüler ein.
  • In Gesamtschulen und akademischen Lehreinrichtungen in England, Schottland und Wales wurden insgesamt 106.710 CCTV-Kameras installiert.