Deutschland ist - natürlich - an allem schuld. Selbstverständlich auch an der großen Hungersnot in Griechenland im Zweiten Weltkrieg. Eine britische Historikerin widerspricht: Die deutschen Besatzungstruppen hätten die Nahrungskrise keinesfalls absichtlich gefördert. Der Hauptgrund für diese Tragödie, die Hunderttausende von Menschenleben forderte, war wohl eher die Seeblockade der Alliierten.

Winston Churchill
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Wenn es ein Thema gibt, zu dem unter den griechischen Parteien von den orthodoxen Kommunisten bis zu den Rechtsextremisten breiter Konsens besteht, dann ist es die Forderung nach Reparationen und anderen Ausgleichszahlungen durch Deutschland. Neu ist dieser Streit keineswegs, immerhin hat Athen unter anderem damit seine Aufnahme in die Euro-Zone durchgesetzt - trotz schon damals dramatisch klammer Kassen. In den vergangenen Wochen eskalierte dieser Streit wieder, vor allem, nachdem der neue Justizminister Nikos Paraskevopoulos dreist mit einer Beschlagnahme deutscher Immobilien im Ausland gedroht hatte.

Natürlich wissen die griechischen Politiker nur zu gut, wie sie ihren Forderungen besonders wirksam moralischen Nachdruck verleihen können. So seien die deutschen Besatzer im Zweiten Weltkrieg in Griechenland mit unmenschlicher Gewalt vorgegangen und trügen Verantwortung für die große Hungersnot im Herbst und Winter 1941/42.

Dass die Wehrmacht vom Widerstand der Griechen überrascht war und vermutlich deshalb mit brutaler Härte reagierte, ist weitgehend unbestritten. Doch die Verantwortung für die große Hungersnot in Griechenland trugen nach Ansicht der renommierten Historikerin Violetta Hionidou ganz andere. Und die saßen nicht in Berlin, sondern in London.

Für die dem Mainstream verhafteten Medien und Wissenschaftler scheint die Sache klar: Die Deutschen waren dafür verantwortlich, dass damals Hunderttausende von Griechen einen qualvollen Hungertod erlitten. »Die deutsche Ausplünderung des Landes war einer der wichtigsten Gründe für die epidemische Hungersnot«, gab zum Beispiel der Historiker Hagen Fleischer unlängst zu Protokoll.

Auch Ulf Brunnbauer vom Institut für Ost- und Südosteuropaforschung an der Universität Regensburg sieht in der deutschen Besatzung die Hauptursache für die griechische Hungersnot Anfang der 1940er Jahre. Und auf Wikipedia - wen wundert’s? - heißt es: »Sie (die Hungersnot) war die Folge einer auf maximale wirtschaftliche Ausbeutung ausgelegten Besatzungspolitik des nationalsozialistischen Deutschen Reichs während der Besatzung Griechenlands.«

»Nahrungsmittelkrise nicht gefördert«

Die bereits erwähnte Wissenschaftlerin Violetta Hionidou, Dozentin für Neuere europäische Geschichte an der Universität Newcastle, sieht die Dinge etwas differenzierter. In ihrem im Jahr 2006 bei Cambridge University Press erschienenen Buch Famine and Death in Occupied Greece, 1941-1944 kommt sie zu dem Ergebnis, dass die Besatzungstruppen die Nahrungskrise »zu keinem Zeitpunkt absichtlich gefördert« hätten.

Manches, was sich Anfang der 1940er Jahre in Griechenland zugetragen hat, erscheint bis heute in der Tat rätselhaft. Es begann damit, dass Mussolini am 28. Oktober 1940 von Athen die Einrichtung von italienischen Militärstützpunkten auf griechischem Boden forderte. Darauf soll der griechische Ministerpräsident Ioannis Metaxas mit nur einem Wort reagiert haben: »ochi«, also »nein«!

In Rom fasste daraufhin Mussolini, unterstützt von seinem Schwiegersohn und Außenminister Galeazzo Ciano, einen gefährlichen Entschluss mit blamablem Ausgang: Gegen den Rat ihres Oberbefehlshabers Marschall Pietro Badoglio drang die italienische Armee am 28. Oktober 1940 nach Griechenland ein. Doch die für einen Winterkrieg auf dem Balkan völlig unzulänglich ausgerüsteten Truppen Mussolinis wurden durch eine griechische Gegenoffensive auf albanisches Gebiet zurückgeworfen.

Metaxas, der seit Beginn des Zweiten Weltkriegs einen neutralen Kurs steuerte, galt trotz seiner vorsichtigen Beziehungen zu Großbritannien als deutschlandfreundlich. Im Januar 1941 starb Metaxas nach einem angeblichen Fehler seines britischen Arztes. Bis heute halten sich Gerüchte, der griechische Regierungschef sei von ausländischen Geheimdiensten ermordet worden, weil er angeblich eine Annäherung an Hitler gesucht habe.

Metaxas’ Nachfolger als Ministerpräsident wurde für kurze Zeit der bis dahin weitgehend unbekannte Alexandros Koryzis. Nach seiner Amtsübernahme bat der neue Regierungschef London um die Entsendung von Truppen, weil sich sein Land von Deutschland bedroht fühle. Tatsächlich landeten am 4. März 1941 britische Truppen auf dem griechischen Festland. Daraufhin überschritt am 6. April die deutsche Wehrmacht die Grenze zu Griechenland, dessen Divisionen sich am 23. April in Larisa ergaben. Das englische Expeditionskorps zog sich zum Mittelmeer und von dort aus nach Ägypten und Kreta zurück.

Seeblockade ließ Griechen hungern

Churchill in Athens
© Crown Copyright. IWM/Imperial War Museum Churchill geht von Bord der HMS Ajax um einer Konferenz an Land beizuwohnen. Athen ist im Hintergrund sichtbar.
Soweit die Vorgeschichte. Wie kam es dann aber zur großen Hungersnot, über die ganz unterschiedliche Versionen im Umlauf sind? Schon die Opferzahlen differieren gewaltig: Mindestens 100 000, behaupten die einen. Bis zu 600 000, sagen die anderen. Griechenland, dessen Landwirtschaft vor dem Zweiten Weltkrieg vor allem Rosinen und Tabak auf den Markt brachte, konnte seine Bevölkerung nicht ernähren und war auf den Import von jährlich bis zu 500 000 Tonnen Getreide aus Kanada, Australien und den USA angewiesen. Nach der Besetzung Griechenlands wurden vor allem durch Großbritannien die Lieferungen von Getreide nach Hellas unterbunden.

Die anerkannte Hilfsorganisation Oxfam (Oxford Committee for Famine Relief) erwähnt in ihrer Historie ausdrücklich, Mitte des Zweiten Weltkriegs habe die Organisation sich für eine Lockerung der alliierten Blockaden eingesetzt, um die Zivilbevölkerung mit lebensnotwendigen Hilfsgütern zu versorgen - vor allem in Griechenland und Belgien.

Auf Wikipedia (Stichwort »Oxfam«) wird das wiederum ein wenig anders dargestellt. Dort heißt es: »1942 wurde Oxfamin Großbritannien als Reaktion auf das Leid der Zivilbevölkerung im von Deutschland besetzten Griechenland gegründet.« Kein Wort davon, dass die große Hungersnot vor allem eine Folge der Seeblockade war, weil Churchill den Hunger als Waffe entdeckt hatte. Verschärft wurde die Situation durch Missernten in Griechenland ab 1941.

Die britische Pazifistin Vera Brittain (1893-1970) schrieb in ihrem Buch »One of these Little Ones«:»Unsere Regierung (gemeint ist die britische Regierung, d.A.) muss also die wahrscheinlichen Auswirkungen ihrer Blockade Europas vorausgesehen haben, und wir, die Wähler dieser Regierung, teilen die Verantwortung für diese Auswirkungen.«

Neben Churchill setzte vor allem dessen Minister Hugh Dalton auf die kompromisslose Aufrechterhaltung der Blockade. Sein Kalkül: Je größer der Hunger, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem Aufstand gegen die Besatzer kommen würde. Dass indessen ausgehungerte Menschen kaum noch in der Lage sind, aufzubegehren, wurde anscheinend nicht berücksichtigt.

Es gab Hilfsangebote aus der Türkei, aus Schweden und vom Roten Kreuz. Der Vatikan schaltete sich ein, doch Großbritannien blieb bei seiner harten Linie. Bis US-Präsident Roosevelt, der wegen der Hunger-Blockade in Europa allmählich selbst unter Druck geriet, offiziell in London um eine Stellungnahme bat, inwieweit Großbritannien für die Hungersnot verantwortlich sei. Daraufhin lockerte die britische Regierung im Februar 1942 die Blockade. Aber erst ein Dreivierteljahr später kam es zu regelmäßigen Hilfslieferungen unter der Schirmherrschaft des Roten Kreuzes.

Somit stellt sich also die Frage, wann Athen, der Logik historischer Abläufe folgend, von London Entschädigungen fordert.