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Griechenlands Premier Tsipras hat seinen Auftritt an einer Moskauer Elite-Uni für eine außenpolitische Grundsatzrede genutzt - und sich zu EU und Euro bekannt. Von den russischen Studenten gab es stürmischen Applaus.


Kommentar: Und schon geht's los: Wofür gab es Applaus? Für sein Bekenntnis zum Euro? Lesen wir weiter.


Tag zwei von Alexis Tsipras' Moskauer Mission beginnt fast wie ein Heimspiel: Als der griechische Premierminister die russische Elite-Hochschule MGIMO betritt, wird er gefeiert wie ein Rockstar. Studentinnen wollen ein Selfie mit ihm, ein Handyfoto zur Erinnerung.

Die Zuhörer applaudieren ihm stehend, noch bevor die Rede überhaupt begonnen hat. Als "unbeugsam und furchtlos" hat Russlands Regierungszeitung Rossiskaja Gaseta den Gast aus Griechenland bezeichnet - wegen seiner Ablehnung einer Verlängerung der europäischen Sanktionen gegen Russland.


Kommentar: Na, da schiebt man den Grund leise hinterher. Ist ja auch verständlich, wenn jemand dafür einsteht, die Sanktionen gegen das eigene Land zu beenden.


Viele Studenten haben sich in Schale geworfen: Die jungen Frauen tragen High Heels zum Kostüm, viele junge Männer - anders als Tsipras - einen Schlips zum Anzug. Die MGIMO-Universität gehört zum russischen Außenministerium, sie ist die Kaderschmiede für Moskaus Diplomaten-Nachwuchs: Mehr als 50 Sprachen werden am MGIMO unterrichtet. Als Tsipras seine Rede auf Griechisch beginnt, verzichten viele der russischen Zuhörer auf die Kopfhörer mit der Simultanübersetzung, weil sie nahezu perfekt Griechisch sprechen.


Kommentar: Da können sich deutsche Elite-Unis eine Scheibe von abschneiden. Um die Bildung in Russland scheint es recht gut bestellt zu sein.


Tsipras übt in der Rede einen diplomatischen Spagat: Einerseits ruft er einen "Neustart" in den Beziehungen zu Moskau aus. Andererseits nutzt er den Auftritt aber auch für ein deutlich formuliertes Bekenntnis zu Europa. Die EU sei stets Athens erster Ansprechpartner. "Wir wollen europäische Lösungen für europäische Probleme", sagt Tsipras. "Russland kann unsere Probleme nicht lösen." Spekulationen über eine Rückkehr Athens zur Drachme als Währung erteilt Tsipras auf Nachfrage eine Absage: "Unser Ziel ist, Teil der Eurozone zu bleiben."


Kommentar: Jetzt werden Wortspiele erfunden um den Anschein zu erwecken, Griechenland lehne jede Hilfe Russlands ab. Umgekehrt formuliert wird klar, wie hohl die Phrase wirklich ist: "Wir wollen russische Lösungen für russische Probleme", "Griechenland kann unsere Probleme nicht lösen". Selbstverständlich sind innerpolitische Angelegenheiten Sache des Landes, wieso das so ausdrücklich hervorheben?


Wie Tsipras die Vergangenheit beschwört

Für die russischen Gastgeber findet der Regierungschef dennoch ausnehmend freundliche Worte. Tsipras betont die "gemeinsamen Wurzeln" von Russen und Griechen, angefangen bei den orthodoxen Mönchen Kyrill und Method. Ausgehend von Thessaloniki trieben sie im 9. Jahrhundert die Christianisierung slawischer Stämme voran.

Im Zweiten Weltkrieg "kämpften unsere Vorfahren Seite an Seite gegen die Faschisten, entweder als Soldaten an der Front oder als Partisanen in den Bergen", so Tsipras. Anders als viele andere Staats- und Regierungschefs der EU will er am 9. Mai an der Moskauer Parade teilnehmen, mit der Russland des 70. Jahrestags des Kriegsendes gedenkt, aber auch seine neu gewonnene militärische Stärke demonstriert.

Tsipras' Auftritt wirkt in Teilen aber auch wie eine Grundsatzrede zu den Schwerpunkten, die er außenpolitisch setzen will. Athen sieht sich demnach als "Anker der Stabilität" im Dreieck zwischen der Ukraine, Syrien und Nordafrika. Eine Stabilisierung dieser Krisenherde sei für ihn höchstes Gebot. Zudem habe die Zypernfrage Priorität sowie gute Beziehungen zum Rivalen Türkei. Auch die Nachbarschaftspolitik zum Balkan und zu Ägypten führt Tsipras an. Auf Russland kommt er dagegen erst bei Punkt sechs zu sprechen.


Kommentar: Jetzt nähern wir uns dem wahren Grund, weshalb Tsipras nach Russland gereist ist und der Spiegel holt Luft um den Hammer der Relativierung mit aller Kraft zu schwingen.


"Europäische Sicherheit kann es nicht gegen Russland geben"

Der Premier regt Pläne für eine europäische Sicherheitsarchitektur unter der Einbeziehung Russlands an: "Europäische Sicherheit kann es nicht gegen Russland geben." Ohne Zusammenarbeit zwischen Moskau und dem Westen sei weder die Ukraine-Krise zu lösen noch der Syrien-Konflikt.

Das sind Sätze, wie sie wohl auch die Außenminister Frankreichs oder Deutschlands unterschreiben könnten. Frank-Walter Steinmeier hatte sich Ende des vergangenen Jahres ähnlich ausgedrückt: "Dauerhafte Sicherheit in Europa wird es nur mit und nicht gegen Russland geben", so der Deutsche vor Studenten in der Ural-Stadt Jekaterinburg.


Kommentar: Als ob Deutschland die gleiche Meinung vertreten würde, nur weil Steinmeier mal irgendwann irgendwas ähnliches gesagt hat. Scheinbar hat der Spiegel vergessen, wie seine eigene Berichterstattung in den letzten Tagen zu dem Thema ausgesehen hat. Und nebenbei, der Link hinter Steinmeiers Namen führt nicht etwa zu dem erwähnten Zitat, sondern listet einfach Artikel, in denen er Thema war. Da muss der geneigte Leser selbst ein wenig suchen um zu sehen, ob er das auch wirklich gesagt hat.


Aufschlussreich ist, zu welchen Themen Tsipras lieber schweigt. Er verurteilt zwar den "Wirtschaftskrieg gegen Russland" und eine "gefährliche Militarisierung" der Ukraine. Dass Moskau selbst die militärische Konfrontation vorangetrieben hat, dazu kein Wort - obwohl die schweren Waffen der "Volksrepublik Donezk" vornehmlich aus russischen Beständen stammen.


Kommentar: Und eine kleine Lüge um die eigene Position zu stärken schadet bekanntlich auch nie. Tatsache ist doch, dass Russland von Anfang an gegen eine militärische Konfrontation stand. Hier scheint sich der Autor sehr wohl bewusst zu sein, wie sein Arbeitgeber zu "berichten" pflegt. Selektive Wahrnehmung. Natürlich versteckt sich hinter dem Link "Donezk" kein Hinweis darauf, was der Autor Russland hier vorwirft.


Als ein Zuhörer nach seiner Position zum Status der annektierten Krim fragt, weicht der Premier aus. "Ich wäre ja froh, wenn ich alle Probleme lösen könnte." Für die Halbinsel müsse aber eine Regelung durch internationale Zusammenarbeit gefunden werden.

Nach dem Ende der Rede stehen viele russischen Studenten noch zusammen und diskutieren. Die 19-jährige Sofia Lipenkowa hat Tsipras auf Griechisch eine Frage stellen können. Sein Auftritt hat einen guten Eindruck auf sie gemacht. "Wir haben ihn für einen linksradikalen Populisten gehalten", sagt sie. "Das aber war die Rede eines Staatsmannes."

An ein Ausscheren Griechenlands aus der Eurozone glaubt sie nicht. Das sei auch gut so. Russland brauche nicht nur Griechenland als Freund, sondern ganz Europa.