Bild
© DPABei Essattacken lässt sich der Hunger auf Fastfood nicht mehr bezwingen
Stimulanzien, die gegen ADHS eingesetzt werden, verringern Heißhunger und Gewicht - doch zu welchem Preis?

Personen mit Heißhungerattacken und Essanfällen, einer Binge-Eating-Störung, profitieren offenbar von einem Medikament, das zur Behandlung des Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivität-Syndroms (ADHS) zugelassen ist. Das legen zumindest die Ergebnisse einer amerikanischen Studie nahe, an der knapp 260 übergewichtige und fettleibige Männer und Frauen mit ausgeprägter Binge-Eating-Störung beteiligt waren. Gemäß den Regeln des Zufalls hatte jeweils ein Viertel der Probanden 30, 50 oder 70 Milligramm Lisdexamphetamin pro Tag erhalten und das übrige Viertel ein äußerlich identisches Scheinpräparat. Elf Woche später zogen die Studienautoren, unter ihnen Susan McElroy vom Forschungszentrum am Lindner Center of Hope in Mason/Ohio, dann Bilanz.

Wie die Forscher im Fachjournal Jama Psychiatry (doi:10.1001/jamapsychiatry.2014.2162) berichten, führten beide Therapien zu einem merklichen Rückgang der unkontrollierten Essanfälle. Das ADHS-Mittel konnte diese allerdings noch nachhaltiger unterdrücken. Je höher außerdem die verabreichte Wirkstoffmenge, desto eher blieben die Heißhungerattacken ganz aus. Der Anteil an Versuchspersonen, die vier Wochen lang ganz „abstinent“ waren, lag dabei zwischen 35 und 50 Prozent - je nachdem, ob die Probanden 30, 50 oder 70 Milligramm Lisdexamphetamin am Tag eingenommen hatten; im Placebokollektiv betrug die entsprechende Erfolgsrate demgegenüber nur 21 Prozent. Die mit dem Scheinmedikament behandelten Teilnehmer verloren im Mittel zudem kein Gewicht, während die mit dem ADHS-Mittel versorgten Männer und Frauen am Ende der Studie, je nach verordneter Medikamentdosis, drei bis fünf Kilogramm weniger wogen als davor.

Gewisses Suchtpotential

Was die Sicherheit anbelangt, wurde Lisdexamphetamin im Allgemeinen gut vertragen. Zu den häufigsten Nebenwirkungen zählten Mundtrockenheit, Appetitlosigkeit und ein leichter Anstieg der Herzfrequenz. Nicht unerwähnt bleiben darf freilich, dass eine Versuchsperson an den Folgen einer Amphetamin-Überdosis verstarb. Laut den Studienautoren, die über Verbindungen zu Shire - dem Hersteller des untersuchten Medikaments - verfügen, hatten vorhergehende Tests nicht den Verdacht genährt, dass der Verstorbene drogenabhängig war. Dennoch: Als ein stimulierendes Rauschmittel verfügt Lisdexamphetamin zweifelsohne über ein gewisses Suchtpotential, wenngleich dieses geringer sein soll als jenes anderer Amphetamine.

Über welche molekularen Mechanismen Lisdexamphetamin, das in den Vereinigten Staaten vor kurzem zur Behandlung der Binge-Eating-Störung zugelassen wurde, Essanfälle zu unterdrücken vermag, lässt sich bislang nicht beantworten. McElroy und ihre Kollegen mutmaßen, dass das Medikament möglicherweise einen günstigen Einfluss auf die Belohnungszentren im Gehirn ausübt. Denn eine Fehlsteuerung dieser neuronalen Netzwerke, an deren Regulation der Botenstoff Dopamin maßgeblich mitwirkt, gilt als wesentliche Ursache für die Entstehung suchtartiger Verhaltensweisen wie der Binge-Eating-Störung. In weiteren Studien wollen die amerikanischen Wissenschaftler nun testen, ob eine Behandlung mit Lisdexamphetamin Personen mit Heißhungerattacken auch längerfristig zugute kommt und das, ohne den Betroffenen gesundheitlich zu schaden.

Eher skeptisch äußert sich zu den neuen Erkenntnissen Martina de Zwaan von der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie der Medizinischen Hochschule Hannover. „Gerade für die Binge-Eating-Störung gibt es sehr gute Therapieoptionen, auch medikamentöse“, sagt die Expertin für Essstörungen. „Ich weiß nicht, ob wir zusätzlich noch ein ADHS-Mittel benötigen.“ Das gelte umso mehr, als Personen mit Binge-Eating-Störung vielfach gar keine Medikamente benötigten. Denn die meisten Betroffenen sprächen sehr gut auf psychotherapeutische Verfahren an, darunter vor allem die kognitive Verhaltenstherapie. Die Wirkung solcher Maßnahmen habe zudem oft dauerhaft Bestand. „Bei einer Behandlung mit Arzneimitteln besteht demgegenüber immer die Gefahr, dass die Störung wiederkehrt, sobald man die Tabletten absetzt“, betont die Psychotherapeutin. Wie de Zwaan andererseits einräumt, führt die Psychotherapie nur selten zu einer Gewichtsreduktion. „Wir sind schon froh, wenn die Patienten nicht weiter zunehmen.“ Die mit Lisdexamphetamin behandelten Personen hätten hingegen einige Kilogramm verloren.