Überall im Deutschen Reich konnte die Cholera im Spätsommer 1892 rasch eingedämmt werden, nur in Hamburg kam es noch einmal zu einer folgenschweren Epidemie.
Cholera Hamburg 1892
© DIAGONAL / Gerald SagorskiStation Erika (Cholera Baracke): Innerhalb weniger Tage verbreitete sich die Cholera im gesamten Stadtgebiet
Der Tod kam aus dem Wasserhahn. Lautlos breitete er sich aus, in einem 400 Kilometer langen, ausgeklügelten Rohrleitungssystem, das nahezu jedes Haus der Stadt mit fließendem Wasser versorgte. Tausende, die davon tranken, sich und ihre Kinder badeten oder ihre Lebensmittel säuberten, wiesen schon bald beängstigende Symptome auf. Sie erbrachen sich heftig und litten an Durchfall, sie verloren rasch so viel Körperflüssigkeit, dass die Haut blau und faltig wurde. Binnen Stunden starb etwa die Hälfte der Erkrankten, geschüttelt von schmerzhaften Muskelkrämpfen. Schnell kursierten Gerüchte, dass die Cholera in Hamburg ausgebrochen sei. Die Zeitungen brachten erste beunruhigende Meldungen.

Cholera Hamburg 1892
© DIAGONAL / Gerald SagorskiVerzweifelter Kampf gegen die Seuche: Die Turnhalle einer Volksschule wurde für Desinfektionszwecke eingerichtet.
Die "Cholera asiatica" ängstigte die Menschen wie zuvor nur die Pest. 1831 erreichte sie erstmals Mitteleuropa. Der expandierende Welthandel und die neue Mobilität von Waren und Menschen hatten den gefährlichen Erreger von Indien aus in die Welt getragen. In mehreren Wellen raffte die Seuche in Europa viele Millionen Menschen dahin. Auch Deutschland erlebte im 19. Jahrhundert mehrere Cholera-Epidemien, die letzte überregionale 1873.

Etwa zehn Jahre später, 1884, identifizierte der Mediziner und Bakteriologe Robert Koch (1843 bis 1910) den sogenannten Komma-Bazillus als Erreger der Cholera. Koch entdeckte, dass die Krankheit sich durch verseuchtes Wasser und die Ausscheidungen Infizierter übertrug, und leitete daraus einfache Maßnahmen ab, um die Seuche zu bekämpfen - ein medizinischer Triumph, für den er als Nationalheld gefeiert wurde.

Innerhalb von nur sechs Wochen erkrankten in Hamburg fast 17.000 Menschen

Cholera Hamburg 1892
© DIAGONAL / Gerald SagorskiKastanienallee 37: Vermerk der Hamburger Behörden zur Räumung des Gebäudes: "Staatsseitig geräumt und desinfiziert, 128 Bewohner, 24 Erkrankungen, 13 Todesfälle".
Doch als man die Krankheit im Deutschen Reich schon fast besiegt glaubte, bewies sie in Hamburg ein letztes Mal ihren Schrecken. Innerhalb von nur sechs Wochen, zwischen dem 16. August und dem 19. September 1892, erkrankten in der Hansestadt knapp 17.000 Menschen, fast 8600 starben. Warum wurde ausgerechnet Hamburg zum Schauplatz einer so verheerenden Epidemie?

Am 13. August 1892 schwamm der todbringende Keim bereits im Elbwasser. Russische Auswanderer, die im Hamburger Hafen zu Tausenden auf ihre Passage in die Neue Welt warteten, hatten ihn in sich getragen. Nach einer langen Hitzeperiode waren die Pegelstände der Elbe niedrig, das Wasser mit 22 Grad Celsius ungewöhnlich warm. In dieser Umgebung vermehrte sich der Bazillus rasant und verseuchte in Windeseile das gesamte Hafengebiet.

Es dauerte nur drei Tage, bis die Seuche ihre ersten Opfer forderte, doch die Ärzte der Stadt zögerten, die folgenschwere Diagnose "Cholera asiatica" offiziell zu bestätigen. Mit Robert Kochs Untersuchungsmethoden gänzlich unvertraut, scheiterten die Mediziner zunächst daran, den Erreger in den Stuhlproben der Opfer überhaupt nachzuweisen. Hinzu kam, dass der Senat wirtschaftliche Nachteile mehr fürchtete als die Krankheit. Die nötigen Quarantänemaßnahmen hätten den Handelsverkehr der Hafenstadt erheblich eingeschränkt.

Durch Ebbe und Flut waren die todbringenden Bazillen elbaufwärts gelangt

Cholera Hamburg 1892
© DIAGONAL / Gerald SagorskiBohrung eines abessinischen Brunnens am Spielbudenplatz in St. Pauli: Den Bau einer Sandfiltration hatte der Senat seit den siebziger Jahren aus Kostengründen verzögert. Die Keime strömten ungehindert aus der Elbe in die Leitungen. Erst die Nutzung von Brunnen konnte die Epidemie stoppen.
Als der Ausbruch der Cholera am 23. August offiziell bekanntgegeben wurde, war es bereits zu spät. Durch die Bewegungen von Ebbe und Flut waren die todbringenden Bazillen elbaufwärts gelangt, bis zur Entnahmestelle von Hamburgs zentraler Wasserversorgung. Den Bau einer Sandfiltration - für deutsche Städte bereits damals hygienischer Standard - hatte der Senat von den siebziger Jahren an aus Kostengründen verzögert. Nun strömten die Keime ungehindert durch die Leitungen.

Innerhalb weniger Tage verbreitete sich die Cholera im gesamten Stadtgebiet. Allein zwischen dem 26. August und dem 2. September erkrankten täglich 1000 Menschen, 400 starben. Auf dem Ohlsdorfer Friedhof, dem neuen Zentralfriedhof der Metropole, hoben 250 Arbeiter Massengräber aus, in denen bis zu 500 Leichen gleichzeitig beerdigt wurden.

Besonders oft fuhren die Leichenwagen in den Arbeiterquartieren wie dem Gängeviertel vor, einem Gewirr aus engen, lichtarmen Gassen, feuchten Höfen und baufälligen Häusern in der Hamburger Innenstadt. Hier teilten sich bis zu 50 Personen eine Gemeinschaftstoilette, die viel zu kleinen Wohnungen waren hoffnungslos überbelegt.

Als Robert Koch am 24. August im Auftrag der Reichsregierung nach Hamburg reiste, sagte er angesichts des Gängeviertels: "Meine Herren, ich vergesse, dass ich in Europa bin."

Die Hansestadt verbesserte die Kanalisation und sanierte das Gängeviertel

Die Hamburger Medizinalbehörde hatte Koch zuvor frostig empfangen, denn sie stand seiner Bakterientheorie noch äußerst skeptisch gegenüber. Die Hamburger Ärzteschaft vertrat nahezu geschlossen die überholte Lehrmeinung, dass die Cholera sich über die Luft verbreite. Koch hingegen erkannte den Zusammenhang zwischen dem Ausbreitungsgebiet der Seuche und dem Netz der Hamburger Wasserversorgung.

Robert Koch
© DPARobert Koch: Empört von der Ignoranz der Hamburger Mediziner und Behörden zwang der berühmte Wissenschafter den Senat zu handeln.
Empört von so viel Ignoranz, zwang der berühmte Wissenschaftler den Senat zu handeln: Auf großen Plakaten warnte die Medizinalbehörde nun davor, ungekochtes Leitungswasser zu gebrauchen, sie ließ 250.000 Handzettel mit Verhaltensregeln verteilen. Fasswagen versorgten die Bevölkerung mit abgekochtem Wasser. Die Schulen wurden geschlossen, öffentliche Veranstaltungen verboten, Desinfektionskolonnen zogen durch die Stadt, um Wohnungen, Häuser und ganze Straßenzüge von dem Erreger zu befreien. Außerdem trat ein, was der Senat am meisten gefürchtet hatte: Die Tore der Stadt wurden für Handel und Verkehr geschlossen.

Als die Epidemie ab Mitte September schließlich abflaute, standen die Behörden vor den Trümmern ihrer bisherigen Gesundheits- und Sozialpolitik. Erst jetzt sahen die Stadtväter sich gezwungen, das öffentliche Gesundheitswesen zu reformieren: Im Mai 1893 nahm Hamburg die längst überfällige Sandfiltrieranlage in Betrieb. Die Hansestadt verbesserte die Kanalisation und beschloss, das Gängeviertel zu sanieren. Noch im Dezember 1892 war das Hygienische Institut gegründet worden, das Proben aus den städtischen Wasserleitungen systematisch auf Verunreinigungen untersuchte. Nie wieder kam es in Hamburg zu einer Cholera-Epidemie.