Koran
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Kadir Sanci, der in Frankfurt an Main Religionswissenschaften studiert hat, sieht keine unüberwindbaren Probleme mit dem Islam in Deutschland. Er vertritt die muslimische Gemeinde am interreligiösen Projekt House of One. Dieses soll in Berlin entstehen und eine Kirche, eine Synagoge und eine Moschee unter einem Dach vereinen.

Herr Sanci, der Islam wird gerade in der Politik viel diskutiert. Volker Kauder, Chef der Unions-Bundestagsfraktion drängt auf eine staatliche Kontrolle von Moscheen in Deutschland. Wie sehen Sie diese Forderung?

Daran kann ich Ängste und Befürchtungen erkennen. Ängste sollten ernst genommen werden, man sollte natürlich dementsprechend auch auf sie antworten. Aber ich glaube, dass genau die Moscheen auf eine gewisse Art und Weise auch unter Beobachtung stehen, wie alle anderen Institutionen. Das wird schon zum Beispiel in den Medien sichtbar, wenn in einer Moschee Hasspredigt vorgetragen wird. Ich habe schon das Gefühl, dass man ein Auge darauf hat. Aber eine Beobachtung wie wir sie in der deutschen Historie gehabt haben, also beispielsweise in der nationalsozialistischen Zeit - das wünscht sich wahrscheinlich niemand, weder für die Moscheen, noch für andere Institutionen in Deutschland.

Auch die Kritik an im Ausland ausgebildeten Imamen wird lauter. Wie beurteilen Sie den Vorschlag der CSU, Imame ausschließlich in Deutschland ausbilden zu lassen?

Ich glaube, es ist, juristisch gesehen, problematisch, diese Einschränkung zu machen. Ich glaube, die Religionsgemeinschaften müssen einfach ihre Freiheit haben. Nur: ich kann auch da diese Bedenken verstehen und ich bin auch persönlich dafür, dass mehr Imame in Deutschland ausgebildet werden, die die hiesige Kultur und Gesellschaft kennen und dementsprechend auch auf die Fragen hier vor Ort antworten können. Also, ich sehe da sehr viele Probleme. Und die Antwort - nicht nur, aber vor allem - liegt einfach in einer Ausbildung, Fortbildung, Weiterbildung hier in Deutschland.

Können Sie denn nachvollziehen, dass es eine Angst davor gibt, dass Imame, die selbst schlecht integriert sind, ihrerseits die Integration von Muslimen behindern oder verschlechtern?

Da ist was dran, aber das wird manchmal überbewertet: Die Rolle der Imame werde ich nicht kleinreden, aber es ist manchmal nicht so, dass der Imam der Auslöser ist für diese Taten. Man muss wirklich pädagogisch und psychologisch korrekt an die Sache herangehen und versuchen zu erkennen: woher kommt das, woher kommen Aggressivität und Ähnliches? Und da würde ich sagen, wenn man das auf Imame aus gewissen Regionen einschränkt, dann werden wir keinen Erfolg haben. Ein Imam kann Gefahr aussenden von sich, aber das ist für mich eigentlich keine so große Gefahr, weil ich auch die Meinung vertrete, dass es nicht bei all den Problemen, die wir haben, um religiöse Überzeugung geht - es ist eine Protesthaltung oder Ähnliches, es sind soziale Probleme, die dann auch auf sozialer Ebene gelöst werden müssen. Imame können da eine Funktion übernehmen, sie brauchen eine bessere pädagogische und psychologische Ausbildung. Aber man kann es auch so aufstellen, dass sie von außen Unterstützung bekommen. Und ich glaube, das ist etwas, was schon zu bewältigen ist.

Herr Sanci, AfD-Parteichefin Frauke Petry fordert ein Verbot von Minaretten. In Minaretten komme ein grundgesetzwidriger Anspruch des Islams zum Ausdruck, begründet sie diese Forderung. Gibt es tatsächlich einen Widerspruch zwischen dem Islam und dem Grundgesetz?

Da müsste ich Ihnen jetzt einen Vortrag von zwei Stunden halten, um das wirklich zu verdeutlichen, aber da ich die Möglichkeit ja nicht habe, werde ich mir einfach die Erklärung ersparen müssen und ich sage: Ich erkenne keine Punkte, wo der Islam mit der deutschen Verfassung in Widerspruch geraten würde. Im Falle der Minarette kann ich Ihnen noch eines sagen: Zum einen verstehe ich natürlich nicht, welche Gefahr ein Minarett eigentlich auslösen könnte. Auf der anderen Seite kann ich auch sagen, dass Minarette nichts Unverzichtbares sind, es gehört also nicht zu den Pflichten der Religion, eine Moschee ist trotzdem "komplett", eine Moschee ist dennoch eine Moschee, auch wenn keine Minarette an sie angebaut sind.

Das sind Diskussionen, die eigentlich unsere eigenen Sorgen, die wahren, wirklichen Sorgen überblenden und die Diskussion in eine ganz andere Richtung lenken. Ich glaube, wir hätten viel mehr und viel wichtigere Sachen zu besprechen und zu klären als Minarette. Also, man kann als Muslim sagen: Es muss nicht sein. Und ich glaube, Menschen, die zur Mehrheitsgesellschaft gehören, Nichtmuslime, sollten sich vielleicht nochmal fragen, welche Gefahr von einem Steinhaus eigentlich kommen könnte: Das sind Steine, die aufeinander gereiht sind, es hat Symbolkraft, natürlich, die den Menschen dann Angst machen kann, aber wie gesagt: Mir machen Kirchentürme weder in der Türkei, noch in Deutschland Angst. Man muss da wahrscheinlich nochmal sich selbst, die eigene Wahrnehmung hinterfragen und da haben beide Seiten, glaube ich, vieles noch vor sich.

Der stellvertretende AfD-Sprecher Alexander Gauland kritisiert einen Anspruch des Islam, die Politik zu dominieren. Gibt es tatsächlich einen solchen Anspruch?

Ein Anspruch, die Politik zu dominieren - da muss man differenzieren. Erstens: Muslime sind in der Minderheit und sie werden lange Zeit, meines Erachtens, die Minderheit sein. Und wie kann man als Minderheit die Mehrheitspolitik dominieren? Das ist natürlich auch fraglich.

Aber auf der anderen Seite: Ich sehe mich selbst nicht als einen Funktionär an, der dann auch politische Intentionen hat. Von daher habe ich auch eine ganz andere Perspektive. Ich sehe die Religion als eine Religion, als Glauben, und da habe ich ganz andere Erwartungen, ganz andere Vorstellungen und auch noch ganz andere Sorgen.

Mir geht es um Religionsfreiheit, die gewährleistet wird. Meine gesellschaftspolitischen Interessen sind nicht anders als die der Mehrheitsgesellschaft, wie zum Beispiel, dass das Drogenproblem gelöst werden muss, dass Kriminalität gelöst werden muss - da haben wir so viele gemeinsame Probleme und das sind auch meine Probleme. Also, auf politischer Ebene sehe ich mich eigentlich eher auf der gleichen Seite. Auf der religiösen Seite unterscheidet sich mein Glaube und dieser Glaube braucht eine Freiheit, sich zu entfalten. Und da sehe ich, dass die Basis in Deutschland so gut aufgestellt ist, ich sehe also keinen Grund, weshalb da nochmal ein politischer Druck auf diese Seite ausgeübt werden sollte.

Die AfD scheint ja aber mit dieser Wahrnehmung des Islam einen Nerv hierzulande zu treffen, wenn man sich zum Beispiel die jüngsten Umfragen anschaut. Was erwidern Sie den Menschen, die einen solchen Blick auf den Islam haben?

Zuerst würde ich die Frage stellen wollen, inwieweit sie eigentlich die Muslime kennen. Ich würde jeden auffordern wollen: Seid mutig und geht auf Muslime zu und lasst zu, dass Muslime auf euch zugehen können. Es gibt einen Islamgelehrten des 20. Jahrhunderts, Said Nursî, der sagt: "Der Mensch ist gegenüber der Sache oder demjenigen gegenüber verfeindet, den er gar nicht kennt."

Ich glaube, je mehr wir versuchen uns gegenseitig kennenzulernen, desto mehr können wir Ängste abbauen, desto mehr werden wir sehen: Wir sind doch nicht so unterschiedlich. Wir werden dann sehen, dass angstauslösende Begrifflichkeiten dann auch nochmal ganz was anderes bedeuten, in der muslimischen Community ganz anders wahrgenommen werden, ganz anders aufgestellt sind, als man es vielleicht wahrgenommen hat, als man es vielleicht lange Zeit in den Medien gehört hat.