Die rund 50 mittelneolithischen Kreisgrabenanlagen in Niederösterreich gehören zu Europas ältesten Monumentalbauten: Sie wurden zwischen 4.800 und 4.500 v. Chr. erbaut und genutzt - wofür, ist bis heute noch nicht eindeutig geklärt. Eine der diversen Hypothesen über ihre Rolle im Leben der "Steinzeit-NiederösterreicherInnen" konnten der Archäologe Wolfgang Neubauer und der Astronom Georg Zotti von der Universität Wien kürzlich bestätigen: Einige der Bauten dienten offenbar als Sonnen- bzw. Sternenkalender. In einem laufenden FWF-Projekt sollen nun alle bekannten Kreisgrabenanlagen im Hinblick auf diese "Kalenderfunktion" archäoastronomisch untersucht werden.

Die Kreisgrabenanlage Goseck
© UnbekanntDie Kreisgrabenanlage Goseck gilt als einer der frühesten archäologischen Belege für systematische Himmelsbeobachtungen. Das mit 7000 Jahren älteste Sonnenobservatorium der Welt wird als Meilenstein in der Archäologie und Astronomie angesehen.
Zur Zeit der mittelneolithischen Kreisgrabenanlagen in Niederösterreich steckte Stonehenge noch in den Kinderschuhen: Die komplexen, von einem tiefen Graben umgebenen Monumentalbauten wurden rund 2.000 Jahre vor dem berühmten britischen Steinkreis errichtet. Allerdings aus einem vergänglicheren Material: Holz. Längst haben Witterung und jahrtausendelanger Ackerbau ihre Spuren in der Landschaft verwischt. Trotzdem kann man die rätselhaften Bauten heute wieder betreten - und zwar virtuell: Ein Team rund um Wolfgang Neubauer von der Interdisziplinären Forschungsplattform Archäologie (VIAS) hat die steinzeitlichen Kreisgrabenanlagen 1:1 am Computer "nachgebaut".

Die rekonstruierte Kreiswallanlage aus der Steinzeit mit drei Toren ist im Durchmesser 75 Meter groß und besteht aus zwei 2,50 Meter hohen Holzpalisaden-Ringen
© dpaDie rekonstruierte Kreiswallanlage aus der Steinzeit mit drei Toren ist im Durchmesser 75 Meter groß und besteht aus zwei 2,50 Meter hohen Holzpalisaden-Ringen
Für diese virtuellen Rekonstruktionen dienen nicht nur archäologische Ausgrabungen und magnetische Prospektionen, die bereits 2003 und 2004 durchgeführt wurden, sondern auch die Simulation des Sternenhimmels vor 6.500 Jahren. Denn in ihrem laufenden FWF-Projekt ASTROSIM wollen Neubauer und sein Projektmitarbeiter, der Informatiker und Astronom Georg Zotti, durch die Kombination von archäologischen und astronomischen Daten mittels Computersimulation aufzeigen, dass die Kreisgrabenanlagen neben den vermuteten soziokulturellen und religiösen Funktionen auch als eine Art steinzeitlicher Kalender dienten.

 Aufgang der Plejaden im Tor der Kreisgrabenanlage Immendorf
© Universität Wien
Aufgang der Plejaden im Tor der Kreisgrabenanlage Immendorf
Für eine mögliche soziale oder religiöse Nutzung der Bauten, etwa als Platz für Versammlungen oder Wettkämpfe, Übergangs- und Initiationsrituale oder bestimmte Feste im Jahreskreis, spricht, dass zwischen 4.800 und 4.500 v. Chr. jede Siedlung in Niederösterreich eine Kreisgrabenanlage ihr Eigen nannte - "in etwa so, wie heute jedes niederösterreichische Dorf eine Kirche oder ein Vereinshaus besitzt", erklärt Neubauer, der seit 20 Jahren die Ausgrabungen leitet. Dass die Ausrichtung der Tore mit dem Auf- oder Untergang von Sonne, Mond oder Sternen an bestimmten Tagen im Jahr zusammenhängen könnte - eine Hypothese, die schon seit Beginn der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Monumentalbauten in den 1970er Jahren zirkuliert -, hielt der Archäologe zunächst für unwahrscheinlich: "Wir haben in Niederösterreich fast 50 Kreisgrabenlagen mit Toren in alle möglichen Richtungen - ich dachte mir, da geht doch immer zufällig irgendwo etwas auf oder unter."

Hier kommt die Astronomie ins Spiel: Um die "Kalender-These" zu untermauern - oder aber endgültig zu falsifizieren -, musste Georg Zotti zunächst mit Hilfe astronomischer Computerprogramme den Sternenhimmel "zurückrechnen": "Denn die Position der Sterne verschiebt sich im Laufe der Jahrhunderte", so der Astronom. Er hat im Vorfeld des Projekts bereits 28 Anlagen untersucht - und dabei überraschend signifikante Übereinstimmungen gefunden: "Bei etwa einem Drittel der Bauten weisen jeweils zwei Tore in die exakt gleiche Richtung."

Für einige dieser Tore wurden Zottis astronomische und Neubauers archäologische Daten bereits in der Computeranimation zusammengeführt. Das Ergebnis war eindeutig: Jeweils eines der Tore markiert den Aufgang des Siebengestirns (Plejaden), das andere den fast gleichzeitigen Untergang des Sterns Antares. Kalendarisch interessant ist dieses Ereignis vor allem als sogenannter "heliakischer Aufgang" am frühen Morgen wenige Tage nach Frühlingsbeginn. "Gab der Himmel damit 'grünes Licht' für die Frühjahrs-Aussaat?", spekuliert Zotti. Andere Tore markieren offenbar, wie schon früher behauptet, markante Sonnenauf- und Untergänge, etwa die Sonnwenden.

"Die Menschen konnten sich damals also ausrechnen, wie viele Sonnenuntergänge noch bis zur nächsten großen Party fehlen", umschreibt Neubauer eine andere mögliche Funktion des Kalenders. Denn der Archäologe vertritt nach wie vor die Ansicht, dass die Eignung als Sonnen- bzw. Sternenkalender nur einen Zusatz zur eigentlich soziokulturellen Bedeutung der Anlagen darstellt: "Wenn es nur um die Bestimmung von Daten gegangen wäre, hätten zwei Pflöcke im Boden gereicht", sind sich beide Wissenschafter einig.

Ziel von ASTROSIM ist es, die beschriebenen archäoastronomischen Untersuchungen für alle bekannten niederösterreichischen Kreisgrabenanlagen zu vervollständigen und Computeranimationen zu erstellen.

 Kreisgrabenanlage Steinabrunn
© Universität WienZu sehen ist die virtuelle Rekonstruktion der neolithischen Kreisgrabenanlage Steinabrunn. Der einstmals in Niederösterreich gelegene Monumentalbau wurde vermutlich in der Zeit zwischen 4800 und 4500 v. Chr. erbaut und genutzt. Die Anlagen sollen einerseits als Ort für Versammlungen und religiöse Rituale gedient haben.
Uni Wien / CS