Mistelbach (Österreich) - Sie gehören zu den wohl mystischsten Hinterlassenschaften vergangener Kulturen, zählen nach wie vor für Archäologen unserer Zeit zu den großen Rätseln der Menschheit und sind zudem die Basis für eine Vielzahl von Spekulationen. Der im südwestlichen England gelegenen Steinformation, deren genauer Zweck bis heute nicht geklärt wurde, ist nun ist Österreich eine umfangreiche Ausstellung gewidmet. Der GreWi-Korrespondent in Österreich, Andreas Kirchner, hat für Grenzwissenschaft-Aktuell die Eröffnungsveranstaltung zur Ausstellung besucht.
Stonehenge
© LBI ArchPro, Geert J. Verhoeven Der mystische Steinkreis von Stonehenge
Am 19. März 2016 wurde im niederösterreichischen Mistelbach die weltweit erste Ausstellung zum sagenumwobenen Stonehenge eröffnet. In der knapp 50 km von Wien entfernten Bezirkshauptstadt befindet sich seit 2007 das „MAMUZ Museum“, das als „Erlebnismuseum für die ganze Familie“ gedacht ist, so der Geschäftsführer des Museums Matthias Pacher, der selbst ausgebildeter Archäologe ist.

Plakat Stonehenge Ausstellung
© MAMUZ.atDas Plakat zur Ausstellung
Nun nahm sich das Museum gemeinsam mit zwei wissenschaftlichen Kuratoren dem Thema Stonehenge an. Die Ausstellung wurde in Zusammenarbeit mit der britischen Botschaft in Wien, dem Ludwig Boltzmann Institut, den Niederösterreichischen Landessammlungen, 7reasons, atelier cremer und der Universität Birmingham realisiert.

„Stonehenge. Verborgene Landschaft“ zeigt den neuesten Stand der Wissenschaft mithilfe virtueller Archäologie. Eine Fläche von 15 km² - dem entsprechen knapp 1.500 Fußballfelder - hat der österreichische Wissenschaftler Wolfgang Neubauer mit seinem Team und britischen Forschern erkundet. Mit Bodenradarsystemen und geomagnetischen Untersuchungen wurde dreidimensional der Untergrund gescannt und die im Boden verborgenen Funde mit Hilfe von Simulationen der virtuellen Untersuchungen nach Jahrtausenden wieder sichtbar gemach. „Diese neue Forschungsmethode hat das Verständnis der Landschaft um Stonehenge grundlegend verändert“, so einer der beiden Kuratoren.

Wer allerdings glaubt, die Ausstellung befasse sich zeitlich nur mit dem berühmten Steinkreis von Stonehenge, der irrt. Sie umfasst rund 10.000 Jahre Geschichte, obwohl das bis in die Bronzezeit genutzte Bauwerk erst in der Zeit zwischen 2.600 und 2.400 Jahre v. Chr. erbaut wurde. Anschaulich und auf leicht verständliche Weise wird dem Besucher die Entwicklung des Gebiets um Stonehenge sowie die An- und Absiedelung von Menschen und deren Einwirkungen näher gebracht.

Am Tag der Eröffnung führten die beiden Kuratoren, der österreichische Archäologe und Direktor des Ludwig Boltzmann Instituts für archäologische Prospektion und virtuelle Archäologie Univ.-Prof. Mag. Dr. Wolfgang Neubauer und der britische Archäologe und Autor Dr. Julian Richards, durch die Ausstellung.

Noch zeitlich weit vor dem Bau des berühmten Steinkreises beginnt die Ausstellung mit der Ansiedlung der ersten Menschen im Gebiet um Stonehenge. Visuelle Bearbeitungen in Kombination mit originalen Funden zeigen die Ansiedlung dieses Gebiets durch den Menschen. Quelltempel mit konstanter Temperatur lockten Wildtiere an, die wiederum den Menschen als Jäger und Sammler ein passendes Jagdgebiet baten. Um 4.600 v.Chr. fanden die Forscher die letzten Spuren der angesiedelten Jäger und Sammler. Rund 3.000 Jahre später machten sich in diesem Gebiet neue Menschen sesshaft und betrieben Ackerbau und Viehzucht. Zeitlich strukturiert und für den Besucher mit verschieden farbigen Pfeilspitzen gekennzeichnet, führt die Ausstellung weiter über das erste monumentale Grabwerk ‚Long Barrow‘ (3.900 - 3.500 v. Chr.), über das drei Kilometer lange und 100 Meter breite Erdwerk den ‚großen Cursus‘ (um 3.500 v. Chr.), dessen Nutzung bis dato unklar ist, bis hin zur groben, aber reich verzierten Keramik der Henges (3.000 - 2.400 v. Chr.). Viel Platz ist den originalgetreuen Rekonstruktionen der Stonehenge-Steine gewidmet, inmitten dieser sich eine 25 Meter lange Panoramaprojektion befindet, die den Besucher visuell durch die Landschaft sowie durch die Zeit führt.
Digitale Visualisierung von Stonehenge
© 7reasons Medien GmbH, LBI ArchProDigitale Visualisierung von Stonehenge.
Erstmals außerhalb Großbritanniens

Neben den originalgroßen Nachbauten der weltbekannten Stonehenge-Steine, die auch im Abstand zueinander ihrem Vorbild in England gleichen, gibt es auch die Möglichkeit, erstmals Originalfunde aus der Umgebung von Stonehenge außerhalb der britischen Insel zu betrachten. Zu den wohl beeindrucktesten Ausgrabungen zählt eine Grabbeigabe aus dem Grabhügel des „Bush Barrow Man“, einem Häuptling der Wessex-Kultur.

größter Kupferdolch Britannien
© Andreas Kirchner Der größte Kupferdolch Britanniens besteht aus österreichischem Kupfer
Neben einer Brustplatte und einem Gürtelhaken aus purem Gold, kleinen Dolchen aus Kupfer, Haarwickel und 16 Pfeilspitzen, fand man auch einen Bronzedolch, dessen Betrachtung die Vermutung zulässt, sein Griff sei von Staub bedeckt. Allerdings sind es keine Ablagerungen, die auf dem Griff zu sehen sind, sondern unzählige Zierstifte aus Gold. Untersuchungen unter dem Rastermikroskop haben ergeben, dass es sich um 100.000 Goldstifte in der Größe von 0,5 bis 1,5 mm handelt. Laut Aussagen Neubauers zählt die Bearbeitung des Griffes zu den filigransten Goldverarbeitungen aus prähistorischer Zeit. Der österreichische Forscher hat weiter die Vermutung geäußert, der Schöpfer dieses Kunstwerks litt eventuell an einem Augenleiden, welches ihm erlaubt habe, diese Art von mikroskopischen Arbeiten zu verrichten.

Für neue Erkenntnisse in der Erforschung dieses Grabhügels hat die Analyse des Zahnmaterials des ‚Bush Barros Man‘ gesorgt. Die Auswertungen haben gezeigt, dass der in Stonehenge bestattete Mensch, seine Jugend im Alpenraum verbracht hat. Für den Besucher gibt es die Möglichkeit, das virtuelle Grab des aus dem Alpenraum stammenden und auf der britischen Insel bestatteten Häuptlings, mit Spaten und Pinsel freizulegen. Seine wertvollen Grabbeigaben sind zur Besichtigung ausgestellt.

Stonehenge Ausstellung
© MAMUZ.at
Stonehenge Ausstellung
© MAMUZ.atBlicke in die Austellung
Eine weitere Kuriosität, die im MAMUZ präsentiert wird, ist einer der sogenannten Pinkstones von Blick Mead, Amesbury (Wiltshire). Benannt wurden diese unnatürlich anmutenden Steine nach der unübersehbaren Färbung ihrer Oberfläche. Die Mutter eines vor Ort forschenden Archäologen hat einen dieser gewöhnlichen Feuersteine aus einem Quelltümpel geholt und dabei die auffällige Farbe bemerkt. Die eigentümliche Kolorierung - die erst eintritt, wenn man den Stein aus dem Wasser nimmt - stammt von der Rotalge „Hildebrandia“, die den Feuerstein im Wasser befallen hat. Da es sich bei dem verfärbten Stein um ein erst kürzlich entdecktes Naturphänomen handelt, gibt es noch keine aussagekräftigen wissenschaftlichen Statements dazu. Untersuchungen sind bereits im Gange, unter welchen Bedingungen sich diese Algen rot färben. Die Pinkstones wurden von den angesiedelten Menschen zu Pfeilspitzen verarbeitet und möglicherweise auch aufgrund ihrer Besonderheit als kulturelle Objekte genutzt.

Verbindungen nach Österreich

Die Besonderheit der Örtlichkeit dieser Ausstellung ist nicht die einzige skurril anmutende Verbindung zum Alpenland. Eine der Beigaben aus dem Grab des ‚Roundway Archer‘, ist der größte in Britannien gefundene Kupferdolch. Erstaunlich an dieser prähistorischen Waffe ist die Herkunft des verarbeiteten Kupfers. Untersuchungen haben ergeben, dass es aus einer österreichischen Kupferlagerstätte stammt. Zudem werden die in Niederösterreich entdeckten Kreisgrabenanlagen aus dem 5. Jahrtausend v. Chr. thematisiert, welche weit älter als Stonehenge sind. Typisch für Grabbeigaben in englischen sowie auch in niederösterreichischen Gräbern sind die Glockenbechergefäße.

Die Ausstellung endet um 1.800 v. Chr. mit dem Fund der letzten Spuren von Menschen vor Ort. Dr. Neubauer und sein Team arbeiten gerade an den ersten wissenschaftliche Publikation deren Forschungsarbeit. Neubauer bat daher um Nachsicht, wenn es um die Ankündigung großer Sensationen geht. Neugierig machte er mit seinem Schlussstatement allerdings doch: „Die Forschungen gehen weiter und es wird Überraschungen geben“. Der britische Autor und Archäologe Julian Richards führte weiter aus: „Das wirklich Faszinierende an Stonehenge ist, dass wir es nie komplett verstehen werden“.

Das MAMUZ versteht es, wissenschaftliche Arbeit und Erkenntnisse in eine interaktive, anschauliche und visuell gestaltete Ausstellung für alle Generationen zu verpacken und den aktuellen Stand der Forschung auf verständliche, kompakte Weise dem Besucher näher zu bringen. Bis zum 27. November 2016 kann man die Ausstellung in Mistelbach besuchen.

A. Kirchner / grenzwissenschaft-aktuell.de