Man hat lange gerätselt, was Folgen von Punkten und Strichen mitten in den Höhlenmalereien der Steinzeit bedeuten. Nun hat die Universität Cambridge eine Theorie veröffentlicht, nachdem es sich um kalendarische Aufzeichnungen von Tierbeobachtungen handeln soll.
Höhle Lascaux Malerei
© JoJan, CC BY 4.0, via Wikimedia CommonsDie Höhle von Lascaux
Von Dagmar Henn

Mit die faszinierendsten Entdeckungen der Archäologie sind die Entschlüsselungen von Zeichen. Das berühmteste Beispiel dafür ist vermutlich der Stein von Rosette, ein hellenisches Monument, das ein und denselben Text in drei Sprachen enthielt; eine davon war Altgriechisch. Und damit begann die Dekodierung der ägyptischen Hieroglyphen und des Demotischen.

Nun soll nach einem Aufsatz in der archäologischen Zeitschrift der Universität Cambridge die Bedeutung von Strichen und Punkten entziffert worden sein, die sich auf vielen jungsteinzeitlichen Malereien finden. Beispiele dafür finden sich unter anderem in der berühmten Höhle von Lascaux, deren Wandgemälde bis zu 30.000 Jahre alt sein könnten.

Bereits vor der neuen Theorie waren sich Wissenschaftler weitgehend einig, dass es sich dabei um ein Zählsystem handeln müsse; es war nur völlig unklar, was in welchen Einheiten gezählt werden sollte. Die älteste Theorie besagte schlicht, dass damit die Zahl erlegter Tiere aufgezeichnet wurde.

Ein Knochenstück mit Tiergravur und Strichen aus der Höhle von AltamiraNational Museum and Research Center of Altamira, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Zählungen finden sich vielfach auf Knochenstücken aus der Altsteinzeit, manchmal in Verbindung mit Darstellungen bestimmter Tiere. Das wären dann gewissermaßen die Notizbücher, klein genug, dass man sie über Monate bei sich tragen kann. Aber Aufzeichnungen, die an so bedeutender Stelle gemacht werden wie in diesen beeindruckenden Höhlen, sollten eine ebenso bedeutende Information enthalten.

Die Theorie, der diesmal von einer Gruppe von Wissenschaftlern nachgegangen wurde (angestoßen von einem engagierten Amateur), besagt, dass es sich um eine Aufzeichnung von Zeit handelt, wobei die Punkte und Striche nicht für Tage, sondern für Monate stehen. Ausgangspunkt der Zählung soll der Frühjahrsbeginn sein, und auf der entstehenden Zeitleiste werden Paarungszeit und die Geburt des Nachwuchs verzeichnet. Überprüft wurde diese Theorie einerseits anhand von biologischen Informationen über verwandte Arten (etwa über heutige Elefanten, wenn es um Wollnashörner geht, oder über heutige Wisente für die dargestellten Auerochsen) und zum anderen durch statistische Überprüfung, auch, um auszuschließen, dass die Zeitangaben sich auf Wanderungen beziehen.

Und es scheint, als wäre das tatsächlich die Information, die weitergegeben werden sollte. Maßeinheit war jedes Mal ein Mondmonat für einen Punkt oder einen Strich, und wenn dazwischen ein Y auftaucht, steht es für eine Geburt.

Das sind für Jäger und Sammler durchaus wichtige Informationen. Manche Fischarten finden sich nur zu bestimmten Zeiten, etwa zum Laichen, an bestimmten Stellen; Jungtiere sind leichter zu jagen, weshalb es wichtig ist, den ungefähren Zeitpunkt ihrer Geburt zu kennen. Es könnte sich bei diesen unauffälligen Punkten um den ältesten Kalender der Geschichte handeln.

Ein Mondkalender ist auch für eine noch nicht sesshafte Gruppe von Menschen vergleichsweise einfach zu führen - der weibliche Zyklus dauert in der Regel tatsächlich einen Mondmonat, sodass die Grundinformation für einen solchen Kalender gewissermaßen eingebaut ist. Das würde im Grunde auch nahelegen, dass solche Beobachtungen vor allem von Frauen gemacht wurden. Diese Beobachtungen könnten, betrachtet man, wie viele Tierarten derart gekennzeichnet wurden, bis zur Entdeckung des Zusammenhangs zwischen Zeugung und Geburt geführt haben, eine Erkenntnis, die bisher erst viel später vermutet wurde, nach der Domestizierung der ersten Weidetiere. Die fand aber erst bis zu 20.000 Jahre später in Kleinasien statt.

Die Cambridger Autoren befassen sich noch nicht mit all den Fragen, die aus dieser Entdeckung resultieren. Sie überprüfen nur eine Deutungshypothese auf ihre Gültigkeit und kommen zum Schluss, dass sie die richtige Deutung geliefert haben kann. Wenn man davon ausgeht, dass dem so ist, belegt das, dass bereits die Menschen der Jungsteinzeit imstande waren, nicht nur über Monate hinweg zu beobachten, um eine bestimmte Erkenntnis zu erlangen, diese aufzuzeichnen und zu überprüfen, was im Grunde ein erster Ansatz wissenschaftlicher Betätigung ist. Sie könnte auch dazu führen, dass der Sinn dieser Höhlen und ihrer Malereien anders gedeutet wird, weg vom ursprünglich dahinter gesehenen Jagdzauber, auch weg von anderen kultischen Hintergründen, hin zu einer generationenübergreifenden Übermittlung praktisch bedeutsamer Information.

Die Punkte und Striche, das betonen die Forscher, sind noch keine Schrift; aber auch der Entwicklung der ältesten bisher bekannten Schrift, der sumerischen, ging die Entwicklung eines Zählsystems voraus. Zahlen und Zeiträume durch Symbole aufzuzeichnen und mitzuteilen, ist nun eine wesentlich ältere menschliche Errungenschaft, wobei, sofern die Deutung des Y korrekt ist, sogar bereits ein erstes Wort notiert wurde.

Über die Lebensweise der Menschen, die diese Botschaften hinterließen, ist wenig bekannt. Knochenreste und andere Abfälle an ihren Aufenthaltsorten verraten, wovon sie sich ernährt haben. Man weiß, dass Höhlen wie jene von Lascaux über einen langen Zeitraum hinweg immer wieder aufgesucht wurden, aber wie lange diese Menschen wo gelebt haben, ob sie den Herden von Großwild folgten oder längere Zeit an einem Ort blieben, wie ihre Sitten und Gebräuche waren, das lässt sich aus den wenigen Funden nicht erschließen.

Etwa 10.000 Jahre vor unserer Zeit geschah die neolithische Revolution; im Verlauf eines vergleichsweise kurzen Zeitraums und in einem geografisch relativ begrenzten Gebiet wurden Rinder, Schafe und Ziegen gezähmt und die ersten Ackerpflanzen angebaut. Mit diesem Umbruch entstanden auch die ersten großen Kalender; mit dem Ackerbau gewannen die Jahreszeiten eine völlig neue Bedeutung.


Kommentar: Die ältesten Funde des heutigen Menschen, des Homo Sapiens, werden auf ungefähr 300.000 Jahre geschätzt: Menschen, die biologisch anscheinend genauso beschaffen waren wie wir heute. Oder anders ausgedrückt: Würde man einen Menschen von damals heute aufziehen, würde man keinen Unterschied zum modernen Menschen feststellen.

Mittlerweile wird die Beweislage immer erdrückender, dass zum Ende der letzten Eiszeit vor ca. 12.000 Jahren mindestens eine globale Apokalypse in einem wahrlich gigantischem Ausmaß stattfand - vermutlich ausgelöst durch eine Reihe an Kometen-Einschlägen auf der Erde. Diese Apokalypse hat mit Sicherheit auch Spuren bei den Menschen hinterlassen, die zuvor auf der Erde lebten. Die Konsequenzen dieser Apokalypse waren anscheinend so katastrophal, dass es überhaupt nicht verwundern würde, wenn so ziemlich alles, was von Menschenhand bis dahin errichtet oder erschaffen worden war, vollkommen zerstört wurde. Des Weiteren liegt die Vermutung nahe, dass auf der Erde noch viel mehr ähnliche Apokalypsen stattgefunden haben, manche vielleicht sogar in einem Zeitintervall von 3.600 Jahren oder kürzer.

Aus offizieller Sicht begann unsere heutige Zivilisation ihren "Aufstieg" vor ca. 5.000 Jahren bis hin zu unser heutigen "fortgeschrittenen Hochkultur". Das sind nur 5.000 Jahre von der gesamten 300.000-jährigen Zeitgeschichte des modernen Menschen. Was geschah in den restlichen 295.000 Jahren? Nichts? Alles "nur" "primitive" "Höhlenbewohner"?


Aber die Punkte und Striche der Höhlenmalereien deuten womöglich an, dass der Kalender dem Ackerbau nicht folgte, sondern ihm vorausging; dass die Beobachtung der Tierwelt, die dort festgehalten wurde, die Voraussetzungen für beide große Domestizierungen geschaffen hat, die der Weidetiere wie die der Ackerpflanzen. Denn die erste dürfte mit der Aufzucht einzelner Jungtiere begonnen haben und die zweite mit der Beobachtung des Zyklus von Keimung und Frucht.

So vertraut, wie uns heute ein stetig verfügbarer Kalender ist, ist es schwer nachzuvollziehen, wie ungeheuer der Schritt ist, den endlosen Fluss der Zeit in Abschnitte zu teilen und in eine systematische Ordnung zu bringen. Und es ermöglicht eine positivere Sicht auf den Menschen, wenn nicht, wie nach der Entdeckung der Höhlenmalerei angenommen wurde, männliche Schamanen die zu jagenden Tiere an die Höhlenwände bannten, um sie ihrem Willen zu unterwerfen, sondern Frauen der Steinzeit das Zeitmaß ihres eigenen Körpers nutzten, um Erkenntnisse über die Welt zu an ihre Nachfahren weiterzugeben.