Saarbrücken (Deutschland) - Seit Anfang des Monats sorgt ein Video einer Schafsherde in der Mongolei besonders online für Aufsehen. Zu sehen ist, wie die Tiere fortwährend - und das angeblich bereits seit mehr als 10 Tagen - im Kreis laufen. Weitere Aufnahmen ähnlich kreiselnden Verhaltens andere Tierarten werden mittlerweile suggestiv genutzt, um aus dem rätselhaften Verhalten der Schafe in der Mongolei einen aktuellen und globalen Trend und ein bislang nicht gekanntes und mysteriöses Verhalten der Tiere abzuleiten. Einer unvoreingenommenen Überprüfung der Videos bzw. des darin gezeigten Verhaltens der Tiere halten diese Behauptungen allerdings nicht stand.
Schafe Kreis Mongolei
© unbek. / YoutubeStandbild aus dem aktuellen Video der im Kreis laufenden Schafe in der Inneren Mongolei.
Auslöser der aktuellen Debatte und Spekulationen, wie sie gerade in den sozialen Netzen "viral gehen", ist ein Video, das Aufnahmen einer Überwachungskamera aus der Inneren Mongolei zeigen soll. Tatsächlich zeigen die Aufnahmen, wie die Tiere wie gebannt fortwährend in einem nahezu perfekten Kreis laufen. Die Besitzerin der Herde erklärt zudem, dass die Tiere dieses Verhalten teils ohne Unterlass so schon seit mehr als 10 Tagen zeigen würden. Chinesische und internationale Medien behaupten zudem, dass die Schafe sonst gesund, das Verhalten hingegen ein Rätsel sei.

- Während die Filmaufnahmen selbst zunächst authentisch erscheinen, lässt sich die Behauptung, die Tiere würden dieses Verhalten bereits seit vielen Tagen praktizieren unabhängig nicht.


Es dauerte nicht lange, da tauchten weitere Aufnahmen von vermeintlich ähnlich, aber nicht immer abnormalem Tierverhalten aus anderen Ländern auf. Mal waren es auch hier Schafe, in anderen Fällen hingegen andere Tierarten von Kühen über Rentieren bis hin zu Insekten wie Ameisen.


Während auch die anderen Aufnahmen authentisch sind und fraglos ein erstaunliches Verhalten dieser Tiere zeigen, wenn diese ebenfalls massenhaft im Kreis laufen, beginnt schon hier eine Vermischung von Fakten mit unfundierten Vermutungen, die nicht selten zum einen in der Behauptung enden, es handele sich bei all diesen Ereignissen um sich nahezu zeitgleich und aktuell ereignende Vorfälle, zum anderen werden die Bilder mit der auf dieser Behauptung basierenden Vermutung gepaart, die Tiere würden aktuell etwas Herannahendes spüren, ein großes Ereignis bis hin zu einer gewaltigen globalen oder gar Katastrophe. Einige Autoren sprechen sogar von biblischen Zeichen. Drei Beispiele von zahlreichen dieser Narative finden sich HIER, HIER und HIER

In Wirklichkeit hat keine der derzeit im wahrsten Sinne des Wortes zirkulierenden Aufnahmen direkt etwas mit einer der anderen zu tun. Die meisten sind sogar schon einige Jahre alt und zeigen sehrwohl bekannte, verstandene und gut dokumentierte Phänomene aus der Verhaltensvielfalt unterschiedlicher Arten, die aus teils unterschiedlichen Gründen in bestimmten Situationen im Kreis laufen.

So sind etwa die im aktuellen Kontext oft benutzten Aufnahmen von im Kreis laufenden Rentieren alles andere als aktuell und wurden bereits vor drei Jahren in der folgenden "Nature on PPS"-Dokumentation gezeigt. In der Doku wird das als "Reindeer Cyclone" bezeichnete Phänomen nicht nur anschaulich beschrieben, sondern das Verhalten der Tiere hinreichend als Verteidigungsstrategie der Tiere erklärt - ein Verhalten, das dem von Fischschwärmen gleicht und das zudem auch bei Rentieren schon seit Jahrhunderten bekannt und beschrieben wird:


Ähnliches gilt für die sogenannte "Todesspirale", in der sich einige Ameisenarten selbst fangen, wenn sie der Pheromonspur ihrer Artgenossen folgen und durch Kreuzung dieser Spuren in besagten Todeskreislauf geraten, dem sie nicht mehr entkommen können, bis sie vor Erschöpfung verenden. Auch dieses Phänomen ist bereits seit Jahrzehnten bekannt, erforscht und wurde schon vielfach in Videos festgehalten:



Schafkreis
© Christopher HoggSchafskreis in East Sussex, fotografiert am 26. März 2021.
Auch ein "Schafskreis" aus dem englischen East Sussex (s. Abb.) hat mit den aktuellen Aufnahmen aus der Inneren Mongolei nicht viel gemein: Zum einen wurde er bereits im März 2021 beobachtet, zum anderen standen die Tiere hier im Kreis und liefen nicht tagelang umher. Ein ähnliches Verhalten wurde bereits 2012 in der Grafschaft Hertfordshire beobachtet und ging vermutlich darauf zurück, dass der Farmer mit einem Fahrzeug Futter in besagter Form ausgebracht hatte.

Tatsächlich ungewöhnlich am aktuellen Verhalten der Tiere in der Inneren Mongolei ist die beschriebene (aber nicht überprüfbare) Dauer dieses Verhaltens von angeblich mehr als 10 Tagen.

Die Tierschutzorganisation "Peta" und führt dazu Folgendes aus
Der Auslöser für die augenscheinliche Verhaltensstörung ist bisher nicht eindeutig geklärt, - weltweit wird jedoch über mögliche Ursachen diskutiert: Die Tiere könnten unter einer bakteriellen Krankheit namens Listeriose leiden, die neurologische Störungen verursachen kann.

Symptome der auch als "Circling Disease" bekannten Erkrankung sind neben einer gesenkten Kopfhaltung und dem Hängenlassen der Ohren auch Dreh- und "Manegebewegungen". Diese könnte das Kreisen der Schafe erklären.

Der Agrarwissenschaftler Matt Bell der Universität Hartpury in England sieht die Ursache woanders: Das seltsame Verhalten könne auch auf gravierende Missstände bei der Schafhaltung zurückzuführen sein - als Folge von akutem Platzmangel. Tiere, die über einen längeren Zeitraum zusammengepfercht eingesperrt sind, seien frustriert und würden daher oft anfangen, im Kreis zu laufen.

Solche Verhaltensstörungen werden auch als Zoochose bezeichnet. Sie treten oft bei Wildtieren in Gefangenschaft auf, doch auch sogenannte Nutztiere können solche Verhaltensweisen entwickeln. Dass sich immer mehr Tiere dem Kreis angeschlossen haben, erklärt Bell so: "Da Schafe Herdentiere sind, schließen sie sich ihren Freunden an."
Ob derartige Umstände das Verhalten der Schafe in der Mongolei erklärt, ob ein Schutzverhalten vorliegt oder eine andere Erklärung gefunden werden muss, lässt sich hingegen aktuelle ebenfalls nur schwer beurteilen, da eine unabhängige Untersuchung der Tiere und Haltungsumstände unwahrscheinlich erscheint.