passiv-aggressiv, manipulativ
© Deagreez / Getty Images / iStock (Symbolbild mit Fotomodell) (Ausschnitt)
Manche Menschen trödeln, mauern und schmollen - und bringen uns damit auf die Palme. Was passiv-aggressives Verhalten verursacht und wie wir uns dagegen zur Wehr setzen können.

Es gibt Leute, die sabotieren Pläne, ignorieren Absprachen und lächeln einem dabei ins Gesicht. Die Chefin hat Sie gebeten, diese Akte zu bearbeiten? Zu gerne, aber dann kam ausgerechnet ein Rohrbruch dazwischen. Dem Verlobten war es wichtig, dass Sie rechtzeitig ein Geschenk für seine Mutter besorgen. Ach Schatz, war der Geburtstag schon heute? Statt der Vorgesetzten entgegenzutreten und ihr klarzumachen, dass man ohnehin gerade in Arbeit versinkt, oder dem Partner mitzuteilen, dass man keine Lust auf solche Dienstbotengänge hat, wählen passiv-aggressive Menschen eine subtilere Strategie: Sie geben sich kooperativ, nur um den anderen dann einfach auflaufen zu lassen.

Meist bekommt man solche Menschen nicht zu fassen. Konfrontiert man sie mit ihren Taten, können sie sich leicht herauswinden: »Ich weiß gar nicht, was du meinst.« »War doch gar keine Absicht.« »Du bist aber empfindlich!« »Dass du mir so etwas überhaupt unterstellst!« Der Passiv-Aggressive dreht den Spieß geschickt um. Das eigentliche Opfer steht auf einmal selbst als Provokateur da.

»Diesen Menschen ist es wichtig, ihre eigenen Grenzen zu schützen. Sie fühlen sich schnell bevormundet und haben ein Problem mit Autoritäten«, sagt Rainer Sachse. Er ist Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie und leitet das Institut für Psychologische Psychotherapie in Bochum. »Sie sind aber nicht in der Lage, ihre Grenzen aktiv zu schützen. Daher wählen sie Techniken der passiven Sabotage

Passiv-aggressive Persönlichkeiten schießen sich selbst ins soziale Aus

Zugegeben - wir alle greifen hin und wieder zu solchen Tricks. Wir verbummeln etwas, worauf wir keine Lust haben, und schieben die Schuld auf das Wetter, die Kinder oder die Bahn. In Maßen angewandt ist das eine brillante Taktik, um Unangenehmem zu entgehen, ohne andere zu sehr vor den Kopf zu stoßen. Wird das Verhalten allerdings zur Gewohnheit, schießen wir uns langsam, aber sicher ins soziale Aus. »Wenn ich stets versichere, ›Du kannst dich auf mich verlassen‹, den anderen dann jedoch regelmäßig auflaufen lasse, reicht es demjenigen irgendwann«, erklärt Rainer Sachse: »Passive Aggressivität vergiftet Beziehungen.«

Der Therapeut erinnert sich noch gut an ein Beispiel aus einer Paartherapie. Der Ehemann wollte unbedingt den neuen Star-Wars-Film im Kino sehen - am liebsten gemeinsam mit seiner Frau. Die schien zunächst begeistert von dem Plan, endlich mal wieder etwas zusammen zu unternehmen. Eine Stunde bevor sie losmussten, fiel ihr jedoch ein: Sie hatte vergessen, im nahe gelegenen Ferienhaus des Paares die Heizung abzuschalten. Also fuhr sie schnell hin und stand auf dem Rückweg - wie sollte es anders sein - zwei Stunden im Stau. Ihr Mann verpasste den Film, auf den er sich so gefreut hatte, und war maßlos enttäuscht. »Diese Art der Sabotage läuft bewusst ab«, sagt Sachse. »Über die inneren Motive ihres passiv-aggressiven Verhaltens sind sich die Betroffenen aber meist nicht im Klaren.«

Wer harmoniebedürftig ist, straft andere eher mit Schweigen

Männer und Frauen neigen in etwa gleich stark zu passiv-aggressivem Verhalten. Es gibt allerdings Hinweise darauf, dass ein bestimmter Typ Mensch in Beziehungen besonders häufig darauf zurückgreift. Ein Team um die Psychologin Ozlem Ayduk von der University of California in Berkeley untersuchte 2003, wie Charakter und Beziehungsverhalten miteinander zusammenhängen. 56 Paare führten dafür drei Wochen lang Tagebuch über Konflikte in der Partnerschaft, dokumentierten brenzlige Situationen und ihre Gedanken dazu. Zusätzlich füllten sie verschiedene Fragebogen zu ihrer Persönlichkeit aus. Das Ergebnis: Gerade die extrem auf Harmonie bedachten Frauen und Männer reagierten besonders sensibel auf Zurückweisung - und zwar mit passiven Mitteln wie Mauern und Liebesentzug. Die empfindlichen Teilnehmer waren nicht der Typ, der auf den Tisch haut, einen leidenschaftlichen Streit vom Zaun bricht oder theatralisch Türen knallt. Stattdessen straften sie den Partner mit Schweigen, so das Fazit der Studie.

Was macht den passiv-aggressiven Charakter sonst noch aus? Dieser Frage sind Adrian Furnham und John Crump vom University College London im Jahr 2016 nachgegangen. Sie legten 4812 Briten einen Fragebogen zu passiv-aggressiven Tendenzen sowie einen gängigen Persönlichkeitstest vor, der die fünf grundlegenden Charaktereigenschaften nach dem so genannten Fünf-Faktoren-Modell erhebt. Die »Big Five« sind: Extraversion, Neurotizismus, Offenheit gegenüber neuen Erfahrungen, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit. Die fünf Faktoren setzen sich jeweils wiederum aus sechs spezifischeren Facetten zusammen. So gilt als extravertiert, wer herzlich, gesellig, durchsetzungsfähig, aktiv, abenteuerlustig und fröhlich ist. Gewissenhafte Menschen sind demnach kompetent, ordnungsliebend, pflichtbewusst, leistungsbereit, diszipliniert und besonnen. Als neurotisch gilt, wer ängstlich ist, reizbar, depressiv, impulsiv sowie in sozialen Situationen befangen und emotional verletzlich. Offenheit gegenüber neuen Erfahrungen äußert sich in Aufgeschlossenheit gegenüber Ideen, Werten, Ästhetik, Emotionen und Handlungen sowie einer blühenden Fantasie. Verträgliche Personen sind schließlich freimütig, bescheiden, gutherzig, haben Vertrauen, helfen anderen und kommen ihnen entgegen.
Passiv-Aggressive werden zwar schnell wütend, haben ihren Ärger aber sehr gut unter Kontrolle und zeigen ihn kaum
Teilnehmer, die zu passiv-aggressivem Verhalten neigten, waren laut den Big Five besonders neurotisch, also emotional labil. Außerdem zeigten sich die heimlichen Wüteriche eher introvertiert und wenig durchsetzungsstark. Neuen Erfahrungen gegenüber waren sie eigenen Angaben zufolge eher verschlossen und im Miteinander schwierig. Vor allem an Vertrauen mangelte es. Auch in puncto Gewissenhaftigkeit gehörten sie eher zu den Schlusslichtern. Bis auf eine Facette: Besonnenheit. Passiv-Aggressive werden demnach zwar schnell wütend, haben ihren Ärger aber sehr gut unter Kontrolle und zeigen ihn kaum.

Die Kontroverse um die passiv-aggressive Persönlichkeitsstörung

In ihrer extremen Form gilt die verdeckte Wut sogar offiziell als krankhaft. Die aktuelle Auflage der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) listet die passiv-aggressive Persönlichkeitsstörung als »sonstige spezifische Persönlichkeitsstörung«. Demnach handelt es sich um eine Störung, wenn der Betreffende fast immer und in unterschiedlichen Situationen passiv-aggressiv reagiert, er keine Alternativen zu diesem Verhalten kennt und damit sich und seinem Umfeld schadet.

Wie so ein Beziehungsmuster entsteht, ist schwer zu sagen. Experten wie Rainer Sachse sehen die Gründe in der Kindheit: »Die Eltern der Betroffenen waren häufig sehr dominant, übernahmen viele Entscheidungen für das Kind und respektierten dessen Grenzen nicht. Sie lasen zum Beispiel sein Tagebuch. Heranwachsende lernen dabei: ›Meine Grenzen sind nicht sicher‹ und ›Wenn ich mich wehre, wird alles nur noch schlimmer‹.« Auf diese Weise hätten Menschen mit einer passiv-aggressiven Persönlichkeitsstörung nie gelernt, offen Nein zu sagen und ihre Bedürfnisse klar zu kommunizieren. Stattdessen schluckten sie ihre Wut herunter und brächten ihren Ärger verdeckt zum Ausdruck.

Das Problem ist allerdings: Solche Hypothesen lassen sich wissenschaftlich nur schwer überprüfen. Forscher müssen sich dabei auf die Kindheitserinnerungen erwachsener Betroffener verlassen. Und die sind subjektiv und ungenau.

Generell ist die pathologische Form von passiv-aggressivem Verhalten kaum untersucht. Das ist ein Grund dafür, warum die passiv-aggressive Persönlichkeitsstörung aus dem Diagnostischen und Statistischen Manual psychischer Störungen (DSM), das die American Psychiatric Association herausgibt, gestrichen wurde. Im Gegensatz zum ICD-10 war den Autoren die Forschungslage zu dünn. Ihre Wurzeln hat die Diagnose der passiv-aggressiven Persönlichkeit im Zweiten Weltkrieg, als Soldaten den Einsatz an der Front verweigerten. Dem US-Militärpsychiater William Menninger waren damals Männer aufgefallen, die ihren Pflichten offenbar ohne offenen Protest entgehen wollten. Sie überhörten Befehle absichtlich oder stellten sich dumm. Was zu der Zeit als psychisch krank abgetan wurde, war wahrscheinlich ein kluger Versuch, dem Tod auf dem Feld zu entgehen. Die Diagnose, die ursprünglich benutzt wurde, um Deserteure zu brandmarken, fand bald Einzug in das DSM.

»Die American Psychiatric Association überdramatisierte damit normales Verhalten«, kritisiert Christopher Lane, Medizinhistoriker an der Northwestern University in Evanston, Illinois. Das Krankheitsbild ist nach wie vor unter Experten umstritten. Viele sehen in passiv-aggressivem Verhalten eher eine Charaktereigenschaft oder einen psychischen Abwehrmechanismus als eine eigenständige Persönlichkeitsstörung. Andere halten dagegen: Die Diagnose ließe sich zuverlässig stellen, und es gebe genug Betroffene. Daher bilde die passiv-aggressive Persönlichkeitsstörung eine sinnvolle Einheit, meint etwa Scott Wetzler, Leiter des Fachbereichs Psychiatrie des Albert Einstein College of Medicine in New York.

Was Betroffene und Angehörige tun können

Inzwischen ist klar, dass Passiv-Aggressive es nicht nur ihrem Umfeld, sondern auch sich selbst schwer machen. Sie haben sowohl Probleme im Privatleben als auch im Job. Eine 2012 erschienene Studie mit knapp 5000 Teilnehmern zeigt: Je extremer die Tendenz ausgeprägt ist, desto seltener werden die Betreffenden befördert.

Wer ein solches Muster bei sich erkennt, wem auf Dauer immer wieder in Partnerschaften oder im Umgang mit Freunden und Kollegen Frustration entgegenschlägt, dem kann eine Psychotherapie allen Kontroversen zum Trotz nutzen. »In der Therapie muss man die Patienten mit ihrem Verhalten konfrontieren. Oft ist ihnen gar nicht klar, dass sie selbst es sind, die mit ihrem Verhalten die Beziehungen aktiv torpedieren«, erklärt Rainer Sachse, der regelmäßig mit Betroffenen arbeitet. »Wenn dieses ungünstige Schema einmal aufgedeckt ist, kann man versuchen, es zu durchbrechen.«

Angehörigen rät er, das Verhalten einfühlsam und dennoch bestimmt anzusprechen: »Ich habe das Gefühl, du willst das nicht. Wenn das so ist, kannst du es mir ruhig sagen. Aber diesen Mist mache ich nicht mehr mit!«

So wehren Sie sich gegen getarnte Angriffe
  • Wenn das passiv-aggressive Verhalten nur hin und wieder vorkommt und sich auf bestimmte Situationen begrenzt, finden Sie praktische Regelungen. Sagen Sie zu einer chronisch verspäteten Freundin: Ich treffe mich gerne mit dir, aber lieber bei mir zu Hause. Da macht es mir weniger aus, auf dich zu warten, als vor dem Theater oder Restaurant.
  • Machen Sie sich klar, dass das Verhalten des Gegenübers wenig mit Ihnen zu tun hat. Der Betreffende sabotiert und vertrödelt, weil er seine Bedürfnisse nicht offen mitteilen kann. Vielleicht durfte er in seiner Kindheit nicht Nein sagen oder hat nie gelernt, Konflikte auf reife Weise auszutragen. Fragen Sie sich also nicht, ob Sie zur fordernd sind oder zu empfindlich reagieren.
  • Der Passiv-Aggressive überträgt seine heimliche Wut auf andere. Allerdings: Je mehr man schreit und nörgelt, desto ruhiger wird der Passiv-Aggressive. Lassen Sie sich deshalb nicht provozieren. Sie landen sonst in einer Sackgasse. Atmen Sie tief durch und äußern Sie dann möglichst nüchtern und zugleich bestimmt, was Sie stört. So hat der Passiv-Aggressive keine Chance mehr, sich als unschuldiges Opfer zu gerieren. Stattdessen muss er sich der Kritik stellen.