Forscher vom Institut für Philosophie II der Ruhr-Universität Bochum haben in einer neuen Studie drei Ebenen der Manipulation unserer eigenen Erinnerungen beschrieben. Das geschieht normalerweise automatisch und unbewusst, sodass wir Erinnerungen an wichtige Ereignisse oft so konstruieren, wie sie uns in den Kram passen.
working memory
Wir Menschen erinnern uns an vergangene Erlebnisse mithilfe des sogenannten episodischen Gedächtnissystems. Dabei können wir Erinnerungen auf drei Ebenen manipulieren. Zu diesen Erkenntnissen kommen Neuophilosophen der Ruhr-Universität Bochum in einer theoretischen Arbeit. Die Forscher erklären, wie Menschen vergangene Erlebnisse ins Gedächtnis rufen und dabei verändern. "Erinnerungen an wichtige Ereignisse konstruieren wir oft so, wie sie uns in den Kram passen."

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Dabei erinnern wir uns hauptsächlich "an bedeutende Erlebnisse, die mit besonders positiven oder besonders negativen Gefühlen verknüpft waren". Sowohl beim Einspeichern des Geschehenen als auch beim Abruf dieser gespeicherten Erinnerung manipulieren wir zumeist die Tatsachen. "Wir machen uns also unsere erinnerte Welt, ganz so, wie sie uns am liebsten passt."
Wie Dr. Roy Dings und Prof. Dr. Albert Newen vom Institut für Philosophie II der Ruhr-Universität Bochum (RUB) aktuell in der Fachzeitschrift "Review of Philosophy and Psychology" (DOI: 10.1007/s13164-021-00581-2) berichten, erinnern sich Erwachsene vor allem an bedeutende Erlebnisse, die mit besonders positiven oder besonders negativen Gefühlen verknüpft waren, etwa einen besonderen Urlaubstag, die Führerscheinprüfung oder die Hochzeit: "Die Erinnerung ist dabei kein fotografischer Ausschnitt der Vergangenheit, sondern ein Konstrukt, das zwar von der Wahrnehmung eines zurückliegenden Ereignisses gespeist ist; aber beim Einspeichern und vor allem beim Abruf der wahrgenommenen Situation setzen vielfältige Konstruktionsprozesse ein. Wir machen uns also unsere erinnerte Welt, ganz so, wie sie uns am liebsten passt.

Die Konstruktion des vergangenen Szenarios können Menschen dabei auf drei Ebenen der Verarbeitung beeinflussen, was normalerweise automatisch und unbewusst geschieht. Die Quelle des Einflusses ist das narrative Selbstbild: "Wenn wir uns mit Freunden unterhalten, erzählen wir über uns selbst genau das, was uns wichtig ist", sagt Roy Dings. "Diese Aspekte bezeichnen wir als das narrative Selbstbild."

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Die drei beschriebenen Ebenen der Beeinflussung lauten wie folgt:
"Zum Prozess der Szenario-Konstruktion gehören der Reiz, der die Erinnerung auslöst, der eigentliche Verarbeitungsprozess und das Ergebnis, also das Erinnerungsbild und die damit verknüpfte Beschreibung. Alle drei Komponenten können Menschen beeinflussen."

Wie die Autoren erläutern, "neigen wir erstens dazu, den auslösenden Reiz für positive Erinnerungen gezielt zu suchen und für negative Erinnerungen zu vermeiden. Sie stellen zum Beispiel ein Hochzeitsfoto auf den Bürotisch, meiden aber Begegnungen mit Personen, mit denen unangenehme Erinnerungen verknüpft sind.

Zweitens kann das Selbstbild auch beeinflussen, welche Hintergrundinformationen herangezogen werden, um die sparsame Gedächtnisspur zu einer lebendigen Erinnerung anzureichern; das bestimmt erst das reiche Erinnerungsbild.

Drittens kann die Beschreibung, die mit einem Erinnerungsbild verknüpft wird, sehr konkret oder eher abstrakt sein. Das Erinnerungsbild kann konkret entweder als der Beginn der Ansprache durch die Braut oder abstrakter als der Anfang des Zusammenwachsens zweier Familien beschrieben werden. Je abstrakter die verknüpfte Beschreibung, desto eher erinnert sich ein Mensch an das Erlebte aus einer Beobachterperspektive, also als Objekt in der Szene, und desto weniger intensive Gefühle sind damit verbunden. Die vom Selbstbild gewählte Beschreibungsebene beeinflusst das Erinnerungsbild und wie es erlebt wird - und zwar insbesondere, in welcher Form es dann weiter festgehalten wird."

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Albert Newen resümiert:
"Wir formen unsere Erinnerungen also im Prinzip so, dass wir unser positives Selbst schützen und die Herausforderungen durch negative Erinnerungen, die nicht zu unserem Selbstbild passen, gerne abmildern"

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