Frachtschiff mit Ladung Containern,TTIP Freihandel
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Die Verhandlungen um den transatlantischen Freihandelsvertrag sind noch lange nicht beendet, wie manche Kritiker hoffen. Die transatlantische Mobilmachung läuft auf Hochtouren. Aber inzwischen gestalten sich die Verhandlungsbedingungen für die EU besser.

Die Masche versuchten in letzter Zeit schon einige. Jetzt ruft auch Joschka Fischer den Untergang des Abendlandes aus. Den „Westen“, so der Ex-Politiker mit Wohnsitz irgendwo im Ausland, könnte es schon bald nicht geben:
„Offensichtlich sind die Fundamente der westlichen Welt - Europa, Transatlantismus und Westbindung - ins Rutschen geraten.“
Von innen, so glaubt der ehemalige Außenminister, würde ein „in fast allen Mitgliedstaaten erstarkender Nationalismus“ das Abendland bedrohen. Und von außen? Natürlich die russische Großmachtpolitik und deren Alternativmodell einer Eurasischen Union. Ohne weiter auf lästige Details wie die Osterweiterung von EU und NATO einzugehen, sieht Fischer eine „Restauration russischer Vorherrschaft in Osteuropa“ drohen.


Kommentar: Das erlaubt eine interessante Perspektive auf die Ereignisse der vergangenen drei Jahre: Laut Wikipedia laufen die Verhandlungen über TTIP seit Mitte 2013. CETA wurde von 2009 bis 2014 ausgehandelt und soll als Blaupause für TTIP ratifiziert werden. Das TTIP-Zusatzabkommen TISA wird seit Anfang 2013 hinter verschlossenen Türen besprochen. Und was wird uns seit 2014 beschert? Ein politisch konstruiertes und durch die Medien gepäppeltes Feindbild namens Putin / Russland - in Begleitung der von westlichen Eliten orchestrierten Vorgänge in der Ukraine und ihrer Einflussnahme in Syrien (Stichwort IS). Damit einhergehend die Flüchtlingskrise und der Aufstieg der AfD in Gemeinschaft mit Panikmache und Agitation gegen Geflüchtete. Um die Bevölkerung des "Abendlandes" derart in Schock zu versetzen, damit sie jede "Lösung" akzeptieren - und seien es räuberische Freihandel.


Sein flammender Appell für die „Westbindung Europas“ wird natürlich gewürzt mit allerhand Erinnerungen an die Zeit, als Amerika noch einfach gut sein konnte. Ein Ausgleich mit russischer Politik würde, so Fischers rhetorische Wendung, „quasi auf ein Jalta 2.0“ hinauslaufen. Im Klartext: Eine gemeinsame europäische Politik bedeutet die Spaltung Europas. Alles klar?

Aber selbst ein Joschka Fischer, der Krieg beginnt, um Krieg zu beenden (Jugoslawien), versteckt doch die relevante Message in seiner Madeleine Albright-Rhetorik:
„Der Anti-Amerikanismus würde noch mehr Auftrieb bekommen, bis weit in die Mitte der Gesellschaft hinein - der Transatlantismus würde einen schweren Schlag erleiden.“
Und wo wäre das am gefährlichsten? Natürlich in Deutschland, wo nach Fischers Ansicht immer der Nazi-Ungeist droht.


Kommentar: Die "Mächtigen des Abendlandes" unterstützen in transatlantischer Zusammenarbeit selbst ein national-faschistisches Regime und dessen Helfershelfer in der Ukraine. Damit tragen sie entscheidend zum Neo-Nazismus in Europa bei.


Deshalb, so Fischer, sei die nächste Wahl eine Richtungsentscheidung zwischen Angela Merkel (... und Schwarz-Grün) oder Rot-Rot-Grün. Denn in diesem Fall müsste man auf eine Linkspartei vertrauen, in der „führende Figuren“ die Nähe zu Russland pflegen:
„Raus aus oder zumindest Lockerung der Westbindung“
Natürlich musste Joschka Fischer seinen apokalyptischen Meinungsbeitrag zu zwei Dritteln im Konjunktiv verfassen: würde, hätte, sei und käme. Aber das Szenario ist deutlich. Die Transatlantiker spüren Gegenwind. In Washington bekommen einige mit, dass ihre strategischen Projekte auf Widerstand stoßen.

Für Joschka Fischer mag es sich um ein einfaches Ticket handeln, mit dem die von ihm mitbegründete Partei zurück an die Regierungsmacht segeln kann: eine Kanzlerin Angela Merkel im Bündnis mit den Grünen. Aber für die transatlantischen Machtgruppen geht es um mehr. Ihre Vision einer Desintegration Europas, die wirtschaftliche und politische Kontrolle über Westeuropa, steht auf dem Spiel.

Das strategische Projekt für die Kontrolle im 21. Jahrhundert, die transatlantischen Freihandelsverträge CETA, TTIP und TISA, ist gefährdet. Bisher verhandelten die nordamerikanischen Partner solche Angelegenheiten hinter verschlossenen Türen mit der Europäischen Kommission. Neuerdings steigt jedoch der Druck, die nationalen Regierungen an den Entscheidungen zu beteiligen.

Deutschland und Frankreich versuchen die Vertragswerke als „gemischte Verträge“ einzustufen, die von den nationalen Parlamenten bestätigt werden müssen. Anfang Oktober wird die 15. Verhandlungsrunde für TTIP in New York stattfinden. Es wird die letzte Runde unter der Regierung von Barack Obama, der eigentlich versprochen hatte, den Vertrag bis Ende des Jahres fertig zu formulieren.

Das gilt bereits jetzt als ein unrealistisches Ziel. Zahlreiche Kapitel der Vereinbarung enthalten noch keine endgültige Formulierung. Während Washington weiter darauf beharrt, die Verhandlungen schnell abzuschließen, drücken viele EU-Vertreter auf die Bremse. Der österreichische Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner und der französische Handelsminister Matthias Fekl haben sich sogar dafür ausgesprochen, die Verhandlungen komplett abzubrechen und irgendwann unter einem anderen Namen neu zu beginnen.


Kommentar: "Unter einem neuen Namen " = alter Wein in neuen Schläuchen. Bei Abbruch der Verhandlungen gewinnt die Bevölkerung einerseits Zeit. Aber wer weiß, was die Machthaber in dieser Zeit aushecken, um die Leute doch noch dazu zu bringen, den Freihandel zu unterstützen?


Gleichzeitig hat die EU mit Großbritannien den härtesten Befürworter eines Handelsabkommens mit den USA verloren. Der Austritt der Briten hat das Machtgleichgewicht innerhalb der Union verschoben: weg von den Wirtschaftsliberalen hin zu denjenigen, die größere Abschirmung und einen stärkeren Fokus auf den europäischen Markt unterstützen. Aus der Perpektive der USA macht der Brexit den europäischen Markt kleiner und damit wertloser - und die EU-Beamten zu schwierigeren Verhandlungspartnern.


Gerade die Vertreter der transnationalen Konzerne sehen mit Besorgnis, dass die einzigen in Europa populären EU-Entscheidungen neue Regulierungen gegen US-Konzerne wie Apple, Google und Facebook betreffen. Wegen dieser erfolgreichen Kartell- und Steuerentscheidungen, so ist aus Brüssel zu hören, fühlen sich auch zahlreiche Beamte bestärkt, bei den TTIP-Verhandlungen gegenüber den USA einen härteren Ton anzuschlagen.

Und was den Kumpanen von Joschka Fischer am meisten Sorgen bereitet: Die Länder mit der schärfsten TTIP-Kritik sind diejenigen mit dem größten Einfluss auf die EU-Institutionen. In Deutschland, wo beinahe die Hälfte des Inlandsproduktes und jeder vierte Arbeitsplatz vom Export abhängt, ist die Zustimmung zu TTIP laut Bertelsmann von 55 Prozent im Jahr 2014 auf aktuell nur noch 17 Prozent gefallen.

In Frankreich, wo eine gepflegte US-Kritik ohnehin zum Common-Sense der politischen Klasse gehört, erklärte Präsident François Hollande, dass in den Verhandlungen die europäischen Positionen „nicht respektiert“ werden. Er wies gleich darauf hin, dass Paris bereit sei, die TTIP-Verhandlungen komplett abzusagen. In Österreich wetteifern die Präsidentschaftskandidaten - der rechtspopulistische Norbert Hofer und der Grüne Alexander Van der Bellen - darum, wer der härteste Anti-TTIP-Kandidat ist.

Haben die TTIP-Gegner also fast gewonnen, wie es in der Öffentlichkeit manchmal heißt? Wohl kaum. Das Projekt befindet sich aber auf der Kippe. Aber alle Anti-TTIP-Aktivisten seien an das Schicksal der Proteste gegen den amerikanisch-asiatischen Freihandelsvertrag erinnert. Im vergangenen Sommer hieß es in der Weltpresse über Wochen hinweg: „TPP ist tot“. Als sich die Verhandlungspartner
jedoch im Oktober 2015 trafen, unterzeichneten sie - völlig überraschend für die Kritiker - ein fertiges Vertragswerk.



Kommentar: Die Annahme, dass TTIP sozusagen tot ist, kann also dazu zum Nachlassen der Wachsamkeit verführen. Also: schläfrig zu werden, um dann mit einem schmerzhaften Knall zu erwachen.


Angela Merkel unterstützt das Projekt nach wie vor. Sie erhofft sich, dass die deutsche Handelsmacht gestärkt wird und ein transatlantisches Bündnis jenseits von Sicherheits- und Verteidigungspolitik geschaffen wird. Zusammen mit der Erweiterung der NATO und der EU würde ein neuer barrierefreier Markt die größte transatlantische Allianz schaffen. Westeuropa und die Vereinigten Staaten wären auf Jahrzehnte verbunden und könnten Länder wie China und Russland effektiver eindämmen.

Dass jedoch gerade in dieser Vision die Spaltung Europas besteht, ein Jalta 2.0 sozusagen, und Europa sich damit aller strategischer Vorteile beraubt, die seine Mittellage geographisch nun einmal bietet, dass ahnen vielleicht die Wirtschaftslenker, welche die russischen und chinesischen Investitionen in Europa verfolgen.