Plakat Freiheitsstatue TTIP
© Reuters / Kai Pfaffenbach
Sehr herzlich soll das Treffen zwischen dem aus dem Amt scheidenden US-Präsidenten Barack Obama und der deutschen Kanzlerin Angela Merkel Ende April in Hannover verlaufen sein. Herzlich waren ihre Begegnungen mit Obamas Vorgänger George W. Bush allerdings auch vor acht Jahren. Auch damals wurden die bilateralen Visiten von heftigen Protesten begleitet, die die deutsche Bundesregierung achselzuckend zur Kenntnis nahm. Diesmal ist es die Debatte um das transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP), die nach der jüngsten Veröffentlichung geheimgehaltener Dokumente durch Greenpeace an Brisanz gewinnt.

Was als eines der Kernanliegen Obamas nach Hannover mitgebracht und von Merkel als "ehrgeiziges Abkommen" hochgelobt wurde, bedeutet für Kritiker die vollständige Aufgabe nationaler Souveränität und Selbstbestimmung in wirtschaftlichen und sozialpolitischen Belangen — von der Zulassung genmanipulierter Importgüter bis hin zur Weitergabe persönlicher Daten.

Der Zeitpunkt ist nicht unklug gewählt. Die Ukraine-Krise hat die Situation eines neuen Kalten Krieges an den Grenzen zu Russland wiederhergestellt. Saudi-Arabien droht den USA durch die (ebenfalls strategisch kalkulierte) Öffnung zum Iran als Bündnispartner zu entgleiten, da es scheinbar abweichende Ansichten zur Neuordnung des Nahen Ostens gibt. Außerdem strebt China die Verwirklichung des Projekts einer Neuen Seidenstraße an, die die Ökonomien Ost- und Zentralasiens, Russlands und Europas verbinden soll. Chinas expandierendem Wachstumsmarkt versuchen die USA daher mehrfach zu trotzen: Einerseits müssen aufsteigende chinesische Mobilfunkunternehmen wie Huawei und ZTE Sanktionen hinnehmen. Andererseits drängte Obama auf die Ratifizierung der Trans-Pazifischen Partnerschaft (TPP) zwischen den USA, Australien und mehreren Pazifik-Ländern. Das Abkommen wurde im Februar von zwölf Staaten unterzeichnet.

Der Druck, mit dem ein ähnliches Abkommen in der EU forciert wird, sollte angesichts dieser Hintergründe also nicht länger verwundern. Die Euphorie, mit der die deutsche Kanzlerin dem Deal zustimmt, überrascht vielleicht viel mehr. Abhörskandale durch den US-Auslandsgeheimdienst NSA scheinen Merkel jedenfalls weit weniger gekümmert zu haben als die aktuellen Greenpeace-Leaks zwecks besserer Aufklärung der Weltöffentlichkeit über die TTIP-Inhalte.

Die Regierungsvertreter der EU müssen sich allmählich entscheiden, welches Europa sie den künftigen Generationen überlassen wollen: Soll es ein von der militanten US-Außenpolitik nun bald auch ökonomisch abhängiges Europa sein? Soll eine überwachte Staatenunion entstehen, in der die Bürger immer weniger Mitbestimmung genießen und sich in Folge dessen radikalen Bewegungen und Parteien zuwenden? Oder soll Europa doch wieder zu seiner Vermittlerrolle zurückfinden, wo die Anliegen der Zivilbevölkerung wahrgenommen und respektiert werden? Obama und Merkel haben offensichtlich ihre Entscheidung bereits getroffen.

Quelle: wienerzeitung.at

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