Die ehemalige Nordsee-Insel Doggerland gilt als Garten Eden der Steinzeit. Warum verschwand sie? Eine Simulation dokumentiert eine Katastrophe: Tsunamis haben vor 8000 Jahren das Eiland überrollt.

Schottisches Hochland
© CorbusSchottisches Hochland: 10 Meter hohe Wellen überraschten die Küstenbewohner vor 8000 Jahren
Unsere steinzeitlichen Vorfahren hatten es gut in Doggerland, jener grünen Landschaft, die einst blühte, wo jetzt die Nordsee schwappt. Hunderte Funde von Steinwerkzeugen, Harpunen und menschlichen Knochen am Nordseegrund zeugen von Siedlungen, die Archäologen als "Garten Eden" bezeichnen, als das "wahre Herz Europas". Man gelangte seinerzeit zu Fuß vom heutigen Norddeutschland nach Großbritannien.

Doch das Paradies war verletzlich. Die nacheiszeitliche Gletscherschmelze setzte sich fort, stetig hob ihr Schmelzwasser die Meere, die Nordsee drang vor. Erst schluckte sie Sümpfe und Täler auf Doggerland. Bald waren die Siedlungen auf einer Insel isoliert. Und jetzt meinen Forscher beweisen zu können, wie Doggerland ganz verschwand.

Computersimulationen einer Gruppe um Jon Hill vom Imperial College London zeigen Dramatisches: Tsunamis rasten über die Nordsee, sie schluckten die Insel. Es handelte sich um die ersten Simulationen, die den wahren damaligen Wasserstand berücksichtigen, berichtete Hill auf der Jahrestagung der Europäischen Geowissenschaftlichen Union (EGU) in Wien.

Nordseebodens und Länder
© AMCG / Jon Hill / iCLRelief des Nordseebodens und Landmassen heute: In der Steinzeit stand der Meeresspiegel tiefer, einige heutige Untiefen (schwarz) ragten als Inseln aus dem Meer.
Die Arbeit bestätigt eine alte Vermutung: Doggerland wurde Opfer einer der größten Lawinen aller Zeiten. Vor rund 8000 Jahren löste sich vor der Küste Norwegens zwischen Bergen und Trondheim ein Geröllpaket von der Größe Islands, es rutschte am Kontinentalhang kilometerweit in die Tiefsee. Wie ein Stein, der in eine Pfütze plumpst, warf die sogenannte Storegga-Rutschung Wellen auf, die sich mit dem Tempo eines Schnellzuges kreisförmig ausbreiteten.
Storegga Rutschung
© AMCG / Jon Hill / ICLStoregga Rutschung: Vor rund 8000 Jahren löste sich vor der Küste Norwegens
Am Lagerfeuer überrascht

Nach wenigen Stunden brachen Riesenwellen an die Küsten. Archäologen haben vielerorts Spuren der Katastrophe entdeckt: Im Osten Schottlands nahe dem heutigen Inverness muss die Welle Steinzeitmenschen am Lagerfeuer überrascht haben, wie 25 Zentimeter dicke Sand- und Kiesablagerungen über einer Feuerstelle zeigen - sie befand sich damals auf einer Anhöhe, zehn Meter über dem Meer. Seeigelreste, Meeresmuscheln und Algen dokumentieren den Wasserstrom, der alles mitgerissen hat.

In Norwegen, auf den Shetland-Inseln und den Färöern liegen die Spuren der Verwüstung sogar noch höher über dem damaligen Meeresspiegel, bis zu 20 Meter hohe Wogen krachten dort an Land, berichtet Hill. Die Altersbestimmung der Ablagerungen ergab übereinstimmend ein Alter von rund 8000 Jahren. Über Folgen der Wellen für Doggerland aber konnte bislang nur spekuliert werden.

In ihrer Arbeit rekonstruierten Hill und seine Kollegen die damalige Landschaft am Computer: "Weite Teile Doggerlands lagen weniger als fünf Meter über dem Meeresspiegel", berichten sie.
Bild
© AMGC / Jon Hill / ICLGeografie vor 8000 Jahren: In der Nordsee lag die Insel Doggerland. Sie ragte größtenteils weniger als 5 Meter aus dem Meer.
Glücksfall für Friesland

Ihre Simulationen zeigen dramatische Momente: Bis zu fünf Meter hohe Tsunamis rauschten auf die Insel. "Doggerland könnte komplett überschwemmt worden sein", sagte Hill bei der Präsentation seiner Studie auf der EGU-Tagung. Weite Teile des sandigen Bodens wurden weggespült. Die Storegga-Rutschung sei wahrscheinlich die Ursache für das Ende der Siedlungsgeschichte auf Doggerland, meinen die Forscher.

Das Schicksal der Insel erwies sich als Glücksfall für die Küsten in ihrem Rücken: Doggerland wirkte als Wellenbrecher, so dass die deutsche Nordseeküste, die Niederlande und Südengland lediglich einen Meter hohe Tsunamis zu überstehen hatten, berichtet Hill.

Gleichwohl waren es heftige Fluten auch dort: Tsunamis wirken vor allem durch ihre extremen Wellenlängen von mehreren hundert Kilometern, die rapide Strömungen weit ins Land spülen. Auch das heutige Friesland etwa dürfte also große Mengen Sand verloren haben.
Simulierte Wellenhöhen: Bis 20 Meter hohe Wellen krachten nach der Storegga-Rutschung auf die Küsten
© AMGC / Jon Hill / ICLSimulierte Wellenhöhen: Bis 20 Meter hohe Wellen krachten nach der Storegga-Rutschung auf die Küsten, zeigen Rechnungen einer Foerschergruppe um Jon Hill vom Imperial College London.
Doggerland aber war vernichtend getroffen. Allenfalls Rudimente der Insel ragten nach der Katastrophe aus der Nordsee, meint Hill. Das einstige Herz von Europa hatte aufgehört zu schlagen.