Kulturen, die lange währen, erarbeiten einen geschützten Raum für all jene, die nationale Mythen hinterfragen und anfechten. Künstler, Autoren, Dichter, Aktivisten, Journalisten, Philosophen, Tänzer, Musiker, Schauspieler, Regisseure und Abtrünnige müssen toleriert werden, wenn eine Kultur auf dem Weg zur Katastrophe gebremst werden soll. Angehörige dieser intellektuellen und künstlerischen Klasse, die normalerweise nicht in den langweiligen Hallen der Akademiker willkommen sind, in denen das Mittelmaß sich durchsetzt, dienen als Propheten. Von der Macht-Elite werden sie ignoriert oder als subversiv gebrandmarkt, weil sie nicht an der Selbstverehrung der Allgemeinheit teilnehmen. Sie zwingen uns dazu, uns selbst mit nicht hinterfragten Annahmen zu konfrontieren, und zwar solchen, die, wenn sie nicht hinterfragt werden, in den Untergang führen. Sie entlarven die herrschende Elite als hohl und korrupt.
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Sie weisen auf die Sinnlosigkeit des Systems hin, das auf der Ideologie von grenzenlosem Wachstum, endloser Ausbeutung und ständiger Expansion beruht. Sie warnen uns vor dem Gift des Karrierismus und der Sinnlosigkeit einer Suche nach Glück durch die Anhäufung von Reichtum. Sie halten uns einen Spiegel vor: von der bitteren Realität der Sklaverei und Jim Crow, vom völkermörderischen Abschlachten der amerikanischen Ureinwohner, über die Unterdrückung der Arbeiterbewegung bis zu den Grausamkeiten im Namen imperialistischer Kriege und der Zerstörung des Ökosystems. Sie verunsichern unseren Glauben an unsere eigene Tugendhaftigkeit. Sie fordern die vereinfachten Klichés heraus, mit denen wir unsere Nation beschreiben - das Land der Freien, das großartigste Land der Welt, der Leuchtturm der Freiheit - um dann unsere eigene Dunkelheit, unsere Verbrechen und unsere Ignoranz zu beleuchten. Damit bieten sie uns die Möglichkeit eines erfüllenden Lebens und der Möglichkeit der Transformation an.
Menschliche Gesellschaften sehen was sie sehen wollen. Sie erschaffen nationale Mythen einer Identität aus einer Mischung von historischen Begebenheiten und Fantasie. Sie ignorieren unangenehme Fakten, welche die Selbst-Glorifizierung stören. Sie vertrauen naiv auf die Idee eines linearen Fortschritts und auf eine abgesicherte nationale Vorherrschaft. Darum geht es beim Nationalismus - um Lügen. Und wenn eine Kultur ihre Fähigkeit des Denkens und Ausdrucks verliert, wenn sie abtrünnige Stimmen zum Schweigen bringt, wenn sie sich zurückzieht in das was Sigmund Freud als "screen memories" bezeichnet - jene beruhigenden Mischungen aus Fakt und Fiktion - dann stirbt sie. Sie verliert ihren inneren Mechanismus, der die Selbsttäuschung aufzeigt. Sie führt Krieg gegen die Schönheit und die Wahrheit. Sie schafft das Heilige ab. Aus der Bildung macht sie eine reine Berufsausbildung. Sie macht uns blind. Und genau das ist geschehen. Wir sind Schiffbrüchige in einem wilden Sturm. Wie wissen nicht mehr wo wir sind. Wir wissen nicht wohin wir treiben. Und wir wissen nicht was uns noch bevorsteht.
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