Es wäre ein Tag zum Feiern - wäre es kein Tag wie alle anderen. Heute vor sechs Jahren war der Startschuss des Nachrichtenspiegels, gedacht als Plattform für Blogger, für Graswurzeljournalismus, für alternative Meinungsbildung. Sechs Jahre später ist das Kernteam immer noch da, viele andere sind verschollen. Es zeigt sich, dass man mit der Idee Geld hätte verdienen können, doch ... wir waren nicht zum Geld verdienen aufgestellt. Manche haben uns gerade deshalb verlassen: man wird ja nicht bezahlt. Andere gingen, weil ihre Artikel nicht genug Leser hatten und die Kollegen nicht dafür sorgten, dass sich daran was ändert (wie sollten sie auch). Wiederum andere wollten Führung übernehmen - was in einem Autorenkollektiv schlecht abbildbar ist. Manche wanderten ins rechtsextreme Lager ab - was deutlich mehr Leser bringt, weil der Zeitgeist eben rechts ist. Was geblieben ist? Ein freier, unabhängiger Think-Tank am Rande der Gesellschaft, ein Ort, in dem man ruhig und unverfolgt seine Gedanken formulieren kann und offene Ohren findet - und gelegentlich einen Ausblick auf die Zukunft wagt, der nicht ganz mit der Anweisung der Bundeskanzlerin übereinstimmt, ab sofort alles nur noch rosig zu betrachten.
Deutschland geht es gut, so die Parole - woraus man schließen kann, dass jene, denen es nicht gut geht, eben nicht zu Deutschland gehören. Sie haben auch einen Namen: „Prekariat“ heißen sie. Sie haben die Proletarier als neue Elendsklasse abgelöst, unterscheiden sich aber sehr von ihr:
die Arbeitskraft des Proletariats war unverzichtbar für die Massenproduktion, das Prekariat ist einfach ... überflüssig. Zudem ist es außerordentlich heterogen (also: in sich verschieden) wie die Uni Jena ausführt (siehe
Uni-Jena)
„Es ist der Leiharbeiter, der bei einer besseren Auftragslage für drei Monate eingestellt wird, um gemeinsam mit den Stammarbeitern, aber für wesentlich weniger Gehalt im Schichtdienst zu schaffen. Es ist die hochqualifizierte Dauer- Praktikantin, die in diesem Jahr bereits zum dritten Mal umzieht, in der Hoffnung, über dieses neue Praktikum endlich den Berufseinstieg zu schaffen. Es ist die junge Mutter, die nach der Babypause Schwierigkeiten hat, in ihrem alten Beruf eine Arbeitsstelle zu finden und die nun auf Minijob-Basis im Supermarkt aushilft.“
Ich würde den Kreis der Prekarianer noch weiter ziehen: der Arbeitslose, der von Maßnahme zu Maßnahme geschickt wird, um die steuerfinanzierte Arbeitslosenindustrie zu beschäftigen, der Früh- und Niedrigrentner, der in Papierkörben nach Pfandflaschen sucht, die „Ich-AG“, die all ihre Ressourcen verpulvert, um für eine Zeit lang so tun zu können, als gehöre man zum guten Deutschland, dem es gut geht, dazu, die ehemalige, hart arbeitende Millionärin mit akademischem Abschluss, die nun arbeits- und zukunftslos ist, weil ihr Vermögen vom „Neuen Markt“ völlig vernichtet wurde (einen solchen Fall schildert Dirk Kurbjuweit in: Unser effizientes Leben, Rowohl, März 2003, Seite 110), zudem ein cirka 2 Millionen Kinder (also; jedes siebte Kind, siehe
Zeit), die von vornherein keine Chance haben (sollen), um als Konkurrenten für die Kinder der Etablierten nicht im Wege zu stehen, jene Klassenkameraden, mit denen sie noch nicht mal im Sommer zusammen Eis essen gehen können, weil der Preis für drei Kugeln Eis höher ist als ihr „Regelsatz“ für den ganzen Tag, dieses Gemeinschaftserlebnis also nur durch Hunger zu erkaufen wäre.
Kommentar: Wenn bei Versicherungen Gewinne einbrechen, ist das eindeutig ein Beleg, dass die Unwetter sehr stark angestiegen sind, denn Zahlen lügen (fast) nicht.