Wie Lobbyisten die Prinzipien der parlamentarischen Demokratie unterlaufen

Die Macht von Interessengruppen in Berlin und Brüssel ist unübersehbar. Kein Politikfeld, auf das Lobbyisten keinen Einfluss nähmen. Doch offenbar haben sie mit ihrem professionellen Druck- und Einfluss-System (sic) überzogen. Immer mehr Spitzenpolitikern geht die Arbeit der Lobbyisten zu weit. So forderte Bundesfinanzminister Peer Steinbrück in seiner traditionellen Rede beim Neujahrsempfang der Frankfurter Industrie- und Handelskammer: "Lobbyisten in die Produktion". Als zuständiger Minister müsse er für eine "zukunftsfähige Haushalts- und Finanzpolitik ein robustes Immunsystem entwickeln gegen die Attacken der organisierten Einzelinteressen". Ähnlich äußerte sich jüngst Gesundheitsministerin Ulla Schmidt: "Ich wünsche mir bei allen drei Koalitionspartnern die Nervenstärke, dass alle sagen: Bis die Fusionen (der Krankenkassen, d. A.) und die echte Kostendämpfung erfolgt sind, setzen die Lobbyisten bei uns keinen Fuß mehr in die Tür."
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Rund um das Gesundheitsministerium sind 430 Lobbyverbände angesiedelt, die die Interessen ihrer Auftraggeber durchsetzen wollen. Die Probe aufs Exempel steht aber noch aus. Im Lauf dieses Jahres will die Große Koalition einen Entwurf für eine umfassende Reform des Gesundheitssystems vorlegen. Dies kann aber nur gelingen, wenn die Blockade- und Gestaltungsmacht der Lobbygruppen gebrochen wird.

Trotz der neuen Distanz pflegen Politiker den Kontakt zu Lobbyisten. Denn von ihnen erhalten sie einen wichtigen politischen Rohstoff: Information. Versicherungsmathematiker und Rechtsexperten von Verbänden und Lobbygruppen, aber auch von großen unabhängigen Anwaltskanzleien, agieren schneller als der wissenschaftliche Dienst des Bundestages. Ihre Interpretation von Daten und die Wertung von komplizierten Rechtsfragen sind aber stets interessengeleitet.

Viele Politiker nutzen auch die Angebote der Interessengruppen und wechseln nach ihrer Politikkarriere in deren Lager. Beobachten ließ sich dies exemplarisch beim vergangenen Regierungswechsel. Nicht nur Gerhard Schröder fand schnell einen Job in der Wirtschaft als Aufsichtsratsvorsitzender der deutsch-russischen Ostseegaspipeline, als Berater des Schweizer Verlegers Ringier und der Ruhrkohle AG an der Seite seines Ex-Wirtschaftsministers Werner Müller.

Auch sein Staatssekretär im Finanzministerium, Caio Koch-Weser , will in das Management der Deutschen Bank wechseln. Koch-Weser war für den Verkauf der Russland-Schulden an die Kreditwirtschaft zuständig. Beteiligt an der Transaktion war die Deutsche Bank. Ex-Wirtschaftsminister Wolfgang Clement , übernimmt nun ein Aufsichtsratsmandat bei RWE Power und der Dussmann-Gruppe, die viele Geschäfte mit der "öffentlichen Hand" macht. Hans Martin Bury, Staatsminister im Kanzleramt, wechselte als Managing Direktor zum Bankhaus Lehmann Brothers.

Anatomie des Lobbying heute - professionell und ressourcenstark


Lobbying wird von Personen betrieben, die am politischen Entscheidungsprozess nicht selbst beteiligt sind und über kein demokratisches Mandat verfügen. Sie sind eine Macht ohne Legitimation. Lobbyisten haben das Ziel, den Interessen ihrer Auftraggeber möglichst umfassende Berücksichtigung bei politischen Entscheidungen zu verschaffen. Der Lobbyist steht symbolisch vor dem Parlament und hat weder Sitz noch Stimme in ihm.

Lobbying konzentriert sich vor allem auf die einflussreichen Personen im Regierungsapparat und den Fraktionsspitzen, die Entscheidungen vorbereiten und durchsetzen. Dieser Personenkreis umfasst die gesamte Ministerialbürokratie mitsamt dem Kanzleramt, die Referenten in den Regierungsfraktionen, wichtige Politiker wie Ausschussvorsitzende oder Fraktionssprecher für zentrale Politikbereiche wie Gesundheit, Rente, Finanzen und Wirtschaft. Die Lobbyisten wollen Gesetzentwürfe möglichst schon in der Entstehungsphase prägen und als bedenklich empfundene Konzepte "frühzeitig versenken".

Im Kampf der Interessen haben sich in den vergangenen Jahren wesentliche Faktoren im parlamentarischen Machtgeflecht verändert. Die Einträge in der "Lobby-Liste" des Deutschen Bundestages nehmen kontinuierlich zu und liegen gegenwärtig bei knapp 1.900 Verbänden. In Berlin, so wird geschätzt, gibt es rund 4.500 Lobbyisten. Für Brüssel schwanken die Schätzungen zwischen 10.000 und 25.000 Lobbyisten. Zu ihnen gehören immer mehr Repräsentanten einzelner Konzerne.

Das moderne Lobbying unterscheidet sich grundlegend von der verbandlichen Interessenvertretung der vergangenen Jahrzehnte. Besonders die großen Wirtschaftsverbände arbeiten ständig mit den entsprechenden Ministerien zusammen. Die Expertenstäbe auf beiden Seiten verfügen über jahrelang gewachsene persönliche Kontaktnetzwerke. Zudem hatten die Verbände überwiegend den Anspruch, den nackten Interessenkampf zu zähmen und breitere Interessen zu formen.

Anders ist dies beim Lobbying. Es ist punktueller und situationsbezogener. Es artikuliert in der Regel ein konkretes, eng definiertes Einzelinteresse. Im Fall der Strom- und Gaspreise war dies das Interesse der vier Energieerzeuger, E.on, RWE, Vattenfall und EnBW an hohen Preisen in ihren Versorgungsgebieten. Die Energiemärkte wurden mit Hilfe der Politik neu aufgeteilt; vom versprochenen Wettbewerb hat der Verbraucher bislang jedoch nicht profitiert.

Neue Akteure ohne Legitimation im Regierungsviertel

Die Partikularisierung der Interessenvertretung hat Folgen für den Politikbetrieb. Der schwedische Energiekonzern Vattenfall beispielsweise hatte die Lobby-Agentur Wirtschaft, Medien, Politik (WMP) beauftragt, Kontakte zu knüpfen, um den Kauf der ostdeutschen Energieversorger einzufädeln. Immer mehr Konzerne leisten sich sogar ein eigenes Lobbybüro in Berlin und Brüssel. In Berlin gibt es rund 100 davon. Hinzu kommen etwa 30 Agenturen, die Lobbying als Dienstleistung anbieten und immer mehr international tätige Anwaltskanzleien, die bei der Gesetzgebung mitmischen.

So hat die SPD-Fraktion zum Ende der ausgelaufenen Legislaturperiode das neue Gesetz zu Öffentlich-Privaten Partnerschaften zum Teil von der Kanzlei Hogan & Hartson Raue L.L.P. mit Sitz am Potsdamer Platz in Berlin schreiben lassen. Das Gesetz schafft die Grundlage dafür, dass Straßen und öffentliche Gebäude von Privaten gebaut und betrieben werden können. Zwar waren in den verschiedenen Arbeitsgruppen auch Parlamentarier am Arbeitsprozess beteiligt. Der Fall zeigt aber: immer häufiger kommen Gesetzesentwürfe nicht mehr aus der Ministerialbürokratie, sondern von Lobbyisten und politikberatenden Think Tanks.

Zur Infrastruktur der Lobbyisten gehören nicht nur die Büros rund um das Berliner Machtzentrum. Dazu gehören auch Diskussionskreise wie das "Collegium" der 30 Dax-Unternehmen, die "Junge Lobby" und der "Dreißiger Multiplikatoren-Kreis", in denen Themen strikt intern besprochen und der Kontakt mit Ministeriumsmitarbeitern deshalb intensiv gepflegt werden kann. Hier werden auch Marschrouten bei größeren Vorhaben festgelegt, Sachbündnisse geschmiedet und Kontaktnetzwerke geknüpft.

Lobbying untergräbt demokratische Prozesse

Die Macht der Interessengruppen war für Demokratien schon immer eine Herausforderung. Das quantitativ zunehmende und qualitativ professionalisierte Lobbying verschärft dieses Problem aber noch. Interessengruppen aus der Wirtschaft (Wirtschaftsverbände, Unternehmen, Handelskammern, Gewerkschaften) haben in unserem politischen System einen höheren Stellenwert als so genannte public interest groups wie Verbraucher, Arbeitslose, Rentner, Kinder, Umwelt oder künftige Generationen.

Ein wichtiges Kennzeichen des Lobbyings ist sein informeller Charakter. Es gibt keine Verfahren und Regeln für die lobbyistische Politikbeeinflussung. Darüber hinaus gehen Lobbyisten ihren Geschäften gezielt abseits der Öffentlichkeit nach. "Unsere Arbeit ist prinzipiell nicht öffentlichkeitsfähig", heißt es immer wieder. Über Erfolge zu berichten würde bedeuten, künftige Erfolge zunichte zu machen. Politik verlagert sich dadurch immer mehr in "graue Entscheidungsbereiche" (Wolf-Dieter Zumpfort, TUI) abseits der Öffentlichkeit und jenseits des Parlaments. Lobbying kommt daher dem Anspruch von Demokratien nach größtmöglicher Transparenz und Regelhaftigkeit des Regierungshandelns nicht nach. Ministerialbeamte, Minister und Staatssekretäre sind dem Gemeinwohl verpflichtet. Interessenunabhängigkeit ist ihr Vertrauenskapital. Die Öffentlichkeit hat deshalb das Recht, zu erfahren, welche Interessen bei politischen Entscheidungen im Spiel waren. Dies wird aber immer schwieriger, wenn komplette Gesetzesvorlagen von den Lobbyisten ohne erkennbaren Absender geliefert werden. Die Aushöhlung des Parlaments mit seinen Funktionen, Politik zu formulieren und zu kontrollieren, schreitet weiter voran.

Gleichwohl ist es in einer jeden Demokratie legitim, dass sich Interessengruppen bilden, die durch Informationen, Analysen und Bewertungen auf die Politik einwirken. Jedoch sind Regeln für das Lobbying überfällig. Von konservativer Seite wird vor allem die Aushöhlung des Parlaments beklagt. Ein Vorschlag geht dahin, die Abgeordneten in ihrer Rolle als Wahrer des Gemeinwohls zu stärken. Ihnen sollen mehr Ressourcen zur Verfügung stehen, um nicht allein auf die "Expertise" der Lobbyisten angewiesen zu sein. Auch Linke empfehlen eine Stärkung des Staates und der Repräsentationsfunktion der Abgeordneten.

Eine andere Idee kommt aus den USA und wird auch in Brüssel zunehmend verfolgt. Lobbygruppen sollen transparenter arbeiten. Seit dem Lobby Disclosure Act von 1995 sind amerikanische Lobbyisten zu zahlreichen Angaben verpflichtet. Sie müssen Auskunft geben über ihre Honorare, ihre Kunden, ihre Ausgaben, die Themen, zu denen sie gearbeitet haben und zu welchen Regierungsbehörden sie in diesem Zusammenhang Kontakt hatten. Diese Angaben sind für jedermann über das Internet einsehbar. Hinzu kommen ethische Selbstverpflichtungen, welche Methoden akzeptabel sind und welche nicht.
Thomas Leif und Rudolf Speth sind Herausgeber des Sammelbandes "Die fünfte Gewalt: Lobbyismus in Deutschland". Das Buch ist erschienen in der Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, wo es gegen ein geringes Entgeltbezogen werden kann. Die Buchhandelsausgabe erscheint im VS-Verlag, Wiesbaden.