Immer mehr Menschen machen sich abhängig von einer einzigen Kommunikationsplattform: Facebook. Sie verabreden sich, sie chatten, sie veröffentlichen Fotos und äußern ihre Meinung. Umso größer der Schock, wenn plötzlich alles weg ist oder erhebliche Lücken in den veröffentlichten Informationen klaffen. So geschehen dem Autor Jürgen Elsässer...
Facebook
© Annette Shaff/Shutterstock.com
George Orwell hätte gestaunt: Ein dubioser amerikanischer Computerkonzern verwaltet die sozialen Beziehungen von über einer Milliarde Menschen. Und die werden nicht etwa dazu gezwungen, sondern vertrauen ihre Gedanken, Fotos und Beziehungen ganz freiwillig dem Computernetzwerk an, bis sie komplett darauf angewiesen sind. Und dann sitzt der Konzern am Drücker - bei jedem Einzelnen und auch bei allen zusammen. Hat der Multi erst einmal genügend soziale Beziehungen aufgesaugt, gehen andere Plattformen ein, und die Menschen sind total abhängig.

Die Rede ist von Onlineplattformen wie Facebook. Dienste wie dieser oder auch Wikipedia und YouTube hatten den Sinn, aus einem Internet, das allen gehörte, ein Internet zu machen, das nur wenigen gehört - durch Monopolisierung. Die monopolistischen Plattformen dieses so genannten »Web 2.0« ziehen so viele Nutzer an, dass irgendwann jeder dazugehören möchte und muss. Während sie die Millionen- oder Milliardenstädte des Internets repräsentieren, sind alles andere nur Dörfer oder einzelne Häuser, die kaum jemand besucht. So bringt man das Internet unter Kontrolle. Und so sind die meisten Internetnutzer plötzlich Diensten wie Facebook, YouTube, Google oder Wikipedia ausgeliefert. Das heißt, Facebook & Co. sind ein Teil der Diktatur der Neuen Weltordnung, die global Meinungen und Beziehungen beobachten und kontrollieren will. Und wenn man erst mal genügend Meinungen und Beziehungen unter Kontrolle hat, hat man es geschafft.

Knopfdruck genügt...

Bei all diesen Diensten genügt technisch gesehen ein Knopfdruck, um Informationen zu eliminieren - oder auch Beziehungen. Schwarzmalerei? Eine Gruselvorstellung? Mitnichten - sondern aktuelle Realität. Diese Erfahrung musste jetzt Jürgen Elsässer machen, Autor und Chefredakteur des Nachrichtenmagazins Compact. »Wir haben die von Dir geposteten Inhalte entfernt«, meldete sich am 21. Februar 2013 die Online-Plattform Facebook bei ihm: »Wir haben die folgenden Inhalte, die Du gepostet hast oder deren Administrator Du warst, entfernt, weil sie gegen die Erklärung der Rechte und Pflichten von Facebook verstoßen haben.«

Wie bitte: Einfach mal die Facebook-Seiten durchforsten und rausschmeißen, was einem nicht passt? Dabei ging es um ein Thema, das zurzeit von vielen kontrovers diskutiert wird: Die so genannte »Homo-Ehe« und das Adoptionsrecht für Schwule. Aber selbst wenn das Thema von sonst niemandem diskutiert werden würde: Wie kommt ein Kommunikationsanbieter dazu, bei einer bestimmten Angelegenheit das Licht auszumachen? Schaltet demnächst vielleicht die Telekom die Telefonleitung ab, wenn bestimmte Worte fallen? Wer weiß - ausschließen kann man gar nichts.

Verteidigung der Familie verboten?

In dem gelöschten Facebook-Beitrag sah Elsässer im Adoptionsrecht für Schwule einen »weiteren Angriff auf die Familie«. Wobei sich der Autor durchaus für die Rechte von Homosexuellen einsetzte: »Schwule haben das Recht auf eigene Sexualität und müssen gegen Diskriminierung geschützt sein«, meinte er in dem gelöschten Artikel: »›Eingetragene Lebenspartnerschaften‹ können also sinnvoll sein, um im Krankheits- oder Erbfall die Rechte des jeweiligen Partners zu stärken.« Eine Ehe für Schwule lehnte Elsässer dagegen ab: »Ehe ist nochmal was anderes, denn Ehe ist Familie.«

Die »Ehe für alle« sei »ein Terminus der Neuen Weltordnung«, genauso wie »humanitäre Intervention«, und bedeute das krasse Gegenteil des Gesagten: »Die Institution der Ehe wird nicht ausgeweitet, sondern zerstört - wie die ›Humanität‹ durch die Militärinterventionen. Maßgeblich dabei ist die Lösung der Ehe von der biologischen Familie.« Der Gesetzgeber habe die Ehe privilegiert, weil sie die Grundlage für die Reproduktion gewesen sei: »Es ging also nicht um die Förderung einer bestimmten Form von Sexualität, der Heterosexualität, sondern es ging um Biologie und Demografie. Wird der Titel ›Ehe‹ auf alle möglichen sozialen und sexuellen Verkehrsformen ausgeweitet, so verliert er seinen Sinn. Aus einer homosexuellen Verbindung können keine Kinder entstehen.« Die »Ehe für alle« und das Adoptionsrecht für Schwule abzulehnen, habe also nichts mit Diskriminierung von Homosexuellen zu tun - »sondern mit dem Schutz der Familie«. Elsässers Fazit: »Die wichtigste stabile Struktur ist die Familie.«


Kommentar: Der Meinung von Jürgen Elsässer zum Thema Ehe und Adoptionsrecht für Homosexuelle stimmen wir nicht zu. Seine Argumentation, dass diese Meinung keine Diskriminierung sei, ist ein Paramoralismus:
(...) [E]in linguistisches Mittel zur Überzeugung. Es handelt sich um ein Argument oder einen Gedankenfaden, der darauf abgestimmt ist, so zu erscheinen als sei er durch ethische Interessen bewegt. Bei genauer Prüfung entpuppt es sich als getrieben von Eigennutz oder Anhaftung an ein System von Regeln, dass das Gewissen ausklammert.

Ein Paramoralismus ist ein psychologisch infektiöses Phänomen: sein Empfänger ist anfällig dafür, dem Argument ein akzeptiertes Prinzip oder eine Motivation falsch zuzuordnen und dadurch fälschlicherweise das fehlerhafte Argument zu akzeptieren. Auf diese Weise kann ein gut meinendes Individuum dahingehend getäuscht werden, unabsichtlich eine Sache zu unterstützen oder eine Ideologie zu verbreiten, mit der sein eigenes Gewissen nicht übereinstimmt.

Die Erfindung und die Nutzung von Paramoralismen zur Beeinflussung von Menschen ist eine Gemeinsamkeit von pathologischen Institutionen, Gruppen und Individuen, und ihre weit verbreitete Nutzung ist ein definierendes Merkmal der Pathokratie. Die Akzeptanz von Paramoralismen tendiert dazu, moralisches Denken zu schwächen und seine Entwicklung in jungen Menschen zu deformieren.

Aus Politische Ponerologie:
Paramoralismen: Die Überzeugung, dass moralische Werte existieren und dass einige Handlungen moralische Regeln verletzen ist ein so weit verbreitetes und altes Phänomen, dass es beim Menschen auf der Ebene der instinktiven Ausstattung eine Art Substratum darzustellen scheint (obwohl es sicherlich nicht vollständig angemessen für moralische Wahrheit ist). Und es nicht nur jahrhundertelange Erfahrung, Kultur, Religion und Sozialisation repräsentiert. Daher ist jede Andeutung, die in moralischen Slogans eingerahmt wird, immer suggestiv, sogar dann wenn die "moralischen" Kriterien lediglich als eine "ad hoc" Erfindung genutzt werden. Jede Handlung kann demnach durch Nutzung von Mitteln wie Paramoralismus als aktive Suggestion benutzt und als unmoralisch oder moralisch bewiesen werden. Menschen, deren Verstand solchen Gedankengängen unterliegen, sind immer anzutreffen.
Paramoralismen stehen mit konversivem Denken in Verbindung, in so fern, als Letzteres daran beteiligt ist, Paramoralismen und Paralogismen zum Zweck der Vermeidung von inakzeptablen Gedanken und Erkenntnissen zu erfinden.

Ehemaliger Bush-Berater Chef bei Facebook

Wie weiland bei Orwell oder Kafka (Der Prozess) ist der »Verurteilte« bezüglich seiner »Schuld« auf Vermutungen angewiesen. Konkrete Erklärungen gibt es nämlich nicht. Die Zensur von Facebook könnte »eine Reaktion auf die starke Verbreitung der Compact-Inhalte in den letzten Tagen« gewesen sein, mutmaßte denn auch Elsässer. So hatte es sein Beitrag »Hilfe, die Roma kommen!« auf Platz drei der bundesweiten täglichen Blog-Hitliste geschafft, der zensierte Beitrag über die Homo-Adoption auf Platz acht. Und da Facebook wesentlich zur Verbreitung beigetragen habe, habe man das wohl stoppen wollen. Fragt sich nur, wer eigentlich »man« ist: Irgendeine anonyme Facebook-Redaktion oder -Moderation? Oder etwa gar nicht Facebook selber? Elsässers neueste Vermutung: »Angeblich veranlasst das kein Mensch bei Facebook, sondern das System ist so eingestellt, dass ab einer bestimmten Anzahl von Protesten automatisch abgeschaltet wird.«

Sollte das stimmen, könnten Artikel durch eifriges Lobbying vom Netz gemobbt werden. Der zensierte Autor selber tappt noch im Dunkeln, denn wie bei solchen Computermultis üblich, sind Ansprechpartner gar nicht so einfach zu erreichen. Und wenn doch, dann erlebt man womöglich sein blaues Wunder. Der Europa-Chef von Facebook zum Beispiel, Theodore Ullyot, ist ein ehemaliger Assistent von George W. Bush. Dann vielleicht doch lieber auf den eigenen Blog vertrauen. Den zensierten Beitrag gibt es nämlich nach wie vor auf dem Netz, und zwar hier.