Preisfrage: Kann man eine Fernsehsendung, die von Millionen von Zuschauern gesehen wurde, totschweigen? Und ob. Man mag es nicht glauben, aber selbst vor einem Millionenpublikum ausgebreitete Skandale kann man ungeschehen machen, indem man nicht über sie berichtet. Jüngstes Beispiel: Die Talkshow von Markus Lanz vom 14. Februar 2013. Das Thema: Ein unglaublicher Skandal um eine geheime Killertruppe der NATO.
Bild
© Unbekannt
Aber das Totschweigen einer Fernsehsendung hat doch gar keinen Sinn! Und ob: Zum einen wird die Nachricht so nicht weiterverbreitet, und zum anderen zweifeln auch diejenigen, die mit ihr konfrontiert wurden, an ihrer Bedeutung. Denn wenn nicht darüber berichtet wird, muss

- es entweder ein alter Hut sein,
- die Sache aus anderen Gründen ohne jede Bedeutung sein oder
- es einen versteckten Grund geben, warum es nicht opportun ist, darüber zu reden.

Und schon wird die Information in der Flut der täglichen Medienereignisse vergessen.

Nach Talkshow Nachrichtensperre

Jüngstes Beispiel: Der Besuch des italienischen Justiz- und Geheimdienstopfers Giuseppe Gulotta bei Markus Lanz am 14. Februar 2013. Während die Lanz-Talkshows hinterher normalerweise durch die Gazetten geistern, hieß es diesmal Fehlanzeige. Betrachtete man am nächsten Tag die deutschen Medien, könnte man den Eindruck gewinnen, als hätte einer der größten Staats- und Justizskandale Europas niemals stattgefunden. Es herrschte totale Nachrichtensperre. Bis heute findet Google News nur einen einzigen deutschsprachigen Artikel über Gulottas Auftritt bei Lanz: in der praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit erscheinenden jungen Welt.

Doch der Reihe nach. Es ist eine Szene wie aus einem Politthriller: In einer kalten Januarnacht des Jahres 1976 entdecken zwei Carabinieri bei dem kleinen sizilianischen Dorf Alcamo Marina einen Lastwagen voller Kriegsgerät. Als sie nach Dienstschluss in ihrer kleinen Carabinieri-Station schlafen, schneiden Unbekannte die Tür auf, dringen ein und erschießen die beiden Militärpolizisten. Dabei hinterlassen die Täter weder Fingerabdrücke, Patronenhülsen noch irgendwelche anderen Spuren. Etwa zwei Wochen später hat der damalige Maurerlehrling Giuseppe Gulotta eine Begegnung der Dritten Art. Am 12. Februar 1976 klingelt es abends plötzlich an der Tür. Davor stehen mehrere Carabinieri, die ihn bitten, mit in die Kaserne zu kommen, es gebe da einiges zu klären. Dort angekommen, beginnt für Gulotta ein 36 Jahre langer Albtraum. Zunächst wird er stundenlang in einen Raum gesperrt und anschließend von einem guten Dutzend Carabinieri geschlagen, getreten und sogar an den Genitalien gefoltert. Auch Scheinhinrichtungen muss der Gefangene ertragen. Schließlich haben die Polizisten Gulotta da, wo sie ihn haben wollten: »Das ging so die ganze Nacht, ich war natürlich morgens völlig fertig und verlor das Bewusstsein. Als ich dann nach fünf oder zehn Minuten, ich weiß es nicht mehr genau, wie lange das gedauert hat... hab ich mir gedacht, na ja, vielleicht ist es besser, das zu sagen, was sie hören wollen.«

Ein erpresstes Geständnis

Gulotta unterschreibt ein Geständnis, an der Ermordung der beiden Carabinieri bei Alcamo Marina beteiligt gewesen zu sein und wird bald darauf dem Haftrichter vorgeführt. Dem liegt inzwischen zwar auch ein ärztliches Attest über die Folterspuren vor, aber dennoch schickt er Gulotta in Untersuchungshaft. 1981 gibt es einen ersten Prozess, der zwar mit einem Freispruch endet. Aber merkwürdigerweise entlässt die italienische Justiz Gulotta und drei angebliche Mittäter, denen es ähnlich erging, damit keineswegs aus ihren Klauen.

Vielmehr folgt nun ein weiterer, etwa zehnjähriger Prozessmarathon, an dessen Ende 1990 Gulottas Verurteilung zu Lebenslang steht. Ein Mitbeschuldigter war zu diesem Zeitpunkt bereits erhängt im Gefängnis aufgefunden worden, obwohl er nur eine Hand besitzt. Die beiden anderen hatten sich nach Brasilien abgesetzt und waren nie wieder nach Italien zurückgekehrt. Ab 1990 verbringt Gulotta weitere 17 Jahre im Gefängnis, bis sich 2007 einer der damaligen Folterknechte zu Wort meldet und zugibt, dass Gulotta misshandelt und zu Unrecht verurteilt worden war. Aber auch das bringt dem Justizopfer noch nicht die Freiheit. Vielmehr dauert es weitere vier Jahre, bis er nach einem neu aufgerollten Prozess Anfang 2012 freigesprochen und entlassen wird - nach 36 Jahren ungerechtfertigter Verfolgung und Inhaftierung durch den Staat.

Des Rätsels Lösung: Staatsterrorismus

Die Frage ist nur: Was sollte das alles? Warum war der italienische Staat hinter einem einfachen Maurerlehrling her wie der Teufel hinter der armen Seele? Die drei anderen Beschuldigten nicht zu vergessen. Des Rätsels Lösung lautet Staatsterrorismus. In jener Januarnacht des Jahres 1976 hatten die beiden Carabinieri Carmine Apuzzo und SalvatoreFalcetta einen Waffentransport der NATO-Geheimorganisation "Gladio" (oder auch »Stay Behind«) angehalten. Dabei handelte es sich um eine europaweit tätige Terrortruppe der NATO, die im Ernstfall aus dem Untergrund heraus gegen eindringende Sowjets kämpfen sollte.

In Wirklichkeit aber verübten die NATO-Killerkommandos auch Attentate gegen unliebsame Zeitgenossen, die dann irgendwelchen Terrorgruppen, Kriminellen oder auch ganz einfach Unschuldigen in die Schuhe geschoben wurden. Nach der Entdeckung des Waffentransports suchte später in der Nacht ein bis heute unbekanntes Killerteam die Polizeistation auf, brach ein und ermordete die beiden Carabinieri-Zeugen. Das heißt: So unbekannt ist das Killerteam nun auch wieder nicht. Denn stellt man die Gretchenfrage aller Kriminalistik »Cui bono?« (Wem nützt es?), kann die Antwort wohl nur lauten: Gladio bzw. der NATO. Und auch die Antwort auf die berühmte Frage nach dem Motiv, den Mitteln und der Gelegenheit (»motive, means and opportunity«) weist eindeutig auf die Geheimterroristen der NATO hin. Welche Verbrechen diese Killer noch begangen haben oder begehen, kann man nur vermuten - ungelöste Fälle gibt es europaweit jedenfalls zuhauf...