Der US-Soldat Tomas Young wurde im Irak schwer verwundet. Er will sich das Leben nehmen. Den Politikern, die ihn in den Krieg schickten, hat Young einen Brief voller Trauer und Wut hinterlassen.
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Er ist bettlägerig und hüftabwärts gelähmt. Er trägt eine Jacke mit kühlendem Gel, weil sein Gehirn die Körpertemperatur nicht mehr steuern kann. Auf seiner Bauchdecke ist ein Kolostomiebeutel angebracht, der seinen Stuhl aufnimmt, weil der Darm entfernt werden musste.

Seine Frau oder seine Mutter müssen einen Katheter mit einer Nadel in seinen Penis einführen. Ein Blutgerinnsel hat, lange nach seiner Lähmung, Hirnschäden verursacht, die ihn nur noch schleppend und leise sprechen lassen und wegen der ständigen Schwindelanfälle muss er seinen Kopf immer wieder auf seine Hände stützen.

Tomas Young personifiziert das Leid und die Gewalt, die der Krieg einem Menschen antun kann. Der 33-Jährige war im April 2004 in den Irak abkommandiert und in Sadr City, einem Vorort Bagdads, am fünften Tag seines Einsatzes von zwei Schüssen in die Wirbelsäule und ins Knie getroffen worden. Jetzt hat sich der junge Mann aus Kansas City (Missouri), der zu einem der engagiertesten Kritiker des Irak-Krieges wurde, zum Sterben entschlossen.

Bald nach dem 20. April, der ersten Wiederkehr der Hochzeit mit seiner zweiten Frau Claudia, will Young die Systeme abstellen lassen, die ihn in einem Hospiz in Kansas City am Leben halten. "Wenn ich meinen Verfall sehe, habe ich mich entschlossen, lieber jetzt zu gehen als noch weiter abzubauen", begründet er diesen Schritt.

Er geht nicht leise

Doch Young geht nicht leise. Den Politikern, die ihn in den Irak-Krieg schickten, hat Young einen von Schmerz, Trauer, Verzweiflung und Wut kündenden Brief hinterlassen.

"Ich schreibe diesen Brief am 10. Jahrestag des Irak-Krieges im Namen der 4488 Soldaten und Marines, die im Irak starben", so beginnt die am 19. März verfasste Botschaft an Ex-Präsident George W. Bush und seinen damaligen Stellvertreter Dick Cheney. "Ich schreibe diesen Brief im Namen der Hunderttausenden Veteranen, die verwundet wurden, und im Namen derer, deren Leben zerstört wurden durch diese Wunden, psychische und physische. Ich bin einer dieser Schwerverwundeten. Ich wurde 2004 gelähmt bei einem Hinterhalt von Aufständischen in Sadr City. Mein Leben kommt zu seinem Ende. Ich lebe in der Obhut eines Hospizes."

In diesem bitteren Ton geht es weiter: Er schreibe im Namen der Soldaten und Veteranen, von denen aufgrund ihrer Erfahrungen im Irak "im Durchschnitt jeden Tag einer Selbstmord begeht. Ich schreibe diesen Brief im Namen der rund eine Million irakischen Todesopfer und der zahllosen irakischen Verwundeten. Ich schreibe diesen Brief im Namen von uns allen - dem menschlichen Müll, den der Krieg zurückgelassen hat, und die den Rest ihres Leben in endlosem Schmerz und Trauer verbringen werden."

Ausgezeichnete Dokumentation "Body of War"

Über Thomas Young drehten Ellen Spiro und Phil Donahue 2007 die mit Preisen ausgezeichnete Dokumentation "Body of War", eine fulminante Anklage gegen den Irak-Krieg. Aber der Film entstand zu einem Zeitpunkt, als es Young noch viel besser ging. Er saß in einem Rollstuhl, konnte mühelos sprechen und sich selbst anziehen. Erst 2008 kam es als Folge der Lähmung zu dem von seinen Ärzten zunächst nicht entdeckten Blutgerinnsel in seinem Körper, das schließlich die Sauerstoffzufuhr zu seinem Hirn blockierte und seinen Zustand nochmal massiv verschlechterte.

Young war kein Pazifist und er ist kein Pazifist. Als 22-Jähriger meldete er sich zwei Tage nach dem 11. September 2001, inspiriert durch die kämpferische Rede von Präsident Bush auf den Trümmern des zerstörten World Trade Centers in New York. Young wollte die Hintermänner des Terroranschlags in Afghanistan jagen. Dass er dann aber 2004 nicht in den Hindukusch verlegt wurde, sondern in den Irak, verstörte ihn zutiefst.


Kommentar: Mittlerweile sollte jedem Menschen, der noch einen klaren Verstand besitzt, klar sein, das der 11. September 2001 eine der größten und verheerendsten Lügen ist, die jemals auf so breiter Basis initiiert wurde:

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"Ganz klar", sagt der rothaarige Young, der sich einen langen Bart hat wachsen lassen, "wäre ich in Afghanistan verwundet worden, hätte es keinen 'Body of War'-Film gegeben." Er habe nie verstanden, weshalb die USA in den Irak einmarschierten, weil Diktator Saddam Hussein nichts mit 9/11 und Al-Qaida zu tun hatte. "Als die Japaner Pearl Harbour angriffen, sind wir nicht in China einmarschiert, nur weil die dort genauso aussehen", zieht Young einen etwas sperrigen Vergleich zum Zweiten Weltkrieg.

Irak-Einsatz ließ ihn zweifeln

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© Getty ImagesDamals ging es ihm noch verhältnismäßig gut. Kriegsveteran Tomas Young bei einer Gala zur Dokumentation "Body of War" Anfang 2008
Der bevorstehende Irak-Einsatz ließ ihn an seiner Entscheidung für das Militär zweifeln. Er sprach mit einem Arzt in seiner Ausbildungsbasis Fort Benning in Georgia und bat ihn um Antidepressiva. Ein Militärgeistlicher, so erzählt es Young, habe ihm aber von den Medikamenten abgeraten und gesagt: "Ich denke, du wirst glücklicher, wenn du in den Irak gehst und anfängst, Iraker zu töten."

Er schreibe diesen Brief, so setzt Young seine Anklageschrift fort, "meinen letzten Brief, an Sie, Mr. Bush und Mr. Cheney", um klar zu machen, dass er wie Hunderttausende weitere Veteranen und irakische wie amerikanische Kriegsopfer "genau wissen, wer Sie sind und was Sie getan haben. Sie mögen der Justiz entkommen, aber in unseren Augen sind Sie ungeheurer Kriegsverbrechen, Plünderungen und schließlich des Mordes schuldig, darunter des Mordes an Tausenden jungen Amerikanern - meinen Veteranen-Kameraden - , deren Zukunft Sie stahlen."

Beiden Adressaten wirft Young persönliche Feigheit vor. "Sie, Mr. Cheney, drückten sich vor dem Militärdienst in Vietnam, und Sie, Mr. Bush, entzogen sich unerlaubt Ihrem Dienst in der National Guard".

"Andere Prioritäten gehabt"

Tatsächlich hatte sich Cheney seinerzeit, als noch Wehrpflicht herrschte, fünfmal vom Militär zurückstellen lassen und später erklärt, er habe "in den 60er-Jahren andere Prioritäten als den Militärdienst gehabt". Bei Bush ist die Sache komplizierter. Er ließ sich als Pilot bei der National Guard in Texas ausbilden. Nach Aussagen von Kameraden meldete er sich aus diesem Dienst zu freiwilligen Einsätzen in Südostasien, die ihn auch nach Vietnam hätten führen können. Doch sein Ersuchen wurde abgelehnt, weil Bush zu wenige Flugstunden vorweisen konnte.

Nach seinen vier Jahren bei der National Guard kam Bush offenkundig nicht der Verpflichtung nach, jährlich seine körperliche Fitness untersuchen zu lassen, um weiterhin als Reservist eingesetzt werden zu können. Darauf spielt Young mutmaßlich an.

"Ihre Feigheit und Eigensucht", so schreibt er an seine beiden Adressaten, "wurde vor Jahrzehnten begründet. Sie waren nicht bereit, sich selbst zu gefährden für unsere Nation, aber Sie opferten Hunderttausende junger Männer und Frauen in einem sinnlosen Krieg".

Viele Amerikaner werden die Intention Youngs teilen und vor allem auch seine Unterscheidung zwischen der Intervention im Irak, die sie mehrheitlich als "gewählten" und letztlich unnötigen Krieg ansehen, und dem Waffengang in Afghanistan, den sie als "nötigen" und im Kern unvermeidlichen Krieg betrachten. Die Wortwahl und Wut Youngs dürfte nicht jeder seiner Landsleute gutheißen. Aber das Leiden, das der junge Veteran seit neun Jahren erträgt, entzieht seine testamentarische Abrechnung mit den verantwortlichen Politikern jeder Stilkunde.