In Österreichs Gewässern tummeln sich kaum noch einheimische Flusskrebse: Eine rätselhafte Pilzkrankheit und nordamerikanische Arten machen die Wiederansiedlung der Edelkrebse schwer
Krebs
© apa/dpaAllesfresser mit ungewisser Zukunft: Der Edelkrebs ist in vielen Seen und Flüssen längst verschwunden. Aus Nordamerika importierte Arten, die gegen die Krebspest resistent sind, haben das Problem nur schlimmer gemacht
Man findet ihn in Seen und Flüssen - Hauptsache, es gibt genug zu essen, Schlupfwinkel und ausreichend Sauerstoff. Der Edelkrebs, Astacus astacus, ist eine relativ anpassungsfähige Tierart. Wählerisch ist er jedenfalls nicht: Pflanzen, Aas und allerlei Kleingetier stehen auf seinem Speiseplan.

Einst waren die zehnbeinigen Krabbler von Skandinavien bis ans Mittelmeer weit verbreitet, auch in Mitteleuropa. Das ist vorbei. "Es gibt noch einige überaus gesunde Populationen, aber meistens sind die Bestandsdichten gering", erklärt der Biologe Adam Petrusek von der Universität Prag dem Standard. In vielen größeren Gewässern ist der Edelkrebs seit langem komplett verschwunden. Ursache ist eine tückische Pilzkrankheit, die Krebspest. Sie tötet nicht nur A. astacus, sondern auch andere europäische Flusskrebse wie den Steinkrebs und den Sumpfkrebs.

Der Killer hat den klingenden Namen Aphanomyces astaci. Der Pilz tauchte erstmals Mitte des 19. Jahrhunderts in Europa auf, zunächst in der Lombardei, und vernichtete dort die einheimischen Flusskrebsbestände. Wie der Erreger in die norditalienischen Gewässer gelangen konnte, ist bis heute ungeklärt. Vielleicht hat ein aus Nordamerika kommendes Schiff infizierte Krebse in einem Ballastwassertank mitgeführt. Die Krankheit jedenfalls verbreitete sich über weite Teile des europäischen Kontinents. Mit verheerenden Folgen. In vielen Flüssen und Seen brachen die Krebspopulationen komplett zusammen. Eine ökologische Katastrophe. Auch die Binnenfischerei litt erheblich, schließlich waren die Scherentiere vielerorts eine beliebte Speise.

Man wollte dem Schwund etwas entgegensetzen und machte dadurch alles noch schlimmer. Nordamerikanische Flusskrebsarten wie der Kamberkrebs wurden ausgesetzt, die den Platz der verschwundenen heimischen Spezies einnehmen sollten. Die Idee funktionierte, zumindest auf den ersten Blick. Die "Amerikaner" fühlten sich in vielen Gewässern wohl und vermehrten sich. Die Krebspest konnte ihnen praktisch nichts anhaben. Den Pilz und seine nordamerikanischen Wirte verbindet eine lange gemeinsame Evolutionsgeschichte. Doch genau die Resistenz der neu eingeführten Krebse hat sich als Problem erwiesen.

Die Präsenz von Kamberkrebs & Co ist der wichtigste Hemmschuh für eine erfolgreiche Wiederansiedlung heimischer Arten. Die Neuankömmlinge beherbergen Aphanomyces astaci in ihrem Körper, ohne an Krebspest zu erkranken. Sie stellen eine ständige Infektionsquelle dar. Abgesehen davon neigen die amerikanischen Spezies dazu, europäische Flusskrebse zu verdrängen. Ökologen suchen deshalb seit Jahren nach Möglichkeiten, die Immigranten wieder zu vertreiben - ohne wesentlichen Erfolg. Gezielte Überfischung richtet wenig aus. Man müsste schon massiv Gift einsetzen, wie Adam Petrusek betont.

Übertragung durch Menschen

Dennoch gibt es auch kleine Erfolge. Experten der Universität Innsbruck gelang zum Beispiel die Wiederansiedlung von Edelkrebsen im Osttiroler Tristacher See und dessen Abfluss. Die Tiere waren dort in den späten Neunzigern ausgestorben. Ursache unbekannt. Amerikanische Flusskrebse kommen in den beiden Gewässern bis heute nicht vor.

Vielleicht wurde die Krebspest gar von Menschen in den Tristacher See eingeschleppt. Der Pilz verbreitet sich über aktiv schwimmende Zoosporen. Letztere können auch in ein Zystenstadium übergehen und so mehrere Wochen lebensfähig bleiben. Schlimmstenfalls werden die Keime in Netzen, feuchter Badekleidung, an Stiefeln haftend oder im Gefieder von Wasservögeln von einem See zum nächsten getragen.

Noch immer ist nicht genau geklärt, über welchen physiologischen Mechanismus der Erreger seinen Wirt tötet - oder auch nicht. Inzwischen haben Fachleute nämlich mehrere Hinweise auf eine Resistenz gegen Aphanomyces astaci bei manchen europäischen Flusskrebsen entdeckt.

Moderne molekularbiologische Methoden ermöglichen den Nachweis des Pilzes auch in Tieren, die keine Symptome des Befalls zeigen und anscheinend auch nicht erkranken. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Virulenz unterschiedlicher Pilzstämme. Der As-Genotyp von Aphanomyces astaci befällt Edelkrebse zum Teil nur langsam. Tiere einiger finnischer Populationen überlebten die Infektion sogar, wie die Biologin Jenny Makkonen und ihre Kollegen an der University of Eastern Finland kürzlich feststellten.

Extrem tödliche Variante

Der As-Genotyp ist derjenige, der anscheinend vor mehr als 150 Jahren als Erster in Europa auftrat. "Er hat sich vermutlich bereits verändert" , meint Makkonen. Eine sinnvolle Anpassung, weil mit dem Erlöschen eines Flusskrebsbestandes auch dem Pilz die Lebensgrundlage verlorengeht. Erreger des später eingeschleppten PsI-Genotyps dagegen sind für europäische Krebse nach wie vor extrem tödlich. Diese Variante hat den nordamerikanischen Signalkrebs als natürlichen Wirt. Er wurde in den 1960ern in Skandinavien und anderen europäischen Regionen als Edelkrebsersatz eingeführt. Mittlerweile kommt die Art auch in vielen österreichischen Gewässern vor.

Welche Gefahr vom PsI-Genotyp ausgeht, zeigt die Untersuchung eines Forscherteams zur Lage im Donaudelta. Die Biologen fanden dort gesunde einheimische Sumpfkrebse, die allerdings eindeutig mit Aphanomyces astaci infiziert waren. Kamberkrebse kommen als Infektionsquelle nicht infrage. "Ich glaube eher, dass die Erreger überdauert haben", sagt Anne Schrimpf, Studienautorin von der Universität Koblenz-Landau. Demnach könnte es sich bei den Pilzen im Donaudelta um angepasste Nachkommen des As-Genotyps handeln, die auch im Donau-Einzugsgebiet im 19. Jahrhundert eine Krebspest-Epidemie auslösten. Die Sumpfkrebse und der Parasit koexistieren offensichtlich.

Vor allem in Kroatien breitet sich derzeit jedoch der Signalkrebs mit dem hochaggressiven PsI-Stamm aus. Sollten sie den unteren Donauraum erreichen, ist ein neues Massensterben zu befürchten.