Die griechische Regierung gab am Abend des 11 Juni 2013 die Schließung der öffentlichen Rundfunk- und Fernsehanstalt ERT mit sofortiger Wirkung bekannt.
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In einer besonders hart formulierten Bekanntmachung, die am 11 Juni 2013 um 18:00 im Fernsehen ausgestrahlt wurde, gab der Regierungssprecher Simos Kerdikoglou die Schließung der öffentlichen griechischen Rundfunk- und Fernsehanstalt (ERT) ab dem selben Abend an und charakterisierte die ERT als einen “einzigartigen Fall der Intransparenz“.

Vorausgegangen war die Veröffentlichung des Akts gesetzgeberischen Inhalts, der den Weg zu Express-Verfahren bei der Schließung von Trägern und öffentlichen Organismen öffnete. Herr Kerdikoglou kündigte die Gründung einer “modernen öffentlichen, jedoch nicht staatlichen Rundfunk- und Fernsehanstalt” an Stelle der ERT an und versicherte, dass das Personal der ERT regulär abgefunden und der neue Träger mit weniger Personal betrieben werden wird.

Weiter gab der Regierungssprecher bekannt, dass in dem Zwischenzeitraum bis zur Aufnahme des Betriebs des neuen Trägers die Bürger keine Gebühren für die ERT entrichten werden.

Die vollständige Bekanntmachung Kerdikoglou lautet wie folgend:
“In einer Periode, in der dem griechischen Volk Opfer abverlangt werden, bestehen keine Spielräume für Verzögerungen oder Bedenken. Wie auch keine Spielräume zur Toleranz “heiliger Kühe” bestehen, die unangetastet bleiben, während sonst überall Kürzungen auferlegt werden. Wenn wir mit den Defiziten Schluss machen und aus der Krise heraus gelangen müssen, können wir keine Enklaven der Intransparenz und öffentlichen Verschwendung tolerieren. Die griechische Rundfunk- und Fernsehanstalt, die ERT, ist ein charakteristischer Fall einzigartiger Intransparenz und unglaublicher Verschwendung. Und damit ist heute Schluss ...

Das griechische Volk bezahlt die ERT mit der Abzocke über die Stromrechnungen: rund 300 Millionen Euro im Jahr. Sie hat drei- bis siebenmal höhere Kosten als andere TV-Stationen und vier- bis sechsmal mehr Personal für eine sehr geringe Zuschauerquote: für alle drei öffentlichen Kanäle zusammen fast nur die Hälfte eines durchschnittlichen kommerziellen Kanals. Sie hat ein ungeheures Vermögen, das Brach liegt, sofern es nicht zugunsten des Wettbewerbs geplündert wird. Sie hat eine Regime der Intransparenz bei ihrer Verwaltung: Wir sprechen von einer Gesellschaft mit sieben Buchhaltungsstellen, die nicht miteinander kommunizieren.

Ein Regime der Intransparenz bei der Handhabung der Verträge, ein Regime noch größerer Intransparenz bei der Verwaltung des Materials, über das seit ... acht Jahren keine Inventur stattgefunden hat. Ein Regime der Privilegien für die Beschäftigten, die eine ungeheure Anzahl von Überstunden in Rechnung stellen. Um nicht von den riesigen Beträgen zu sprechen, die sie an private Produktionen verteilt, die sie sehr viel billiger unter Nutzung ihrer eigenen Mittel produzieren könnte. Welche der griechische Steuerzahler teuer bezahlt hat. Um nicht von den ungeheuren Kosten externer Übertragungen zu sprechen, die von antiquierten gewerkschaftlichen Privilegien durchgesetzt worden sind, womit jede Nase lang Dutzende Techniker für ein Werk bewegt werden müssen, das von zwei, drei Personen erledigt werden könnte. Um nicht davon zu sprechen, dass sie eine Zeitschrift herausgibt, die keine Leser hat, während sie über Dutzende lokale Stationen verfügt, die praktisch die meisten Stunden des Tages das zentrale Programm wiederholen.

Die heutige ERT hat sich zu einem Skandal entwickelt, den alltäglich alle sehen, sich jedoch niemand anzutasten traute. All dies endet heute. Und es endet endgültig.

Die Regierung beschloss, die ERT zu schließen. Auf Basis des geltenden gesetzlichen Rahmens und mit einem gemeinschaftlichen Ministerialbeschluss werden die Übertragungen der ERT nach der Vollendung des Programms heute Abend (11 Juni 2013) eingestellt. Und an Stelle der ERT wird eine moderne, öffentliche - jedoch weder staatliche noch parteilich kontrollierte - Rundfunk- und Fernsehanstalt geschaffen werden. Gemäß den Modellen der erfolgreichsten öffentlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten Europas. Die einschlägige Gesetzesvorlage wird umgehend vorgelegt werden, damit der neue Träger schnellstmöglich seinen Betrieb aufnimmt.

Das Personal der ERT wird regulär abgefunden werden. Und alle der jetzigen Beschäftigten, die es wünschen, können sich für eine Einstellung bei der neuen Rundfunk- und Fernsehanstalt bewerben. Es gibt viele fähige und qualifizierte Beschäftigte, deren fachliche und berufliche Erfahrung für das Bestehen des neuen Trägers erforderlich ist. Und sie wird bei den Einstellungsverfahren mit transparenten Vorgängen und ASEP-Kriterien berücksichtigt werden.

Der neue Organismus wird mit sehr viel weniger Personal arbeiten. Mit einem klaren Organisationsschema, wie es die modernen Gegebenheiten für den öffentlichen Rundfunk und das öffentliche Fernsehen überall auf der Welt vorsehen. Das Archiv der ERT - das einen wahren nationalen Schatz darstellt - wird bewacht und vollständig verwertet werden. Ebenfalls werden die Satelliten-Dienste und die modernen Technologien verwertet werden. Damit es - endlich - einen dynamischen Hebel zur Promotion Griechenlands, der Entwicklung, der Extrovertiertheit, aber auch eine wertvolle Verbindung zu den im Ausland lebenden Griechen in aller Welt geben wird.

Die neue Rundfunk- und Fernsehanstalt wird schnellstmöglich ihren Betrieb aufnehmen. Bis dahin werden die Bürger nicht die Abzocke entrichten, die sie bis heute zahlen. Und ab ihrer Inbetriebnahme und danach werden sie sehr viel weniger zahlen. Schätzungsweise werden sie von einem jährlich 100 Millionen Euro erreichenden Betrag entlastet werden. Und für alle als überzählig beurteilten Stellen der heutigen ERT werden per ASEP junge Arbeitskräfte in den Krankenhäusern, in den KEP und wo sonst von dem öffentlichen Sektor benötigt eingestellt werden.

Große Änderungen können nicht ohne große Zäsuren erfolgen. Mutige und radikale. Bisher meinten viele, “es bestehe kein politischer Wille” zu solchen Zäsuren ... . Die heutige Regierung beweist, dass sie den politischen Willen hat. Dies verlangt und erwartet außerdem auch das griechische Volk zu sehen.“
Bekanntmachung des Personals der ERT

Die Beschäftigten der ERT informierten ab dem Augenblick der Bekanntgabe des Beschlusses der Regierung kontinuierlich über die Entwicklungen in dem Thema (bis schließlich ab 20:00 Uhr schrittweise die Sender der ERT abgeschaltet wurden) und führten unter anderem in einer einschlägigen Bekanntmachung an:
“Die ERT muss offen bleiben: für die Gesellschaft, ihre Widersprüche, ihre Probleme, ihre Unruhen, ihre Ideen und Aktionen. Die ERT muss offen bleiben: für die Kultur, deren Menschen und ihre unterschiedlichen Tendenzen, Forschungen und Dynamiken. Die ERT muss offen bleiben: für jeden Bürger der Welt, in Europa, in Amerika, in Asien, in Afrika, in Australien.

Die Dynamik des öffentlichen Rundfunks und Fernsehens hat die Kraft und den Willen, das gesellschaftliche Gut der Information, der Kultur, der Athletik hoch zu halten. es hat den Mut und den Willen, dafür zu kämpfen, dass die ERT nicht mehr von jeder Ein- oder Mehrparteien-Regierung manipuliert wird. Wir, die Beschäftigten, sind noch lebendig und werden uns den Umständen gewachsen zeigen.

Wir werden für einen institutionellen Rahmen des Betriebs der ERT kämpfen, der die Unabhängigkeit des öffentlichen Rundfunks und Fernsehens sichern und bewachen und endlich die Nabelschnur zu der jeweiligen Regierung und jedem Zentrum oder Schattenzentrum politischer und kundengefälliger Interventionen durchtrennen wird Die ERT muss offen, Besitz und tatsächliches Eigentum der griechischen Bürger sein.“

Proteste der Parteien nach dem einseitigen Regierungsbeschluss


Funktionäre der SYRIZA-Partei reagierten umgehend und sprachen von einer Entscheidung, die einem Putsch gleichkommt, der sich nicht nur gegen die Arbeitnehmer, sondern auch gegen das Volk richtet, das ein Recht auf Information hat. Parteisprecher Panos Skourletis führte in seiner Erklärung an, die Regierung agiere mit der Logik “wir beschließen und befehlen“, und die Erklärung des Regierungssprechers Simos Kedikoglou kommentierend charakterisierte er diese als “extremen Autoritarismus”. Parteiführer Alexis Tsipras wiederum forderte die Regierung auf, nicht zu wagen, die Frequenzen der ERT ohne Beschluss des Parlaments abzuschalten, da sie sich anderenfalls vor der Justiz zu verantworten haben werde(n).

Zu letzterem ist anzumerken, dass im Fall der tatsächlichen völligen Abschaltung der Sender der ERT aus gegebenem Anlass damit zu rechnen ist, dass speziell in grenznahen Regionen die Frequenzen von ausländischen Sendeanstalten benachbarter Staaten in Beschlag genommen werden könnten.

Die PASOK-Partei betont mit einer Erklärung des Sekretärs des zentralen Parteiorgans, Giannis Maniatis, “die öffentliche Rundfunk- und Fernsehanstalt kann nicht schließen” und verlangt die Umsetzung eines Sanierungsplans. Zu mehr oder weniger harten Protesterklärungen schritten ebenfalls zahlreiche Abgeordnete, Personen des öffentlichen und kulturellen Lebens, Vertreter der Diaspora und sogar auch das Oberhaupt der griechisch-orthodoxen Kirche. Parallel riefen die gewerkschaftlichen Organisationen ESIEA und POESY einen spontanen Streik bei den privaten Medien von 19:00 bis 01:00 Uhr aus.

Vor dem sogenannten “Rundfunkpalast” im Athener Stadtteil Agia Paraskevi begannen sich derweilen sowohl Personal der ERT als zur Bekundung ihres Beistands auch Beschäftigte anderer Branchen zu versammeln, während parallel schrittweise auch starke Sicherheits- und Spezialeinheiten der Polizei an verschiedenen Positionen Stellung bezogen. Ein ähnliches Bild stellte sich ebenfalls in anderen Städten an Standorten von Sendeanstalten der ERT ein.

Das derzeitige Personal der ERT wird auf gut 2.500, anderen Quellen zufolge auf etwa 2.700 Personen veranschlagt, denen allesamt die Entlassung bevorsteht. Mit der angeordneten Einstellung des Sendebetriebs auf den Radio- und TV-Frequenzen der ERT wird in abgelegeneren Regionen Griechenlands der Bevölkerung die zum Teil einzige Möglichkeit zum terrestrischen Empfang griechischer Radio- oder / und TV-Programme genommen, und auch in zahlreichen provinziellen Gebieten, in denen die Programme privater Sender nicht oder nur bedingt empfangen werden können, wird sich das mediale Informationsangebot signifikant reduzieren. Ab etwa 23:30 Uhr (11 Juni 2013) wurde auch die Übertragung der Kanäle der ERT per Internet eingestellt.