Am 31. Mai gab es weltweit viele ähnliche Schlagzeilen wie bei Reuters: »Monsanto gibt Gentechnik in Europa auf«. Als ursprüngliche Quelle für die Story gilt die linke Tageszeitung taz, die Auszüge eines Interviews mit einer offiziellen Sprecherin von Monsanto Deutschland gedruckt hatte.
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Ursula Lüttmer-Ouazane hatte darin gesagt: »Wir haben verstanden, dass das im Moment nicht die breite Akzeptanz hat.« Diese Aussage wurde weltweit verbreitet, Reuters führte daraufhin ein Interview mit Thomas Helscher, dem Sprecher für Monsanto, der mit den Worten zitiert wurde:

»Wir werden gentechnisch verändertes Saatgut nur dort verkaufen, wo es breite Unterstützung bei den Landwirten und in der Politik findet und wo ein funktionierendes Zulassungssystem besteht. Unserer Überzeugung nach ist das zurzeit nur in wenigen europäischen Ländern der Fall, vor allem in Spanien und Portugal.«

Bevor wir nun aber weltweit die Sektkorken knallen lassen, um das Ende der GVO und der entsprechenden Unkrautvernichtungsmittel wie Roundup zu feiern, sollten wir uns etwas genauer ansehen, was da eigentlich gesagt wurde - und was nicht.

Was Monsanto selbst sagt

Die offizielle Website von Monsanto Deutschland präsentiert eine offizielle Pressemitteilung zu den Berichten: »Aktuell überschlagen sich die Medien mit der Nachricht, dass Monsanto die Vermarktung von gentechnisch verbessertem Saatgut in Deutschland und Europa eingestellt haben soll. Das stimmt so nicht. Monsanto bietet schon seit einigen Jahren nur dort gentechnisch verbesserte Sorten an, wo ein funktionierendes Zulassungssystem und breite Unterstützung auf landwirtschaftlicher und politischer Ebene für die Technologie vorhanden ist. Aber grundsätzlich ist es richtig, dass Monsanto sich in Deutschland und Europa auf die Züchtung und Verkauf von konventionellem Saatgut und Pflanzenschutzmitteln konzentriert.«

Auf der Website des Mutterkonzerns in St. Louis erscheint die folgende Erklärung: »Wir vertreiben hochwertiges konventionelles Saatgut für Mais, Raps und Gemüse an unsere Kunden unter den Landwirten in Europa. Seit einigen Jahren versichern wir den Europäern, dass wir Biotech-Saatgut nur dort verkaufen, wo es breite Unterstützung bei den Landwirten und in der Politik findet und wo ein funktionierendes Zulassungssystem besteht. Das ist zurzeit nur in wenigen europäischen Ländern der Fall, vor allem in Spanien und Portugal. 2009 betonte unser CEO Hugh Grant gegenüber der Financial Times: ›Europa wird sich zu gegebener Zeit selbst entscheiden.‹ Die einzige gentechnisch veränderte Maissorte, die zurzeit in Europa angebaut wird, ist resistent gegen den Europäischen Maiszünsler, ein Insekt, das erhebliche Ernteschäden verursachen kann. Der Anbau macht jedoch nicht einmal ein Prozent des gesamten in Europa angebauten Mais (in Hektar) aus.«

Diese beiden Erklärungen verlangen ein genaueres Hinschauen. Zunächst einmal weicht die deutsche Version von der US-amerikanischen ab. Sie bezeichnet die Presseberichte, wonach das Unternehmen den Vertrieb von GVO in der EU eingestellt habe, offiziell als falsch. Zum anderen beschreibt die Erklärung, man konzentriere sich auf Zucht und Verkauf von konventionellem Saatgut und chemischen Pflanzenschutzmitteln, das ist nichts weiter als die Beschreibung des gegenwärtigen Verkaufs in der EU. Wegen der begrenzten Verwendung seines Gen-Saatguts in der EU konzentriert sich Monsanto natürlich auf die Bereiche, mit denen der Konzern Geld verdient. Bei den erwähnten »chemischen Pflanzenschutzmitteln« handelt es sich jedoch hauptsächlich um das eigene Unkrautvernichtungsmittel Roundup, das laut vertraglicher Verpflichtung zusammen mit allen Monsanto-Samen verkauft werden muss. Es ist der in Europa und weltweit meistverkaufte Unkrautvernichter. Es hat sich als hochgiftig erwiesen, auch für menschliche Embryonalzellen.

Die US-Erklärung weist zwei interessante wichtige Abweichungen auf. Zunächst gibt es keinen Hinweis auf eine Änderung der Unternehmenspolitik hinsichtlich der Verbreitung von Gen-Saatgut in der EU. Die Erklärung besagt, man werde weiterhin Gen-Saatgut nach Spanien und Portugal, beide Mitgliedsstaaten der EU, verkaufen. Außerdem zitiert sie Hugh Grant - nicht zu verwechseln mit dem Hollywood-Schauspieler - , der die Erwartung äußert, die EU werde die GVO am Ende doch zulassen. Zudem wird der derzeitige Status von Gen-Mais in der EU beschrieben. Sonst nichts.

Aufschlussreiches Timing

Doch für die meisten Leser auf der Welt, die nicht die Zeit haben, die offiziellen Erklärungen von Monsanto zu studieren, sondern nur die Schlagzeilen von Reuters oder der taz überfliegen, lautete die Botschaft, Monsanto habe den Versuch aufgegeben, sein Gen-Saatgut in der EU zu verbreiten. Der Zeitpunkt des taz-Interviews lässt auf ein sorgfältig inszeniertes PR-Täuschungsmanöver durch Monsanto schließen. Denn der ursprüngliche, von Jost Maurin verfasste taz-Artikel erschien am 31. Mai, nicht einmal eine Woche nach den weltweiten Protestdemonstrationen gegen Monsanto, dem "March against Monsanto", in über 400 Städten in 52 Ländern der Welt. Der Artikel trug die emotionale, aber sachlich irreführende Überschrift: »Sieg für Anti-Gentech-Bewegung: Monsanto gibt Europa auf«.

Der "March against Monsanto" war in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Besonders alarmierend für Monsanto und das GVO-Kartell dürfte dabei gewesen sein, dass es sich um die ersten Demonstrationen handelte, die nicht von einer Anti-Gentechnik-Organisation wie Greenpeace, BUND oder "Friends of the Earth" organisiert wurde. In Deutschland, wo der Autor als Sprecher an einer Demo beteiligt war, wurde alles von besorgten Aktivisten über Facebook organisiert. Die Organisationen, die formell gegen GVO opponieren, waren nirgends zu sehen, nicht als Sponsoren und nicht einmal als aktive Teilnehmer.

Damit sahen sich Monsanto und Freunde mit einem beängstigenden neuen Element konfrontiert - nämlich der Gefahr, dass sich ein echter Basisprotest gegen GVO entwickeln könnte, der die Verbreitung von GVO in Afrika, China, Indien, Lateinamerika und natürlich Ost- und Westeuropa erschwert. Alles deutet darauf hin, dass das Timing des sehr gut formulierten taz-Interviews - man beachte, dass es sich um eine linke Zeitung in offener Gegnerschaft zu Monsanto handelt - den inszenierten Versuch darstellt, die »Ansichten zu managen« und der wachsenden Empörung gegen GVO in der EU und in anderen Ländern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Momentan hat Monsanto nach Propaganda-Punkten einen taktischen Sieg errungen, die breite Öffentlichkeit glaubt die Geschichte vom Rückzug.

Aber natürlich hat Monsanto den in der EU bereits auf den Markt gebrachten Mais nicht zurückgerufen, und das trotz einer vernichtenden unabhängigen wissenschaftlichen Zweijahresstudie an 200 Ratten, die ergeben hatte, dass Tiere, die mit Genmais gefüttert wurden und das Pflanzenschutzmittel Roundup erhielten, im Vergleich zu konventionell gefütterten Ratten deutlich mehr Krebstumoren, höhere Todesraten und Organschäden aufwiesen.

Darüber hinaus gibt Monsanto offen zu, dass sich der Konzern den Weg auf den osteuropäischen Saatgutmarkt bahnt, obwohl nur von konventionellem Saatgut die Rede ist. Jesus Madrazo, Vizechef für Internationale Angelegenheiten bei Monsanto, erklärte, das Unternehmen konzentriere sich darauf, in der Ukraine Marktanteile für konventionelles Mais-Saatgut zu entwickeln. Osteuropa und Südamerika seien aktuell wichtige Wachstumsbereiche für das Unternehmen.

Dann wurde in den USA bekannt, dass Monsanto direkt mit US-Senator Roy Blunt, einem Republikaner aus Monsantos Heimatstaat Missouri und Nutznießer großzügiger Wahlkampfspenden des Konzerns, zusammengearbeitet hat. Für ihn wurde ein obskurer Absatz formuliert, den Blunt in eine Gesetzesvorlage einbrachte, durch den Monsanto von der Haftung für alle Schäden, die seine Pflanzen oder Chemikalien verursachen, freigestellt wird.

Bei dem Gesetz, das mittlerweile den Spitznamen »Monsanto Protection Act« (Gesetz zum Schutz von Monsanto) erhalten hat, war vielen Kongressabgeordneten gar nicht bewusst, dass es Teil eines Ausgabegesetzes war, über das sie abstimmten. Das Monsanto-Gesetz, das trotz hunderttausendfachen Protests von Präsident Obama unterzeichnet wurde, verschafft Monsanto und anderen GVO-Lieferanten rechtliche Immunität, und zwar auch dann, wenn zukünftige Untersuchungen ergeben, dass Gen-Saatgut schwere gesundheitliche Probleme, sogar Krebs, hervorruft. Die amerikanischen Bundesgerichte haben damit keine Handhabe mehr, Verbreitung, Verwendung oder Verkauf zu stoppen. Die einzigen anderen Konzerne in den USA, denen solch eine ungeheuerliche rechtliche Immunität gewährt wird, sind die Impfstoffhersteller.

Es ergibt sich also ein ganz anderes Bild als in dem cleveren taz-Artikel, der dann weltweit von den Mainstreammedien aufgegriffen wurde. Monsanto stellt nach eigenem Bekunden den Verkauf seiner Gen-Produkte und Unkrautvernichtungsmittel nicht ein. Auch die Importe von Gen-Soja und Gen-Mais nach Europa werden nicht gestoppt, sie werden von dem EU-Gesetz zur Kennzeichnung von Genprodukten nicht erfasst.

Darüber hinaus erklärt Monsanto, man konzentriere sich auf die Gewinnung von Marktanteilen in Osteuropa, wo die Aufsichtsbehörden oftmals »entspannter« an ihre Aufgabe herangehen, und in der notorisch korrupten Ukraine. Das Unternehmen bestreitet nicht, für GVO Werbung zu betreiben, hebt aber die Konzentration auf konventionelles Saatgut positiv hervor. Kurz: Geopolitisch steht für Monsantos Versuch, sich die Kontrolle über das Saatgut für die wichtigsten Pflanzen zu verschaffen, viel zu viel auf dem Spiel, als dass vorschnell die weiße Fahne gehisst würde.

EU will neue gentechnisch veränderte Maissorte von Monsanto zulassen

Nur zehn Tage nach dem sorgfältig formulierten Monsanto-Interview in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung kündigte die EU-Kommission an, man wolle am 10. Juni über die Zulassung einer neuen gentechnisch veränderten und patentierten Maissorte mit dem Namen »SmartStax« entscheiden. Monsanto hält das Patent zusammen mit "Dow AgroSciences". SmartStax soll angeblich sechs verschiedene Insektizide produzieren und gegen einige Herbizide resistent sein. Es wurde bereits von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) zugelassen, obwohl noch wichtige Unbedenklichkeitstests und die Zustimmung der EU-Kommission fehlen, wie aus Brüssel zu hören war.

Wie Dr. Christopher Then vom Institut für unabhängige Folgeabschätzungen in der Biotechnologie (BioTech) erklärte, wurde SmartStax von der (von Monsanto beeinflussten, W.E.) EFSA in der Risikoabschätzung positiv bewertet, obwohl Monsanto und Dow AgroSciences nachweislich wesentliche Sicherheitstests nicht durchgeführt hatten.

Aber die Monsanto-Show geht weiter und geht weiter und geht weiter...