Ich kann Obama schon lange nicht mehr zuhören. Deshalb wartete ich gestern bis nach seiner Rede im Knox College in Illinois über die Lage der US-Wirtschaft und las ein paar Berichte darüber. Die Kernaussage des US-Präsidenten war, Amerika habe das Wesentliche aus dem Auge verloren: “Washington has taken its eye off the ball.”

Nein, Mr. President: Amerika hat seine Seele verloren.

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Der amerikanische Traum ist unter einem Berg von Schulden und grassierender Ungleichheit implodiert. Euer Land schickt mehr junge Menschen in den Krieg und in private Gefängnisse als je zuvor. Die Regierung belauscht das eigene Volk in einem Ausmaß, das für die meisten kaum vorstellbar war. Die Herrschaft der Gesetze wird ausgehöhlt.

Früher haben sowjetische Dissidenten in den USA um Asyl gebeten - und es bekommen. Jetzt retten sich jene, die das US-System bloßstellen, nach Moskau oder in südamerikanische Botschaften. Wenn sie nicht das Weite von dem amerikanischen Gulag suchen, wie Bradley Manning, wird ihnen ein Schauprozess in Maryland gemacht.

Ungewählte Notenbanker steuern derweil die Wirtschaft. Dogmatisierte Parteien verhindern Reformen. Gleichgeschaltete Medien anästhesieren das Volk. Und aus dem “Yes We Can”-Rebellen ist eine Gallionsfigur von Finanzwirtschaft und Konzernen geworden.

Erstaunlich ist nur noch, warum das Empire nicht schneller in sich zusammenfällt. Aber anders als bei den Clubs der Bundesliga dauert der Abstieg großer Mächte oft länger als der Aufstieg.

Um auf die Worte von Barack Obama zurück zu kommen: Überall ist in den USA das Auge nicht mehr auf den Ball gerichtet. Korruption, Selbstherrlichkeit und der Irrglaube, die Notenbanker könnten am Ende alles irgendwie richten, haben eine Erosion einstiger Stärken begünstigt.

Statt Technologie-Führerschaft, Stehauf-Qualitäten und schier grenzenlosem Erneuerungspotential dominieren jetzt Siechtum von Anlagen und Institutionen, die Obsession mit dem Terror, rüdes Raubrittertum und eine immer noch wachsende - und erschreckende - Bereitschaft, sich alles mit Gewalt zu nehmen, was nicht freiwillig des Weges kommt.

Apple ist ein Beispiel für diesen Niedergang. Selbst in China gerät der einstige Tech-Primus nun in die Defensive, weil sich das Unternehmen - auf Innovationskraft berufend, die es so nicht mehr hat - weigerte, in den Schwellenmärkten sein Produktportfolio auf günstigere Smartphones zu erweitern und damit den vielschichtigen Einkommens-Pyramiden besser Rechnung zu tragen.

Stattdessen ist Apple - wie ein störrischer deutsche Bäcker - frei dem Motto verfahren: Unsere Produkte sind so gut, die gehen zu jedem Preis, und die Kunden kommen schon von alleine.

Sind sie auch, eine zeitlang. Sie standen sogar endlos Schlange. Aber jetzt kommen lokale Rivalen und führen den Amerikanern vor, dass auch im Pricing, der Marken-Positionierung und der marktgerechten Expansion des Portfolios eine Innovationskraft liegt. Hier wird die Verschlafenheit angeblicher amerikanischer Genialität gnadenlos vorgeführt.

Apple meldete am Dienstag, dass der Umsatz in China im jüngsten Quartal zum Vorjahr um 14% gesunken ist. Zum Vorquartal sind das sogar 43% Rückgang. Wie kann ein Tech-Primus so blind und arrogant gegenüber einem der wichtigsten Zukunftsmärkte sein ?

Jetzt wird das Unternehmen für seine Ignoranz bestraft. Das Ergebnis ist der erste Rückgang der Verkaufserlöse im Großraum China (mit Hong Kong und Taiwan), seit diese getrennt ausgewiesen werden.

McDonald´s ist auch so ein Beispiel. Den Billig-Bratern ist es zu lange entgangen, dass ausgezehrte Kunden im Soge stagnierender Reallöhne und einer Rally bei Teilzeit-Jobs so unter Druck geraten sind, dass sie jetzt NOCH billigere Ketten aufsuchen. Wie kann der Marktführer in diesem Segment so eine wichtige Entwicklung nicht besser einschätzen ?

Jetzt wird wieder mal heftig gegengerudert. McDonald´s erweitert das Frühstücks-Angebot, bringt Blueberry Pomgranate Smoothies für diejenigen, die noch Geld haben, und arbeitet am Design seiner gelben Bögen. - Frühzeitig besser hinhören hätte mehr gebracht. - Aber genau hinhören können in den USA offenbar nur noch wenige, darunter die NSA.

Seine Erwartungen dämpfen muss auch Caterpillar, der weltweit größte Hersteller von Bau- und Minenfahrzeugen. Die Zahlen für das zweite Quartal, gestern präsentiert, verheißen nichts Gutes. Der Gewinn je Aktie lag bei 1,45 Dollar. Erwartet hatten Analysten 1,68. Wer an die Bauwirtschaft und die Minenbranche verkauft, bekommt die schwindende Dynamik der Weltwirtschaft zu spüren.

Jetzt erwartet Caterpillar für die globale Konjunktur im laufenden Jahr nur noch etwas mehr als 2% BIP-Zuwachs. Natürlich sind “die Märkte” mal wieder überrascht. Sollten sie aber nicht. Amerikas Firmen haben nicht nur die innere Kraft der Weltwirtschaft überschätzt, sie haben auch die Erholung der eigenen Konjunktur zu optimistisch gesehen, so wie einst die Ratingagenturen windig gestrickte Derivate.

Doch im ersten Halbjahr 2013 blieb die Industrieproduktion in mehr als der Hälfte aller Länder auf der Welt unter dem Niveau, das bei Ausbruch der Finanzkrise erreicht worden war. In 10 der 12 größten Volkswirtschaften wurden die BIP-Prognosen für 2013 nach unten korrigiert. Und 18 Zentralbanken senkten die Zinsen, auf einen Schnitt, der unter dem Vergleichswert von 2009 liegt.

Trotzdem werden vom IWF über die OECD und die Weltbank bis hin zu Investmentbanken die Vorhersagen einkassiert. Wer sollte sich da noch von etwas “überraschen” lassen? - Vielleicht nur jene, die am Ende ihrer so oft wiederholten Propaganda Glauben geschenkt haben.