Der NSA-Whistleblower Edward Snowden ist gegenüber seinen Kritikern in den USA in die Offensive gegangen und hat den etablierten Medien vorgeworfen, ihren Lesern oder Zuschauern und Zuhörern gegenüber »aus Furcht, als unpatriotisch angesehen und vom Markt bestraft zu werden«, versagt zu haben. In einem seiner seltenen Interviews erläuterte Snowden auch, warum er gerade an den britischen Journalisten Glenn Greenwald und die Dokumentarfilmerin Laura Poitras herangetreten sei, um die von ihm kopierten Dokumente öffentlich zu machen.
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In einer verschlüsselten E-Mail-Korrespondenz mit dem Journalisten Peter Maass legte der frühere NSA-Vertragsmitarbeiter und heutige Whistleblower seine offene Einschätzung der amerikanischen Medien dar und erläuterte noch einmal die Gründe, die ihn dazu veranlasst
hatten, die weltweiten NSA-Überwachungsprogramme zu enthüllen.

Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 herrschte in den USA ein überhitzter Nationalismus vor, der es den amerikanischen Medien unmöglich machte, eine ernsthafte und grundlegende Diskussion über die Exzesse des Verhaltens der Regierung zu führen, um den Eindruck zu vermeiden, man sei »unpatriotisch«, argumentierte Snowden in seinem Interview, das in der New York Times (NYT) veröffentlicht wurde - sein erstes Interview überhaupt, nachdem er befristet Asyl in Russland erhalten hatte.

»Nach dem 11. September 2001 haben viele der wichtigsten Nachrichtenmedien in Amerika ihre Kritik- und Kontrollfunktion gegenüber den Mächtigen aufgegeben - die journalistische Verantwortung, die Exzesse der Regierung anzuprangern - , weil man fürchtete, in dieser Zeit eines übersteigerten Nationalismus dann als ›unpatriotisch‹ angesehen und vom Markt abgestraft zu werden«, zitiert die NYT Snowden.

Dann ging Snowden darauf ein, warum er seine explosiven Informationen zuerst der Dokumentarfilmerin Laura Poitras, die die Verbindung zu dem investigativen Guardian-Journalisten Glenn Greenwald herstellte und auch als Verbindungsfrau zwischen beiden fungierte, und nun auch Maass vorlegte. »Laura und Glenn gehören zu den wenigen Menschen, die in dieser ganzen Zeit furchtlos auch über umstrittene Themen berichteten, obwohl sie mit heftiger persönlicher Kritik rechnen mussten. Gerade Laura geriet dadurch auch ins Visier genau der Überwachungsprogramme, deren Existenz und Einsatz im Rahmen der laufenden Enthüllungen öffentlich gemacht wurden«, erklärte er. Poitras hatte »ihren Mut, ihre große Erfahrung und ihr Können im Umgang mit der wahrscheinlich gefährlichsten Aufgabe, der sich eine Journalistin oder ein Journalist gegenüber sehen kann - nämlich der Offenlegung des verheimlichten Fehlverhaltens der mächtigsten Regierung der Welt - , hinlänglich unter Beweis gestellt«, sagte Snowden im Dialog mit der NYT und fügte hinzu, gerade diese besonderen Qualitäten hätten sie zur ersten und »offensichtlichen Wahl« gemacht.

Später widmete sich das Gespräch insbesondere dem weiteren Vorgehen Snowdens, der am 20. Mai mit ersten Details über das PRISM-Überwachungsprogramm der NSA im Gepäck in Hongkong eintraf. Er war sicher, Poitras vertrauen zu können. Snowden berichtete Maass, ihm sei schnell klargeworden, dass »Poitras mir mit größerem Argwohn gegenübertrat als ich ihr. Und ich bin schon für meine Paranoia bekannt«.

Weiter erzählte er: »Ihre Erfahrung und ihre starke Konzentration auf Einzelheiten und Verfahren verliehen ihr ein natürliches Talent für Sicherheitsfragen, und es entspannt die Situation, wenn man diesen Charakterzug an einer Person feststellt, die wahrscheinlich schon bald massiver Beobachtung und Überwachung ausgesetzt sein wird, so dass man sehr viel weniger Überzeugungsarbeit als normal leisten muss, damit sie die Risiken ernst nimmt.« Die Zusammenarbeit mit Poitras, meinte er später, habe es ihm ermöglicht, »sich zu öffnen, ohne fürchten zu müssen, dass das bewiesene Vertrauen später missbraucht würde.«

Dann kam er ausführlich auf das Problem der verschlüsselten Kommunikation zu sprechen, das insbesondere für Journalisten von großer Bedeutung ist. »Die Erkenntnis, dass es Leute in den Nachrichtenabteilungen gab, die sich nicht klar darüber waren, dass jede unverschlüsselte Nachricht, die sie über das Internet verschicken, von jedem Nachrichtendienst weltweit eingesehen werden kann, hat mich überrascht«, sagt er. Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Enthüllungen sollte jetzt jedem bewusst sein, dass unverschlüsselte Kommunikation von Journalisten mit ihren Quellen »unverzeihlicher Leichtsinn« ist, fügte er hinzu.

Der 30-jährige Snowden war am 23. Juni auf dem Moskauer Scheremetjewo-Flughafen gelandet, was den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu der Äußerung veranlasste, die überraschende Anwesenheit des Amerikaners sei »ein ungewolltes Weihnachtsgeschenk«. Nachdem er anfänglich in mehr als 20 Ländern Asyl beantragt hatte, akzeptierte Snowden dann letztlich das befristete Asylangebot Russlands, das unter der Bedingung gewährt wurde, dass er »die Interessen der USA nicht weiter schädigt«.

Die Entscheidung Moskaus, Snowden ein auf ein Jahr begrenztes Asyl zu gewähren, löste in den USA Verärgerung aus und veranlasste US-Präsident Obama sogar dazu, sein für Anfang September geplantes Treffen mit Putin abzusagen. Der Kreml reagierte seinerseits enttäuscht auf die Entscheidung des Weißen Hauses und erinnerte daran, dass die USA selbst in der Vergangenheit Auslieferungsanträge Russlands zurückgewiesen hätten. »Wir sind von der Entscheidung der amerikanischen Regierung, den Besuch Präsident Obamas in Moskau abzusagen, enttäuscht. Diese Entscheidung steht in einem offensichtlichen Zusammenhang mit dem Fall des früheren Geheimdienstmitarbeiters Snowden - eine Situation, für die wir nicht verantwortlich sind«, erklärte der außenpolitische Berater Putins, Juri Uschakow.

Die USA, so Uschakow weiter, hätten sich »jahrelang dem Abschluss eines Auslieferungsvertrages« mit Russland verweigert und unter Berufung auf das Fehlen eines solchen Vertrages immer wieder Auslieferungsgesuche Moskaus abgelehnt. »Diese Situation zeigt, dass die USA immer noch nicht bereit sind, gleichberechtigte Beziehungen zu Russland aufzubauen«, erklärte Uschakow.