Silvio Berlusconi hat in Italien erneut eine politische Krise provoziert. Jetzt steht die Koalitionsregierung vor dem Aus. Staatschef Giorgio Napolitano versucht, zwischen den Lagern zu vermitteln - und Neuwahlen zu vermeiden.
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Rom - Das politische Chaos in Rom erzürnt die Gemüter des Landes. Silvio Berlusconis fünf Minister der PdL-Partei ("Volk der Freiheit") verlassen das Kabinett. Für diesen Schritt kassierte Ex-Regierungschef Berlusconi, der Anfang August wegen Steuerbetrugs verurteilt wurde, prompt Kritik in der Presse: "Der Verurteilte lässt Italien untergehen", titelte die linke Zeitung Il Fatto Quotidiano am Sonntag.

Andere Medien bezeichneten Berlusconis Vorstoß als Verrücktheit. La Stampa-Chefredakteur Mario Calabresi rief der politischen Klasse zu: "Jetzt reicht's, denkt an das Land!" Auch Regierungschef Enrico Letta sprach von einem "törichten und unverantwortlichen" Schritt.

Nach der Ankündigung der fünf Minister aus der großen Koalition auszusteigen steht Italiens Regierung nach nur fünf Monaten vor dem Aus. Staatschef Giorgio Napolitano versucht jetzt, Neuwahlen zu vermeiden. Ihm fällt in dem seit Wochen andauernden Streit die Rolle des Vermittlers zu. Am Sonntag wollte er mit Letta zusammenkommen, um über einen Ausweg aus der Krise zu beraten.

Er werde das Parlament nur auflösen, so Napolitano am Sonntag, "falls es keine anderen Lösungen geben sollte". Gemeinsam mit Letta wollte er am Abend ausloten, ob die Legislaturperiode trotz dieser kritischen politischen Phase fortgesetzt werden kann. Berlusconi forderte am Sonntag hingegen, "so schnell wie möglich" vorgezogene Neuwahlen anzusetzen. Die Umfragen zeigten, "dass wir sie gewinnen werden", sagte er.

"Inakzeptables und unannehmbares Ultimatum"

Die Regierungskrise trifft die drittgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone in der schwersten Rezession nach dem Krieg. Am Samstag hatten die Minister des rechten Lagers erklärt, die Bedingungen für einen Verbleib in dem Bündnis seien nicht mehr gegeben. Zudem bezeichneten sie das von Ministerpräsident Letta geforderte Bekenntnis zur Koalition als inakzeptables und unannehmbares Ultimatum. Sie griffen damit eine entsprechende Äußerung Berlusconis auf.

In den kommenden Tagen soll es ein Vertrauensvotum im Parlament geben. Letta hatte diesen Schritt am Freitag beschlossen. Corriere della Sera kritisierte das Manöver Berlusconis. "Gemäßigte, wo seid ihr?" fragte die Mailänder Zeitung. Falls sich die Krise verschärfe, werde es schwieriger, die wirtschaftlichen Probleme in den Griff zu bekommen und grundlegende Reformen auf den Weg zu bringen.

In der Koalition aus Berlusconis PdL-Partei und der linken PD (Demokratische Partei) Lettas gibt es seit vielen Wochen erhebliche Spannungen. Ein Hauptgrund ist dabei der drohende Ausschluss des rechtskräftig verurteilten Berlusconi aus dem Senat. Seine Partei nannte jedoch ein anderes Motiv für den Rückzug der fünf Minister: die von ihnen abgelehnte Erhöhung der Mehrwertsteuer in Italien auf 22 Prozent.

Letta warf seinem Vorvorgänger Berlusconi vor, der Abzug seiner Minister aus dem Kabinett diene allein der "Verteidigung seiner persönlichen Interessen". Eine "derart große Lüge und ein derartiger Versuch, die Wahrheit zu verzerren", würden auf Berlusconi zurückfallen, sagte der Ministerpräsident. Mit Blick auf die von ihm angesetzte Vertrauensabstimmung erklärte Letta weiter, im Parlament werde nun "jeder seine Verantwortung vor dem Land übernehmen".
Suche nach neuer Mehrheit

PD-Parteichef Guglielmo Epifani nannte die PdL-Ankündigung den letzten Akt vor dem Kollaps. Berlusconi-Gegner meinten, dieser habe die Regierungskrise nur vom Zaun gebrochen, damit im Senat nicht über seinen Ausschluss aus der kleinen Kammer entschieden werden könnte. Am kommenden Freitag muss der Immunitätsausschuss des Senats in zweiter Abstimmung entscheiden, ob der langjährige Berlusconi seinen Sitz in der zweiten Parlamentskammer behalten kann. In einer ersten Abstimmung hatte der Ausschuss dies mehrheitlich abgelehnt.

Nach einem Rücktritt der Regierung könnte Staatschef Napolitano erneut Letta oder einen anderen Politiker beauftragen, eine neue Mehrheit für eine Übergangsregierung zu suchen. Er war immer strikt dagegen, das Parlament aufzulösen und Neuwahlen auszurufen. Denn mit dem derzeit gültigen Wahlrecht könnte es bei einem Urnengang wiedereine Patt-Situation wie im Februar geben.

cib/AFP/dpa