Das japanische Beben hat den Amerikanern ihre eigene Verletzlichkeit vor Augen geführt. Was in Japan passiert ist, trifft bald uns, sagen amerikanische Experten. Ihre Sorge gilt den Atommeilern nahe San Francisco.

Das Erdbeben in Japan hat die hitzigen innenpolitischen Debatten in den USA verdrängt. Bis Freitag dominierte der Streit um Sparprogramme und die Entmachtung der Gewerkschaften; seither blicken die Amerikaner über den Pazifik auf die Verwüstungen an ihrer Gegenküste - und fragen, ob ähnliches Leid schon bald ihnen selbst droht. In Kalifornien liegt die Wahrscheinlichkeit eines schweren Bebens innerhalb der nächsten Jahrzehnte über 90 Prozent. Was wären die Folgen für die 37 Millionen Einwohner und die vier Atomreaktoren dort?

Die USA sehen sich in einer Schicksalsgemeinschaft mit Japan, aus doppeltem Grund. Erstens liegen sie geografisch näher an Japan als Europa.

Zweitens wirkt die Katastrophe wie eine Warnung für die eigene Zukunft. Die Tsunamis, die das Beben im Westpazifik auslöste, erreichten wenige Stunden später Hawaii und dann Kalifornien. Das 2004 eingerichtete Frühwarnsystem bewährte sich. Die Bewohner der Pazifikinseln und der US-Westküste konnten sich rechtzeitig in Sicherheit bringen. Die Kehrseite der Lehre: Wenn die Erde eines Tags genauso vehement in Kalifornien, Oregon oder Washington State bebt, wird die Vorwarnzeit für die Bewohner dort zu kurz sein. Wie jetzt in Japan werden nach dem Beben nur wenige Minuten bleiben, ehe die Tsunamiwellen über die eigene Küste hereinbrechen. Das Frühwarnsystem hilft nur denen, die weit entfernt leben.

Direkt betroffen fühlen sich die USA auch wegen ihrer Militärbasen in Japan und den mehr als 35 000 Amerikanern, die dort stationiert sind. Sie sind wohlauf und helfen nun bei der Rettung Überlebender und den Aufräumarbeiten. Hilfsteams aus den USA werden über den Militärflugplatz Misawa eingeflogen, der nahe am Erdbebengebiet liegt, aber intakt blieb. Die Flugzeugträgergruppe „Ronald Reagan“ ist am Sonntag eingelaufen. Sie wird als schwimmendes Lazarett und schwimmender Flughafen zum Auftanken der Rettungshubschrauber dienen.

Vor allem hat das japanische Beben den Amerikanern aber ihre eigene Verletzlichkeit vor Augen geführt. Die generelle Gefährdung Japans und Kaliforniens durch schwere Erdbeben schätzen US-Experten wie Tom Jordan, Direktor des südkalifornischen Erdbebenzentrums, als „verdammt ähnlich“ ein. Tim Melbourne von der Universität des Staats Washington glaubte bisher: „Die Japaner sind viel besser vorbereitet als wir.“

War das ein Irrglaube? Oder war die Analyse richtig, dass die Japaner die Folgen eines Erdbebens bei Bauvorschriften und Sicherheitsvorkehrungen planvoller berücksichtigt haben, als man das in den USA tut - und muss man befürchten, dass die Schäden einer solchen Katastrophe in Amerika noch gravierender wären?

„Was jetzt in Japan passiert ist, wird irgendwann in den nächsten Jahren uns treffen“, warnt Solomon Yim von der Staatlichen Universität Oregon. Das sagt auch David Oppenheimer, Tsunami-Experte des Geologischen Überwachungszentrums in Kalifornien. Die USA betreiben 104 Atommeiler. Vier davon stehen in Kalifornien: zwei im Südteil in San Onofre zwischen San Diego und Los Angeles; dort ist die Erdbebengefahr geringer. Die beiden anderen mit dem beziehungsreichen Namen „Diablo Canyon“ (Teufelsschlucht) liegen bei San Clemente auf halbem Weg zwischen Los Angeles und San Francisco und damit näher am Gebiet mit der höchsten Erdbebengefahr nahe dem San-Andreas-Graben.

Alle vier Reaktoren gehören zur jüngsten Generation in den USA. Sie gingen Mitte der Achtzigerjahre in Betrieb und sind moderner als die von Kernschmelze bedrohten japanischen Atomkraftwerke. Nach Angaben der US-Atomüberwachungsbehörde sind sie darauf ausgelegt, einem schweren Erdbeben und einem Tsunami zu widerstehen. Nach dem Atomunfall in Harrisburg 1979 (siehe Kasten rechts) waren keine neuen Kernkraftwerke mehr geplant worden. Die im Bau befindlichen wurden aber vollendet.

Zu Präsident Obamas Energiemix gehört die Belebung der Atomkraft. Er wollte den Bau einiger neuer Reaktoren mit acht Milliarden Dollar unterstützen. US-Zeitungen kommentieren, dieser Plan werde nun auf mehr Skepsis stoßen. Der Tonfall, in dem US-Medien über die drohende Kernschmelze im japanischen Atomkraftwerk Fukushima sowie die Schlussfolgerungen für den eigenen Umgang mit Atomenergie berichten, ist nüchterner als in Deutschland. Die Mehrheit hat keine prinzipiellen Bedenken gegen die Atomkraft. Ihr Anteil an der Stromversorgung beträgt 20 Prozent, in Kalifornien sogar nur 13 Prozent. In Deutschland sind es 23, in Japan über 30 Prozent.