Der Bundeswehr-Abzug aus Kundus in Afghanistan ist bald geschafft. Derzeit wird das letzte Material in das Hauptlager nach Masar-i-Scharif gebracht. Afghanische Polizisten in Kundus halten den Abzug für verfrüht. Sie haben Angst vor den Taliban.
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© Michael Kappeler/dpaSoldaten der Bundeswehr im Feldlager in Kundus. Kurz vor dem Abzug wird das Camp besonders stark bewacht.
Dunkel heben sich die kahlen Berge vom Nachthimmel ab, der Vollmond taucht das Tal des Kundus-Flusses in silbernes Licht. Einige Soldaten der Bundeswehr haben sich auf den Weg gemacht zu einem Außenposten am Rande eines Dorfes. Dies ist die vorderste Front, wenn man so will. Der kleine Posten ist umgeben von einer Mauer aus Kies-Körben und Lehm. Hier halten afghanische Dorfpolizisten die Stellung. Es sind Männer mit langen Bärten, wettergegerbten Gesichtern und einfachen Schlappen an den Füßen, die Kalaschnikow stets im Anschlag.

Den jungen deutschen Offizier kennen die Afghanen seit einigen Wochen. Sie nennen ihn Hauptmann Ludwig. Er kommt aus Bayern und ist seit Sommer in Kundus. Er hat seinen Dolmetscher immer dabei und eine zentrale Aufgabe. Mit den Afghanen reden, herausfinden, ob in der Nähe Taliban sein könnten, "damit wir als Soldaten ein genaues Bild haben, was wo los ist, wo Feindgruppierungen sind, wo es Vorfälle gab."

Im Moment ist alles ruhig. Vor ein paar Wochen beschossen Taliban den Außenposten. Jetzt aber reichen die beiden Kommandeure Tee und Wassermelonen.

Der letzte Teil des Abzugs ist der gefährlichste

Etwas entfernt, an einer Hauptstraße, sind Bundeswehr-Panzer in Stellung gegangen. Anspannung liegt in der Luft. Hier soll später einer jener Konvois vorbeifahren, die Waffen und anderes sensibles Material von Kundus ins Hauptquartier nach Mazar-i-Sharif bringen.

Das letzte Kapitel des Abzugs aus Kundus ist damit eingeläutet, es ist das gefährlichste. Denn in den Bergen über dem Tal des Kundus-Flusses sind die Taliban wieder stärker geworden. "Das heißt, wir müssen auch, da wir uns in der Kampfsaison befinden, immer mit Anschlägen rechnen, und darauf sind wir eingestellt", sagt Jochen Schneider. Er befehligt die deutschen Einheiten in Kundus.

Noch am Nachmittag war ein deutscher Panzer auf eine Sprengfalle gefahren, es gab einen Verletzten. Zwei Wochen zuvor hatten Taliban einen Außenposten der Polizei in der Nähe angegriffen, die afghanischen Polizisten gerieten in arge Bedrängnis, schließlich forderte Schneider einen Luftschlag an. "Allen ist klar geworden, dass wir hier einen ernsthaften Kampfauftrag haben und nicht nur Brunnen bohren. Wir riskieren hier etwas für die Sicherheit in Afghanistan."

"Die Deutschen sollten noch bleiben"

Aber was, wenn die Bundeswehr endgültig weg ist aus Kundus? Der afghanische Kommandeur des Außenpostens hat Angst, wie viele in der Gegend. "Der Abzug ist zu früh. Ich finde, die Deutschen sollten bleiben. Im Moment ist die Lage okay, aber was kommt, weiß nur der liebe Gott."

Auch Hauptmann Ludwig hat ein flaues Gefühl im Magen. Noch wird der Außenposten hier von der Bundeswehr ausgerüstet. Künftig soll die afghanische Armee die lokalen Einheiten unterstützen. Doch andernorts kommt diese Hilfe der Armee nicht an bei den vordersten Posten: "Wir ziehen bald ab und bislang funktioniert es nicht. Deshalb sehe ich schwierigen Zeiten entgegen."

Heimkehr in weiter Ferne

Früher Morgen. Auf der Hauptstraße rauschen mehrere Lastwagen und Panzer vorbei. In der Luft sichern Drohnen und Hubschrauber den Konvoi. Heute bleibt zumindest hier alles ruhig, auch am Außenposten der afghanischen Sicherheitskräfte. Nach mehreren Gläsern Tee ist es Zeit für einen Abschied, der Polizist mit den abgewetzten Schlappen und der Kalaschnikow schüttelt lange die Hand von Hauptmann Ludwig und sucht nach Worten. "Weißt Du, wir wollen hier nur in Frieden leben. Wir wünschen Euch, dass Ihr wieder heil nach Hause kommt."

Nach Hause kommen, das wird noch dauern. Bis Hauptmann Ludwig und seine Männer endgültig aus Kundus abziehen, werden sich durchs Tal des Kundus-Flusses noch weitere Konvois der Bundeswehr schlängeln, müssen die Soldaten nachts ausschwärmen, um die Straßen zu sichern gemeinsam mit den Afghanen und immer auf der Hut vor den Taliban.