Der britische Geheimdienst "Government Communications Headquarters" (GCHQ) mit Sitz in Cheltenham hat Zugang zu weltweiten Kommunikationsnetzwerken, speichert Telefonanrufe, die hochgeladenen Informationen von Facebook-Nutzern und deren Facebook-Nutzerdaten und Internetverlaufsdaten - und teilt diese Informationen mit seinem amerikanischen Gegenstück, der NSA, berichtete der »Whistleblower« Edward Snowden in einer neuen Enthüllung der britischen Tageszeitung "The Guardian."
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Über seinen geheimen Zugang zu den Glasfasernetzwerken des internationalen Kommunikationsverkehrs ist das GCHQ in der Lage, riesige Datenmengen bestimmter Zielpersonen oder-gruppen, aber auch völlig unschuldiger Personen zu erfassen und zu verarbeiten. Dies schließt die Aufzeichnung von Telefongesprächen und das Mitlesen von E-Mails mit ein, wie am Freitag enthüllt wurde. »Es handelt sich nicht nur um ein amerikanisches Problem«, sagte Snowden gegenüber dem Guardian. »Auch England ist in großem Stil daran beteiligt. Sie [das GCHQ] sind sogar noch schlimmer als die USA.«

Das GCHQ betreibt zwei unterschiedliche Programme, in deren Rahmen die Internetdaten und Telefongespräche abgefangen und gespeichert werden - sie laufen unter den bezeichnenden Namen »Mastering the Internet« (»Beherrschung des Internets«) und »Global Telecoms Exploitation«. Beide Programme laufen, so berichtete der Guardian weiter, ohne dass die Öffentlichkeit in irgendeiner Weise Kenntnis hatte. »Wie Sie sich erinnern werden, hat selbst die NSA erklärt, sie zeichne keine Telefongespräche auf. Aber nach diesen jüngsten Enthüllungen von Edward Snowden zeichnete das GCHQ im letzten Jahr pro Tag bis zu 600 Millionen Telefongespräche auf«, berichtete die RT-Korrespondentin Tesa Arcilla aus London. Angesichts der Bezeichnungen wusste man zweifellos genau, was man tat und zu welchem Zweck diese Programme eingesetzt würden, als man sie einrichtete und aktivierte, fuhr sie fort.

Die Behörde ist in der Lage, die gewaltigen Datenmengen, die aus den Glasfasernetzwerken »abgesaugt« werden, 30 Tage lang zu speichern. Diese Spionageoperation mit dem Decknamen »Tempora« läuft seit 18 Monaten.

Wie aus den vorliegenden Dokumenten hervorgeht, verarbeitete das GCHQ 600 Millionen Telefon »Ereignisse« pro Tag. Die Behörde hat sich Zugang zu etwa 200 Glasfaserkabeln verschafft und kann die Daten von 46 dieser Kabel gleichzeitig verarbeiten. Die vom GCHQ angezapften Datenkabel können Datenmengen von zehn Gigabit (= 109Bits) pro Sekunde transportieren, das ergäbe rein rechnerisch pro Tag eine Datenmenge von 21 Petabyte ( = 1015 Bytes oder 1000 Terrabytes) an Daten. Das Programm wird auf täglicher Basis weiterentwickelt und ausgeweitet. Ziel der Behörde ist es, einige Tausend Gigabits gleichzeitig verarbeiten zu können.

»Dies kommt offenbar einer zentralisierten Datenerfassung und -Speicherung aller Internet-Kommunikationen gefährlich nahe, wenn dieses Ziel nicht sogar schon erreicht ist. Das bezieht auch Inhalte mit ein, die verschiedene frühere Regierungen ausgeschlossen hatten und zu denen das Parlament keine gesetzliche Grundlage verabschiedet hat«, sagte Nick Pickles von der britischen Organisation "
Big Brother Watch", die sich für Datenschutz und den Schutz der Privatsphäre einsetzt. »Wenn das GCHQ die Kommunikationen einer großen Zahl unbescholtener Menschen abgehört hat, kann ich mir kaum vorstellen, dass dies mit den rechtsstaatlichen Prinzipien und Verfahren in Einklang zu bringen ist, nach denen für jede einzelne Abhöraktion ein richterlicher Beschluss erforderlich ist. Dieses Problem muss dringendst im Parlament erörtert werden«, fuhr er fort.

Im vergangenen Jahr waren 300 Mitarbeiter des GCHQ und 250 Spezialisten der NSA damit beschäftigt, sich durch die Datenmengen zu wühlen, die im Rahmen dieser Operation angefallen waren. Wie der Guardian berichtete, hatten 850 000 NSA-Mitarbeiter und externe Partner mit einer hohen Sicherheitsfreigabe möglicherweise Zugang zu diesen Informationen. Aber die Zeitung erläutert nicht, wie es zu dieser hohen Zahl an Zugriffsberechtigten gekommen ist.

»Diese Enthüllungen offenbaren das Ausmaß und den Umfang der Zusammenarbeit zwischen britischen und amerikanischen Geheimdiensten«, erklärte RussiaToday-Korrespondentin Gayane Chichkyan in Washington. »Diese Enthüllungen zeigen uns, wie dramatisch diese Abhörprogramme in den letzten Jahren ausgeweitet wurden.« - »Diese Dokumente belegen, dass die FISA-Gerichte es der NSA gestattet haben, diese ›ungewollt‹ erhaltenen Daten auszuwerten. Damit erteilten sie praktisch die richterliche Erlaubnis, Zielpersonen ins Visier zu nehmen«, fuhr sie fort und erinnerte an die Äußerung des derzeitigen NSA-Direktors Generalleutnant Keith Alexander nach einem Besuch des britischen Luftwaffenstützpunkts Menwith in England. »Warum können wir nicht alle diese Daten ständig abfangen? Das hört sich doch wie ein gutes Sommerprojekt für Menwith an?«, sagte er damals.

Das GCHQ-ProjektTempora wurde 2008 mit einer Erprobungsphase gestartet. Der Geheimdienst selbst wurde 1946 gegründet und aufgrund seiner technischen Möglichkeiten auch schon als »Geheimdienstsupermacht« bezeichnet. Diese besonderen technischen Möglichkeiten ermöglichten ihm 2010 den bisher umfassendsten Zugriff der so genannten »Five Eyes« auf die weltweite Internetkommunikation. Bei den »Five Eyes« handelt es sich um eine internationale Geheimdienstallianz unter Beteiligung Australiens, Kanadas, Neuseelands, Großbritanniens und der USA zur gemeinsamen Auswertung und Nutzung der abgeschöpften Informationen.

Im Rahmen dieser großangelegten Abhör- und Überwachungsoperation wurden transatlantische Datenkabel angezapft, die den europäischen Kontinent erreichten. Diese Daten, etwa über Telefongespräche und von Internetservern, wurden auch über »Abhörpartnerschaften« mit kommerziell tätigen Unternehmen gewonnen, die geheime Vereinbarungen mit dem GCHQ abgeschlossen hatten. Viele der betreffenden Unternehmen wurden für ihre Dienste bezahlt. Das GCHQ befürchtete nun, eine Offenlegung der Namen dieser Unternehmen könnte »auf hoher Ebene zu negativen politischen Folgen« führen und ergriff verschiedene Maßnahmen, um die Namen unter Verschluss zu halten. Den Unternehmen waren Berichten zufolge richterliche Verfügungen vorgelegt worden, die sie zu einer Zusammenarbeit mit dem GCHQ verpflichteten, so dass das GCHQ über sie seine Spionageprogramme vorantreiben konnte. »Sie [die Unternehmen] hatten keine Wahl«, sagte ein Geheimdienstler gegenüber dem Guardian.

Bürgerrechtsaktivisten haben diese Datensammlung und -Speicherung massiv kritisiert. »Sie [die Dienste] machen sich die Tatsache zunutze, dass das Internet von seinem Wesen her international ist«, sagte Shami Chakrabati, die Direktorin der Bürgerrechtsorganisation "Liberty" gegenüber der BBC. »Es macht mich sehr traurig, wenn in einer Demokratie die Tätigkeit der Geheimdienste nicht in erster Linie durch moralische Werte oder eine rigide Interpretation und Anwendung der Gesetze, sondern nur durch die physischen und technischen Rahmenbedingungen eingeschränkt wird.«

Snowden hatte bereits vorher erklärt, er werde weitere Informationen zu umfangreichen »Sicherheitsoperationen« offenlegen, die gegenüber einer unvorsichtigen Öffentlichkeit leichtes Spiel hätten. In einem Chat mit den Lesern des Guardian hatte Snowden erklärt: »Die Wahrheit wird ans Licht kommen; und niemand kann das verhindern.«