Die Kernenergie ist ein weltumspannendes Multi-Milliarden-Geschäft - für eine Hand voll Konzerne. Sie verbergen sich hinter Wasserkraft und Windrädern, Regierungen und einfachen Abgeordneten. profil blickt hinter die Kulissen einer Branche, die nur allzu gerne sauberer wäre, als sie tatsächlich ist.

Eine strahlende Schönheit im knappen Bikini, ein stiller Teich, eine sanfte Böschung - und die Kühltürme eines Atomkraftwerks, die phallisch in den azurblauen Himmel ragen: Solle nur niemand glauben, Kernspaltung könne kein sinnliches Erlebnis sein. Die russische Atomindustrie wirbt mit diesen Motiven. Einmal im Jahr delektieren sich deren Manager an der Wahl zur „Miss Atom“, Stillleben spärlich bekleideter Damen vor mächtigen Meilern sind da nur der logische Ausdruck des tradierten Selbstverständnisses.
Sex sells, warum nicht auch Atomstrom?



Eine Ruine in verwüsteter Landschaft, wie sie strahlt, sieht man leider nicht, rauchende Reaktorblöcke, verzweifelte Rettungsversuche: Die Katastrophe von Fukushima hat das sorgsam kultivierte Image ­einer ganzen Industrie über Nacht implodieren lassen.

Zukunftsorientiert, weil technisch avanciert, zuverlässig und sicher, wirklich sicher, preiswert, also konkurrenzlos - und vor allem: grün, grüner, am grünsten.

Es gibt kein Klischee, das die internationale Atomlobby in den vergangenen Jahrzehnten nicht für sich besetzt hätte. Auf ihren Firmenhomepages lachen einem glückliche Kinder aus Afrika entgegen, die von Konzernen genährt, gekleidet und in Schulen geschickt werden.

Seit dem 11. März 2011 hat das vermeintlich zukunftsweisende Geschäftsmodell Kernkraft allem Anschein nach die Grundlage verloren. Das Desaster an der japanischen Ostküste hat weltweit erhitzte Debatten über den zivilen Einsatz von nuklearer Energie ausgelöst.

Vorerst bringt Fukushima jedoch vor allem eine Reihe von Regierungen und Institutionen in Bedrängnis. Es geht längst nicht mehr allein um die Frage, welche alternative Energieform in Zukunft forciert werden solle. Atomkraft war und ist heute mehr denn je ein weltumspannendes Geschäft, mit dem einige wenige Staaten und Konzerne Jahr für Jahr Milliarden einnehmen. Ein Geschäft, das zugleich der Durchsetzung geopolitischer Interessen dient und tief in den militärischen Komplex hineinreicht.

profil blickt hinter die Kulissen einer verschworenen Branche, die habituell Unsummen in Imagewerbung und PR steckt - die Öffentlichkeit aber per se, zumal kritisch, als Störfall empfindet.

I. Der Primat der Staaten

Ende 2010 hingen weltweit 443 Kernreaktoren in 30 Ländern am Netz, davon 143 in der EU. Zusammen deckten sie etwa 16 Prozent des globalen, gar ein Drittel des EU-Bedarfs. Gesicherte Zahlen über die Erlöse oder Gewinne der Atombranche existieren nicht. Allein in Europa dürften aber jährlich 200 Milliarden Euro mit der Erzeugung und dem Verkauf von Kernenergie, der Aufbereitung und Deponierung von Atommüll umgesetzt werden.

Der überwiegende Teil der heute laufenden Reaktoren wurde vor der Katastrophe von Tschernobyl 1986 gebaut oder zumindest projektiert. Danach war für fast zwei Jahrzehnte Schluss. Mit dem Effekt, dass der Kraftwerkspark heute einerseits veraltet, andererseits aber weitgehend abgeschrieben ist. Die buchhalterische Wertminderung der Anlagen belastet die Ergebnisse nicht oder kaum mehr, was wiederum die Profite subs­tanziell erhöht. Vorsichtigen Schätzungen zufolge wirft etwa ein 25 Jahre altes deutsches AKW mit einer Leistung von 1000 Megawatt (eine Art Richtwert im Kraftwerksbau) heute einen Nettogewinn von bis zu zwei Millionen Euro ab - am Tag. Macht rund 700 Millionen Euro im Jahr. Je länger betagte Kraftwerke also laufen, umso höher die Erträge für die Betreiber.

Um die Jahrtausendwende war wieder Bewegung ins internationale Atomgeschäft gekommen. Staaten wie China, Russland, Indien und die USA stellten sich an die Spitze des Kernkraftausbaus. Derzeit - zumindest bis zur Katastrophe in Japan - sind weltweit 62 neue Reaktoren in Bau, weitere 100 projektiert. Bis 2050 sollte die Zahl der Reaktoren auf mehr als 800 verdoppelt sein, was ein Investitionsvolumen von gut und gerne 1000 Milliarden Euro bedeutet hätte. Das waren die Pläne.

Große Investitionen - für einige wenige. Denn der Löwenanteil der Atomkraftwerke rund um den Erdball wird entweder von den jeweiligen Staaten oder deren Kommunen betrieben, von staatsnahen nationalen Konzernen oder gar von anderen Staaten. Die schwedische Vattenfall-Gruppe etwa betreibt nicht nur die zehn AKW-Anlagen des Königreichs, sie ist auch an drei (derzeit abgeschalteten) deutschen Standorten beteiligt; die italienische Enel-Gruppe, an welcher der Staat Italien Anteile hält, hat im Lande selbst zwar noch keine Kraftwerke, kontrolliert dafür aber den spanischen Atomkonzern Endesa und die slowakische Slovenské elektrárne, die wiederum das vor allem in Österreich umstrittene AKW Mochovce betreibt. Auch die japanische Tky-Denryoku-Gruppe (Tepco), Betreiberin des AKWs Fukushima, deren desaströse Informationspolitik in den vergangenen Tagen nicht nur die japanische Regierung entsetzte, steht im Einflussbereich der öffentlichen Hand: Die Stadt Tokio hält rund 40 Prozent an Tepco.

II. Schaltzentrale Elysée-Palast

Der derzeit wohl einflussreichste Atomlobbyist der Welt residiert allerdings in der Rue du Faubourg Saint-Honoré im achten Pariser Arrondissement, Sitz des französischen Staatspräsidenten. Nicolas Sarkozy gebietet von Amts wegen über den weltweit größten Erzeuger von Atomstrom, Eléctricité de France, kurz EdF. Der Konzern steht zu rund 90 Prozent im Einflussbereich der République und setzte 2010 rund 65 Milliarden Euro um, wovon die Atomkraft wiederum etwa drei Viertel beisteuerte. EdF verantwortet den Betrieb aller 59 französischen Reaktoren, kontrolliert über den AKW-Betreiber British Energy den britischen Markt und ist - noch - an der deutschen Energie Baden-Württemberg, kurz EnBW, beteiligt, die ihrerseits vier deutsche Meiler hat (zwei davon gehen allerdings im Rahmen des von Kanzlerin Angela Merken verordneten Moratoriums vom Netz). En passant beherrscht Sarkozy über die Staatsbeteiligung Gaz de France (GdF) auch die belgische AKW-Gesellschaft Electrabel, die alle sieben Reaktoren des Landes betreibt.

Frankreich bestritt bisher nicht nur drei Viertel seines Strombedarfs aus Kernenergie - mehr als ein Drittel des gesamten europäischen Aufkommens dürfte mittlerweile auf das Konto der Franzosen gehen. Und nicht nur das: Auch einer der bedeutendsten Kraftwerksbauer der Welt reiht sich nahtlos in „Sarkos“ Portefeuille: Areva. Der von der Vorstandsvorsitzenden Anne Lauvergeon geführte Staatskonzern gilt Umweltschützern ungeachtet seiner rezenten Bemühungen, im Bereich alternativer Energien zu expandieren, als ein Hort des Bösen. Areva (Umsatz 2010: fast zehn Milliarden Euro) ist heute einer der wichtigsten Erzeuger ziviler und militärischer (etwa in Atom-U-Booten) Kernreaktoren. Daneben betreibt der Konzern das umstrittene Wiederaufbereitungslager in La Hague, zeichnet für die nicht nur in Deutschland massiv umstrittenen „Castor“-Transporte ins Atommüll-Zwischenlager Gorleben verantwortlich und schürft Uran in westafrikanischen Minen. In der vergangenen Woche gab Areva bekannt, dass eine geplante „Mox“-Lieferung nach Japan ausgesetzt würde. „Mox“ ist eine Mischung aus Plutonium und Uran, radioaktiver als herkömmlicher Kernbrennstoff, schwerer kühlbar, der jetzt im Reaktor III in Fukushima Probleme macht. Lauvergeon, Mitglied der Sozialistischen Partei Frankreichs, einst Wegbegleiterin des 1996 verstorbenen Präsidenten François Mitterrand und bisweilen spöttisch „Anne atomique“ gerufen, liegt im Dauerclinch mit dem seit 2009 amtierenden EdF-Chef Henri Proglio, der bereits mehrfach die Zerschlagung von Areva und deren Einverleibung in den EdF-Konzern gefordert hat. Auch Proglio unterhält enge Kontakte in den Elysée-Palast, ist Studienfreund des früheren französischen Wirtschafts- und Finanzministers Dominique Strauss-Kahn, heute Direktor des Internationalen Währungsfonds, der sich ebenfalls für die Kernenergie starkmacht.

In der jüngeren Vergangenheit gerieten die selbstbewussten Franzosen international gehörig unter Druck. Ein von Sarkozy 2007 eingefädelter Deal mit Libyens Diktator Muammar Gaddafi zur Errichtung eines AKWs kam nie zustande, Ende 2009 unterlag Areva einem koreanisch-japanischen Konsortium im Rennen um die Errichtung von vier Reaktoren in Abu Dhabi. Der Markt für Anbieter von Nuklearanlagen ist insgesamt überschaubar. Und wohl gerade deshalb höchst kompetitiv. Das staatliche russische Kombinat Rosatom/Atom­stroyexport, eines der erklärten Liebkinder des nunmehrigen Ministerpräsidenten Wladimir Putin, betreibt 31 Reaktoren in Russland, drängt aber zusehends auf den Weltmarkt. Bar jedweden ideologischen Ballasts. So bauen die Russen derzeit unter anderem das erste iranische AKW Bushehr im Südwesten des Landes, haben mit der noch atomfreien Türkei Vorverträge zum Bau neuer Anlagen unterzeichnet und finalisieren die Erweiterung des bulgarischen AKWs Belene. Zwischen 1997 und 2007 hat Atomstroyexport obendrein zwei Blöcke des chinesischen Kraftwerks Tianwan errichtet. Die Russen sind auch die einzige Nation, welche die komplette nukleare Wertschöpfungskette abdeckt: von der Urangewinnung und Anreicherung über die Herstellung von Brennstäben hin zum Bau und Betrieb ganzer Kraftwerke.

Neben Frankreich und Russland verfolgen noch zwei US-amerikanische Konzerne globale Interessen, die ihrerseits mit japanischen Branchengrößen verbandelt sind: General Electric Hitachi Nuclear und Westinghouse Toshiba. General Electric, einer der größten Mischkonzerne der Welt, ist zugleich einer der wichtigsten „Contractors“ im US-amerikanischen Rüstungsgeschäft mit traditioneller Nähe zu Entscheidungsträgern der US-Politik. In der jüngeren Vergangenheit konzentrierte sich das Geschäft beider Allianzen vorwiegend auf den amerikanischen und asiatischen Raum, zumindest GE Hitachi versucht sich nun aber verstärkt auch an europäischen Projekten, so etwa in Polen. Neben Areva wird übrigens auch dieser Konzern von einer Frau geleitet: Caroline Reda.

Im eigentlichen Betrieb von Kernkraftwerken spielten die Amerikaner bisher eine vergleichsweise untergeordnete Rolle. Das nationale Atomgeschäft - in den USA laufen 104 Reaktoren - wird von einer Vielzahl regionaler Gesellschaften betrieben. Nummer eins in den USA ist die Exelon-Nuclear-Gruppe, die mit 17 Anlagen für rund 20 Prozent des US-amerikanischen Kernenergie-Aufkommens verantwortlich zeichnet - Exelon nennt übrigens auch Unfallreaktor Three Mile Island sein Eigen, dessen Kerne 1979 teilweise schmolzen.

Einer der einst wichtigsten Anbieter im internationalen Atomenergiesegment ist es heute nicht mehr: die deutsche Siemens-Gruppe. Der Technologiekonzern hatte seinen Geschäftsbereich Nukleartechnik Ende der neunziger Jahre, wohl unter dem Eindruck des schleppenden Geschäfts, mehrheitlich an Areva abgegeben - und sich im Gegenzug an einem Gemeinschaftsunternehmen mit den Franzosen beteiligt. Eine brüchige Partnerschaft, deren Ende im Vorjahr besiegelt wurde. Dessen ungeachtet verkündete der 2007 angetretene Siemens-Chef Peter Löscher vor nunmehr zwei Jahren den Ausstieg vom Ausstieg. Im März 2009 schloss Löscher eine Grundsatzvereinbarung mit der russischen Rosatom, um im internationalen Geschäft fortan gemeinsam aufzutreten. Allein, es blieb bei der Absicht. Die Verhandlungen zur Schaffung einer gemeinsamen Gesellschaft liegen seither auf Eis - sie sollten heuer finalisiert werden. Ob es dazu kommt, ist im Lichte der jüngsten Ereignisse fraglich.

III. Das Dilemma der Deutschen

In Deutschland hat alles begonnen. Im Dezember 1938 hatte der Atomphysiker Otto Hahn in einem Experiment die Kernspaltung entdeckt. Kaum drei Jahre später arbeiteten deutsche Physiker und Chemiker, die vor Adolf Hitler geflüchtet waren, in britischen und amerikanischen Laboratorien unter Hochdruck an der Entwicklung der Atombombe. Im Wettlauf mit dem NS-Regime. In die Entwicklung der Atombomben, die im August 1945 auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfen wurden, waren zigtausende Wissenschafter involviert, von denen sich viele, entsetzt vom Ausmaß der Verheerung, später der zivilen US-Kernkraftforschung zuwandten. In Deutschland dagegen war Kernforschung auf Beschluss der Alliierten bis 1955 verboten. Den Vorsprung konnten die Deutschen nie wieder aufholen. Das Atomprogramm kam in den sechziger Jahren nur zögernd voran.

Bis heute hat der Staat in Atomfragen denn auch weniger mitzureden als anderswo. Die Politik kann nur bedingt in die Konzerne hineinregieren. In der Bundesrepublik sind mit E.ON, RWE, EnBW und der schwedischen Vattenfall-Gruppe derzeit noch vier Anbieter zugange. Direkter öffentlicher Einfluss ist nur bei EnBW über das Land Baden-Württemberg gegeben. Die zwei größten Anbieter, E.ON und RWE, sind in der Hand institutioneller und privater Investoren, verstanden es bisher aber geschickt, die Identität ihrer Großaktionäre zu verschleiern.

Was umgekehrt nicht heißen soll, dass Staat und Konzerne nicht doch gemeinsame Sache machen. Im September 2009 veröffentlichte Greenpeace eine viel beachtete Studie des deutschen Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft. Derzufolge hat die Bundesrepublik Deutschland die deutsche Atomindustrie zwischen 1950 und 2008 mit einem Betrag von insgesamt knapp mehr als 160 Milliarden Euro subventioniert - in Form direkter Investitionen in den Kraftwerkspark, Darlehen, Bürgschaften, Forschungsförderungen und Steuererleichterungen. Das bemerkenswerte Resümee der Autoren gilt so wohl für die gesamte Atombranche: Ohne staatliche Stützungsmaßnahmen ließen sich Atomkraftwerke niemals kostendeckend betreiben, da der Strompreis gegenüber anderen Energieträgern schlicht nicht konkurrenzfähig wäre.

IV. Wie man eine Branche grün färbt

Das stete Spannungsfeld zwischen staatlichen und Partikularinteressen hat dazu geführt, dass Deutschland über die Jahre zu einer Art Musterland für gewieftes Pro-Atom-Lobbying geworden ist. Dies belegt etwa ein 109 Seiten starkes Dossier der Berliner PR-Agentur PRGS, das im Herbst 2009 an die Öffentlichkeit gelangte. Das Strategiepapier trägt den Titel „Kommunikationskonzept Kernenergie - Strategie, Argumente und Maßnahmen“. Erstellt wurde die Arbeit laut Deckblatt „für die E.ON Kernkraft GmbH“. E.ON ist der mit Abstand größte deutsche Energiekonzern (Jahresumsatz 2010: 82 Milliarden Euro) und war zuletzt am Betrieb von zehn deutschen AKWs beteiligt, teils in Kooperation mit Vattenfall beziehungsweise RWE - mit Brunsbüttel, Krümmel, Isar 1 und Unterweser stehen mittlerweile aber vier der Anlagen still.

Der Zeitpunkt für einen Eingriff in die öffentliche Debatte war seinerzeit gut gewählt. In Deutschland stand ein Wahljahr an - und die AKW-Betreiber hatten ein dringendes Anliegen. Im Jahr 2000 hatte die damals amtierende rot-grüne Regierung den völligen Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen. Schritt für Schritt sollten die Atomkraftwerke vom Netz genommen werden. Dies galt es mit Blick auf die zu erwartenden Gewinne rückgängig zu machen. Doch wie? „Die extreme Politisierung des Themas verhärtet die politischen Fronten. Der Wahlkampf wird diese Tendenz verstärken. So ist ein Kompromiss für eine Laufzeitverlängerung im Fall einer Neuauflage einer großen Koalition unmöglich. Ein Kompromiss würde für die SPD als ‚Umfallen‘ gewertet“, stellten die Berliner Unternehmensberater gleich eingangs der Studie fest. Also galt es, bereits im Wahlkampf aktiv mitzumischen. „Sowohl Medien als auch Politik spielen mit Emotionen bzw. gehen auf Emotionen in der Bevölkerung ein, um Aufmerksamkeit und Zustimmung zu erzeugen. (...) Es gilt also ... nicht nur argumentativ, sondern auch emotional die richtigen Themen zu besetzen“, heißt es da weiter. Die Agentur identifizierte ein halbes Dutzend verschiedener Themen und konstruierte auch gleich Argumentationslinien. Für die Zuspitzung der „Kernenergie als Preisdämpfer“ empfahl PRGS: „Als Preistreiber werden die erhöhte Nachfrage nach Energierohstoffen ausgemacht sowie die hoch subventionierte, ineffektive und langfristig ineffiziente Fotovoltaik.“ Und weiter: „Es gibt einige Prominente, die die Kombination Kernkraft und Windenergie favorisieren. Hier bieten sich Allianzen an.“ Aber auch das Schüren von Ängsten gehört zum Geschäft der Lobbyisten: „Als nachgelagertes, aber dennoch chancenreiches Thema hat PRGS die Import-Abhängigkeit vor allem von russischem Erdgas identifiziert. Dieses geostrategische Thema weckt historisch tradierte Ängste vor Russland. Diese Ängste kann E.ON in der Debatte für sich nutzen.“

Blöd nur: „Die Geschichte der Revision des Atomvertrags - der Ausstieg vom Ausstieg - ist ... schnell erzählt. Sie würde nur als Negativfolie zur Darstellung des Bürgerprotests dienen. E.ON hat aus diesem Grund mit Recht einen schädlichen Medientenor im Wahlkampf zu fürchten“, heißt es im Abschnitt „Rolle der Medien“. Dazu lieferte die PR-Agentur eine Auflistung der für den Bereich Energie zuständigen Journalisten in Deutschlands Leitmedien samt deren mutmaßlicher politischer Orientierung. „Der ‚Spiegel‘ festigt mit seinem allseits kritisch-provokanten Kurs den groß­koalitionären Status quo“, heißt es da, ein anderes Blatt habe „zwei ausgewiesene Ökoliberale auf das Thema Energie angesetzt“.

Der Urnengang brachte ein für die Atomlobby erfreuliches Ergebnis. Oder mit den Worten der Agentur PRGS: „Im ersten Quartal 2009 werden die politischen Reihen der Befürworter, insbesondere im bürgerlichen Lager bei CDU/CSU und FDP, geschlossen.“ Im vierten Quartal 2009 bildete das bürgerliche Lager die Regierung. Und schon im Jänner des Jahres 2010 fanden sich die Repräsentanten von E.ON, RWE, Vattenfall und EnBW zu exklusiven Verhandlungen über die Verlängerung der Laufzeiten ihrer Atomkraftwerke im Kanzleramt zu Berlin ein. Wenige Monate später war der Ausstieg vom Atomausstieg beschlossene Sache - und damit prognostizierte zusätzliche Gewinne für die AKW-Betreiber in der Höhe von bis zu 200 Milliarden Euro.

V. Politiker zu Diensten

Selbstredend beließen es die deutschen Branchengrößen nicht bei launigen PR-Konzepten. Schwere Irritationen bei der grünen Partei etwa löste 2008 die ehema­lige Staatssekretärin der Grünen, Margareta Wolf, aus. Die Politikerin hatte ihr Bundesratsmandat 2007 zurückgelegt und war zur Kommunikationsberatung Deekeling Arndt Advisors gewechselt, die von deutschen AKW-Betreibern beauftragt war, „die Stimmung für eine Verlängerung der Laufzeiten zu verbessern“. Peinlich für die Grünen war auch das Engagement ihres verglühten Stars, Ex-Außenminister Joschka Fischer, der die RWE nunmehr beim Pipeline-Projekt Nabucco berät.
In anderen Parteien sieht man solche Seitenwechsel wesentlich entspannter, selbst wenn sie der vorangegangenen moralischen Pose diametral widersprechen.

Dort, wo Manager der Atomindustrie nicht ohnehin in den Sphären der Politik daheim sind, weil sich die Energiekonzerne in staatlicher Hand befinden, greifen Strategen dieses Wirtschaftszweigs nämlich gern auf die Scharnierfunktion der Politik zurück. Das reicht vom kleinen Abgeordneten bis zur ausgemusterten Politikprominenz.

So wird in diesen Tagen einigen Schweizer Bundesräten etwas unbehaglich zumute gewesen sein, als sie daran erinnert wurden, dass sich das älteste Atomkraftwerk in der Schweiz, das vor 39 Jahren errichtete Mühleberg, an einem Stausee befindet, der von einer noch älteren, von Hohlräumen durchsetzten Mauer geschützt wird, bei dessen Bau in den Nachkriegsjahren an Beton gespart wurde. Ein Drittel der Bundesräte ist Mitglied in einer der zahlreichen Schweizer Pro-Atom-Vereine, nützt die zur Verfügung gestellte Infrastruktur für Einladungen und Vorträge. Die meisten sind bei Aves, der Aktion für eine vernünftige Energiepolitik, engagiert, die laut ihrer Homepage „zurzeit keine Kommentare zu den Auswirkungen des Erdbebens und des Tsunamis auf das stark betroffene Kernkraftwerk Fukushima abgeben“ möchte.

In Schweigen hüllen sich auch jene Politiker, die geblendet von Macht, Prestige und Einkommen in den vergangenen Jahren von der Atomindustrie angeheuert wurden, um ihre Verbindungen spielen zu lassen. Österreichs Bundeskanzler a. D. Wolfgang Schüssel, in Vorzeiten ein eifriger Kernenergiegegner, nahm im vergangenen Frühjahr den Posten eines gut dotierten Aufsichtsrats in der Essener RWE an, jenem Konzern, der bisher am Betrieb von fünf deutschen Reaktoren beteiligt war. Kein Wort hörte man von Schüssel, als bekannt wurde, dass RWE ausgerechnet jenes Kölner Universitätsinstitut sponserte, das mit seinem Energiebedarfsbericht die Entscheidung für eine Verlängerung der Laufzeit deutscher Atomkraftwerke untermauerte - und in dessen Verwaltungsrat selbstverständlich Manager der Energiekonzerne RWE und E.ON sitzen.

RWE, dessen Chef Jürgen Grossmann sich mit Gerhard Schröder gern im Kanzleramt zu Skatrunden traf, ist in der Rekrutierung von Politprominenz besonders erfolgreich. Neben dem konservativen Schüssel und dem grünen Fischer hat der Konzern auch den früheren SPD-Wirtschaftsminister Wolfgang Clement verpflichtet. Clement ist sowohl Aufsichtsrat der RWE-Kraftwerks­tochter wie auch des russischen Beratungsunternehmens Energy Consulting, was offenbar prächtige Synergieeffekte verspricht.
Clement ist zudem Vorsitzender des EU-Russland-Forums. Der ehemalige Minister im Kabinett Schröder war im November 2008 aus der SPD ausgetreten, nachdem er bei der hessischen Landtagswahl 2008 in­direkt dazu aufgerufen hatte, die damalige hessische SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti wegen ihrer kritischen Haltung zur Kernenergie nicht zu wählen. Clement saß damals schon im Aufsichtsrat des Stromkonzerns RWE Power.

Auch der ehemalige SPD-Kanzler Schröder ist seit seinem Ausscheiden aus der aktiven Politik 2005 in der russischen Wirtschaft beratend tätig: als Aufsichtsratschef im Ostseepipeline-Konsortium des Energiekonzerns Gazprom, das vom russischen Staatskonzern gemeinsam mit E.ON und dem Chemiekonzern BASF gegründet wurde. Schröders Berufung erfolgte auf Wunsch von Wladimir Putin. Zu einem Zeitpunkt, als die Russen ihre Anstrengungen im internationalen Atomgeschäft verstärkten. Diverse Gesetzesänderungen in der russischen Duma, etwa zur Wiederaufbereitung von Atommüll, waren schon vorher in Angriff genommen worden. Russische Bürgerinitiativen berichteten damals, dass Abgeordneten der Duma für das richtige Votum insgesamt 20 Millionen Dollar in Aussicht gestellt worden seien.

Ein weiterer Österreicher, Altkanzler Alfred Gusenbauer, ist zwar nicht direkt, aber doch am Rande mit der Atomindustrie verbunden. Der Sozialdemokrat gehört neuerdings zum Beraterstab des kasachischen ­Präsidenten Nursultan Nasarbajew. Internationale Konzerne, vor allem aus der Atom­industrie, haben wegen der kasachischen Uranerzvorkommen seit Längerem ein Auge auf den autokratisch geführten Einparteienstaat geworfen. Kasachstan ist mittlerweile der weltweit größte Hersteller von Uran­erzen. Sämtliche Player im Atomgeschäft haben in den vergangenen Jahren entsprechende Vereinbarungen mit Nasarbajew getroffen und Gesellschaften gegründet, um das für die Atomenergie begehrte Uranerz zu bekommen. Beim Energieforum im vergangenen Herbst war neben Gusenbauer auch Wladimir Shkolnik, Chef der staatlichen Atombehörde, vertreten.

David Milliband, britischer Ex-Außenminister, kam schon 2006 leicht ins Schleudern, als sich herausstellte, dass die Sovereign Strategy Ltd, eine Atomlobby-Agentur, die von einem früheren Europaabgeordneten der Labour Party geführt wird, sein Wahlkampfbüro bezahlt und Veranstaltungen für ihn ausgerichtet hatte. Der Auftraggeber der Agentur, der US-Multi Fluor, hoffte damals auf Atommüllgeschäfte mit den britischen AKW-Betreibern.

Mirek Topolanek, der ehemalige tschechische Ministerpräsident, euphorischer Propagandist für den Ausbau des Kernkraftwerks Temelin, gilt derzeit als aussichtsreichster Kandidat für den Posten des Exekutivdirektors der Internationalen Energieagentur mit Sitz in Paris.

VI. Brüsseler Verbündete

Offiziell ist die EU gegenüber der Atomenergie „neutral“ eingestellt, wie Kommissionspräsident José Barroso gern betont. Doch die Atomindustrie stand schon bei der Geburt Europas Pate. Der Euratom-Vertrag gehört zu den Gründungsdokumenten aus dem Jahr 1958, und als der Verfassungskonvent im Jahr 2000 tagte, hofften Gegner der Kernenergie auf eine Änderung. Das Thema kam nicht einmal auf die Tagesordnung.
Der frühere französische Staatspräsident Valérie Giscard d’Estaing, der in Frankreich in den siebziger Jahren das erste große Atomprogramm gestartet und dessen Familie an Uranminen in Südafrika beteiligt ist, hatte den Konvent angeführt.

In den vergangenen Jahren wurden von der EU zum Ausbau von Kernkraftwerken in Rumänien (AKW Cernavod) und Bulgarien (AKW Belene) Kredite über insgesamt 500 Millionen Euro vergeben. Im „Grünbuch“ aus dem Jahr 2006 wurde der Ausbau der Kernenergie als wichtiges Ziel der EU verankert. Im Jahr 2007 veröffentlichte die EU-Kommission einen Bericht über die Wachstumschancen der Kernenergie. Geradezu euphorisch wurden darin „Geschäftsmöglichkeiten für europäische Unternehmen und potenzielle Vorteile für die Wirtschaft in der EU“ durch angeblich billigen Atomstrom gepriesen. Die Atomindustrie darf sich über diverse Zuwendungen aus dem EU-Budget in der Höhe von über einer Milliarde Euro pro Jahr freuen.

2009 wurde auf Initiative der Regierungen in Tschechien und der Slowakei, wo Atomkraftwerke einen großen Teil der dort benötigten Energie liefern, das European Nuclear Energy Forum (ENEF) gegründet. Darin sollten Energieexperten der EU-Kommission gemeinsam mit Regierungs- und Industrievertretern sowie Umweltverbänden (Greenpeace und Friends of the Earth) in mehreren Arbeitsgruppen die Zukunftschancen der Kernenergie in zahlreichen Arbeitsgruppen ausloten.

„In Wahrheit hat dort die Atomindustrie alle Fäden gezogen“, erinnert sich Jan Haverkamp, Atomexperte von Greenpeace. „Wir sollten nur das Feigenblatt abgeben.“ Als die Schlussfolgerungen des Forums vorlagen, war Haverkamp entsetzt und verkündete den Austritt: „Darin waren fast nur die Standpunkte der Atomindustrie vertreten, sogar bei den geplanten EU-Richtlinien für die Reaktorsicherheit und den Atommüll.“

Die Atomlobby in Brüssel ist traditionell eng vernetzt und gut vertreten. Als Dachverband der Atomindustrie fungiert das Forum Atomique Européen (Foratom). Dort sind nicht nur die Hersteller von Nuklearreaktoren wie Westinghouse Toshiba, General Electric Hitachi und Areva vertreten, sondern eben auch Atomstromproduzenten wie RWE, Frankreichs EdF und Atommüll-Speditionen - insgesamt 800 Unternehmen.

Foratom organisiert regelmäßig Treffen mit EU-Beamten der Energie-Generaldirektion oder Europaabgeordneten. Im vergangenen Herbst war ein Reaktormodell im Gebäude des EU-Parlaments in Brüssel ausgestellt.
Bereits lange vor der Katastrophe von Fukushima buhlten die großen Atomkonzerne um neue Aufträge in Europa. Vor allem Polen, das laut Premierminister Donald Tusk am Ausbau der Kernenergie festhalten will, gilt als viel versprechendes Neuland. Erst am 3. März dieses Jahres trat der GE-Hitachi-Vertreter für neue Projekte, Danny Roderick, im Parlament in Warschau auf und versprach „Energiesicherheit für Polen“ durch den ab 2016 geplanten AKW-Bau, für den sich GE Hitachi bewerben will.

Bei Foratom ist der Chef-Lobbyist ein Finne. Sami Tulonen bezeichnet sich als Umweltschützer und betont gerne, dass sein Haus energieeffizient gebaut worden sei und er Kopien sparsam doppelseitig ausdrucken ließe. „Er ist ein netter Kerl“, meint Greenpeace-Atomexperte Jan Haverkamp. „Aber er macht sehr umtriebig Propaganda für Atomenergie.“

Der deutsche Europaabgeordnete Herbert Reul, Vorsitzender des Industrieausschusses im Europaparlament, der für die deutschen Konservativen die Energiepolitik im Parlament koordiniert, ist
vermutlich oft Gast in diesem Milieu. In Videobotschaften auf seiner Homepage warnt Reul vor Solar- und Windenergie („riesenteure Veranstaltungen“). Nebeneinkünfte bezieht er als Aufsichtsrat bei der deutschen Rheinenergie, an der RWE beteiligt ist.

Für den EU-Abgeordneten Hans-Peter Martin ist die Atomlobby in Brüssel dafür verantwortlich, dass es bis heute keine verbindlichen Notfallpläne für Unfälle oder Evakuierungsvorschriften in AKWs gibt.

„Die minimalen EU-Sicherheitsstandards für AKWs basieren auf den Einschätzungen der bekannt atomfreundlichen Internationalen Atom-Agentur (IAEA) in Wien“, so Martin. Mit Verweis auf Artikel 44 des ­Euratom-Vertrags würden wichtige Informationen im Nuklearbereich geheim ge­halten.

Die IAEA muss sich jetzt auch vorwerfen lassen, sie habe gewusst, dass japanische AKWs starken Beben nicht gewachsen sind, und nichts dagegen unternommen.

VII. Donauwalzer

Für Freunde der Kernkraft, die das nicht offen sagen wollen, ist „Energiemix“ die Formel der neuen Zeit geworden. Mit dem Begriff bewerben auch heimische Anbieter ­ihren Ökostrom - und das, obwohl die Atom­industrie sich auch hierzulande längst eingenistet hat. Nach Erhebungen der staatlichen Energieregulierungsbehörde E-Control stammten 2010 rund sechs Prozent des österreichischen Stromaufkommens aus Atomkraftwerken. In Wahrheit sind es viel mehr.

Und wenn es nur das wäre. Am steirischen Landesenergieversorger Energie Steiermark hält Eléctricité de France (EdF) seit 1997 eine so genannte Sperrminorität von 25 Prozent und einer Aktie; an der Kärntner Kelag ist die deutsche RWE-Gruppe seit 2001 mittelbar zu 31,3 Prozent beteiligt; die gleichfalls deutsche Energie Baden-Württemberg kontrolliert knapp über 30 Prozent des niederösterreichischen Erzeugers EVN. Dazu kommen eine Reihe von Kooperationen und Lieferverträge österreichischer Versorger mit ausländischen AKW-Betreibern. Die Tiroler Tiwag und die Energie AG Oberösterreich arbeiten seit Jahren eng mit der deutschen E.ON zusammen, die Vorarlberger VKW wiederum mit EnBW.

Daneben waren insbesondere österreichische Banken immer wieder in hochgradig umstrittene Kraftwerksprojekte jenseits der Landesgrenzen involviert. 2006 etwa wollte die bulgarische Tochter der Bank Austria sich mit Wissen und Billigung der Wiener Führung an der Finanzierung des bulgarischen AKWs Belene beteiligen. Nach heftigen Protesten von Umweltschützern zog der damalige BA-Generaldirektor Erich Hampel schließlich die Notbremse und verordnete den Rückzug. Zwei Jahre später erlebte die Erste Bank ein ähnliches Debakel in der Slowakei. Sie wollte den Ausbau der Atomanlage Mochovce (Blöcke 3 und 4) ­finanzieren - wieder gab es Proteste, wieder musste das Management klein beigeben und den Rückzug antreten.

AKW-Projekte mit österreichischer Beteiligung, zumal grenznah - das machte schon bisher keinen schlanken Fuß. So ist beispielsweise der Baukonzern Strabag nach wie vor in das Mochovce-Abenteuer involviert. Die Erweiterung des Kraftwerks wurde wegen massiver Sicherheitsbedenken vor drei Jahren vorübergehend ausgesetzt, seit 2009 wird wieder gebaut. 2010 erhielt die slowakische Strabag-Tochter einen 88 Millionen Euro schweren Auftrag aus der Slowakei. Doch mit dem Bau der eigentlichen Reaktoren habe man nichts zu tun, versichert Strabag-Sprecherin Diana Klein auf Nachfrage: Das Unternehmen sei lediglich mit der Errichtung eines „Wirtschafts­gebäudes“ befasst.

Seit 11. März 2011 kann die leicht verquere Haltung Österreichs zur Atomenergie wohl umstandslos auf die gesamte Branche umgelegt werden. Man ist zwar irgendwie mittendrin - aber doch nicht mehr
dabei.