Ex-Landwirtschafts- und - Innenminister Hans-Peter Friedrich outet sich immer mehr als Elefant im Porzellanladen des Rechtsstaates. Seine möglichen Rechtsverletzungen sind für ihn gar kein Problem. In Wirklichkeit scheint der promovierte Jurist nicht einmal die einschlägigen Gesetze zu kennen. In einem ZDF-Interview gab Friedrich jetzt einen bezeichnenden Einblick in sein Rechtsbewusstsein.

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Der zurückgetretene Landwirtschaftsminister Hans-Peter Friedrich (CSU) bestätigt immer mehr, wie richtig sein Austritt aus der Bundesregierung war. Denn mit jedem weiteren Satz, den er spricht, bestätigt er sein fehlendes Rechtsbewusstsein. Wie bereits berichtet geht es darum, dass Friedrich im Herbst 2013 in seiner Eigenschaft als damaliger Innenminister von Kinderporno-Ermittlungen gegen den SPD-Abgeordneten Edathy erfahren hatte. So etwas nennt man ein Dienstgeheimnis. »Generell unterliegen alle Beamten der Verschwiegenheitspflicht«, heißt es auf juraforum.de. »Wer als Amtsträger seine Geheimhaltungspflichten verletzt und dadurch wichtige öffentliche Interessen gefährdet, wird gemäß § 353 b StGB mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.«

Das Dilemma eines Ministers

Da Minister Friedrich zu diesem Zeitpunkt offensichtlich Amtsträger war, galten diese Gesetze auch für ihn - mögliche negative Folgen für die damals geplante große Koalition hin oder her. Denn bekanntlich ging es dabei ja auch um die Verteilung von Ministerposten. Und da sich der SPD-Innenexperte Sebastian Edathy als Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses profiliert hatte, kam auch er für ein Ministeramt infrage. Zumindest stand Friedrich also vor einem Dilemma: entweder einen Minister in Kauf zu nehmen, der in Kürze als Kinderpornokonsument auffliegen könnte, oder eine Verletzung des Dienstgeheimnisses durch eine Warnung an die SPD, dem Mann kein Ministeramt zu geben. Ein Interview mit dem ZDF förderte jetzt Erstaunliches zutage - nämlich dass Friedrich dieses Dilemma überhaupt nicht sah. Dass also das geschützte Amtsgeheimnis für ihn nicht einmal eine zu berücksichtigende Größe war.

Ein Blick in Friedrichs Doktorarbeit?

So behauptet er erst gar nicht, dass er eine sorgfältige Abwägung zwischen zwei (Rechts ) Gütern vorgenommen habe, bevor er das Dienstgeheimnis verriet - nämlich zwischen dem Dienstgeheimnis und seinem geleisteten Eid, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. Es sei gar keine »Zwickmühle« für ihn gewesen, sagte er am 18. Februar 2014 ganz offen dem ZDF Morgenmagazin, »oder die Frage: machst du das oder machst du das nicht«. Das Amtsgeheimnis kam demnach in Friedrichs Erwägungen gar nicht vor. Vielmehr sah er es demzufolge als seine »Pflicht« an, den SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel über die Ermittlungen gegen Edathy zu informieren. Die Verletzung des Dienstgeheimnisses als Pflicht ist freilich eine merkwürdige Rechtsauffassung für einen Doktor der Rechte. Zumindest müsste er diese Auffassung fundiert begründen können. Noch mehr muss es verwundern, dass einem promovierten Juristen nicht einmal das bestehende Dilemma zwischen dem geltenden Recht und dem Bestreben, einen möglicherweise straffällig gewordenen Minister zu verhindern, vor Augen steht. Sondern dass derselbe Minister nach eigenen Aussagen nicht einmal darüber nachdenkt, ob er selber Gesetze brechen könnte. Ja, dass ihm diese Gefahr nicht einmal bewusst gewesen zu sein scheint. Vielleicht sollte man mal dringend einen Blick in die Doktorarbeit von Guttenberg-Freund Hans-Peter Friedrich werfen?

Von Winkeladvokaten und »Rechtspositivisten«

Aber es geht noch weiter. Wenn es nach Friedrich geht, hat nicht er sich an die Gesetze anzupassen, sondern diese an ihn. »Wenn es jetzt irgendwelche Leute gibt, die sagen, der hat Gesetze verletzt, dann frage ich mich: Wenn es ein Gesetz gibt, das einen zwingt, nicht Schaden vom deutschen Volk, von der Politik, vom Ansehen abzuhalten, dann muss man dieses Gesetz sofort aufheben.« Ihm selbst scheinen die oben zitierten Gesetze also gar nicht präsent zu sein (»wenn es ein Gesetz gibt«), sondern »irgendwelche Leute« behaupten, dass er Gesetze verletzthabe. Dafür, dass er diese wichtigen Gesetze gar nicht kennt, spricht auch, dass er gar nicht konkret auf die einschlägigen Vorschriften eingeht, sondern nur allgemein von »Gesetzen« spricht. Des Weiteren fällt seine laienhafte Vorstellung auf, man könne Gesetze »sofort aufheben«. Bekanntlich ist es aber so, dass Gesetze nur in einem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren durch den Gesetzgeber (also ein Parlament) geändert oder gestrichen werden können. Oder in einem ordentlichen Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, wenn das entsprechende Gesetz verfassungswidrig sein sollte (»negative Gesetzgebungskompetenz«) - was bei den Gesetzen zum Amts- und Dienstgeheimnis jedoch nicht der Fall sein dürfte. Ein Gesetz »sofort aufzuheben« ist und bleibt also eine merkwürdige Vorstellung für einen Doktor der Rechte und ehemaligen Bundesminister. Die fachliche Vorstellungs- und Begriffswelt scheint ihm tatsächlich fremd zu sein.

Damit sind Friedrichs Gesetzeskonflikte noch nicht erschöpfend beschrieben. Sondern er bekennt sich auch dazu, einen solchen Geheimnisverrat »selbstverständlich« wieder zu begehen, denn das sei ja seine Pflicht gewesen. Er könne gar nicht verstehen, wie man dies anders sehen sollte, es sei denn, man sei ein »Winkeladvokat oder Rechtspositivist«. Eine Formulierung, mit der sich Friedrich erneut disqualifiziert. Denn Gesetze wie die über das Amts- und Dienstgeheimnis sind keine verklausulierten Vorschriften für Winkeladvokaten, sondern jedem Amtsträger (und erst recht jedem Juristen) bekannte Bestimmungen. Stattdessen versteht Friedrich nicht: »Wieso bist du eigentlich derjenige, der zurücktreten muss, wo du nur deine Pflicht gemacht hast?« Aber so einfach war es eben nicht. Sondern wenn, dann ging es hier um eine äußerst sensible Abwägung verschiedener (Rechts-) Güter, die ein hohes Risiko in sich barg, zu irren und dafür die Verantwortung tragen zu müssen. Diese Tragweite, das geht aus seinen Äußerungen hervor, war dem promovierten Juristen Friedrich offenbar überhaupt nicht bewusst und ist es auch heute noch nicht.

Laienhaft »daher gequatscht«

Das entsprechende Gesetz scheint er, wie gesagt, überhaupt nicht zu kennen. Denn sonst würde er mit dem einzigen Ausweg argumentieren, den es bietet. Voraussetzung für die Strafbarkeit nach § 353 b über die Verletzung des Dienstgeheimnisses ist nämlich, dass durch die Tat »wichtige öffentliche Interessen« gefährdet werden. Da Friedrich aber der Meinung ist, wichtige öffentliche Interessen geschützt zu haben (nämlich einen potenziellen Kinderpornokonsumenten als Minister verhindert zu haben), könnte er sehr gut mit diesem Gesetz argumentieren. Was er erstaunlicherweise aber nicht tut, sondern stattdessen nur laienhaft »daher quatscht«.

Stammtischartiges Rechtsempfinden

Wobei die Verletzung des Dienstgeheimnisses ja nur ein Problem ist. Das vielleicht noch schwerwiegendere Problem bestand darin, dass Friedrich die Gefahr in Kauf nahm, dass die von ihm informierten SPD-Parteifreunde Edathys diesen vor den Ermittlungen warnen würden. Damit wäre auch noch der Tatbestand der Strafvereitelung oder Strafvereitelung im Amt (§ 258a StGB) erfüllt - einerseits durch Friedrich, andererseits vielleicht auch durch die SPD-Leute. Da diesePersonen später selbst Minister wurden, besteht die Möglichkeit, dass sie selbst Amtsträger waren, als sie Edathy (möglicherweise) informierten. Zwar wäre auf diese Weise natürlich die Strafverfolgung und damit ein »wichtiges öffentliches Interesse« nach § 353 b gefährdet, aber trotzdem könnte man zumindest argumentieren, dass das öffentliche Interesse an unbescholtenen Ministern auch dem Interesse an der Strafverfolgung übergeordnet sei. Doch erstaunlicherweise setzt sich Jurist und Gesetzgeber Friedrich mit diesen Fragen gar nicht auseinander. Für Friedrich ist das laut dem ZDF-Interview alles lediglich Stoff für »Winkeladvokaten und Rechtsverdreher«. Dabei ist es wohl seine Rechtsauffassung, die ernstlich verdreht sein könnte. Oder sein Rechts-Verständnis - denn eine Rechtsauffassung trägt er eigentlich gar nicht vor, sondern lediglich eine Art stammtischartiges Rechts-»Empfinden«. Das Problem sind daher gar nicht die »Winkeladvokaten«, sondern die Tatsache, dass Friedrich eindeutig zu wenig Winkeladvokat ist - nämlich indem er nicht einmal die Hauptstraßen des Gesetzes zu kennen scheint, die ihm sogar einen Ausweg aus seiner misslichen Situation bieten könnten. Zumindest Argumente für einen Rechts- bzw. »Verbotsirrtum«, auf den er sich berufen könnte.