Unser Denkorgan ist in zwei Hälften aufgeteilt. Hirnforscher Professor Gerald Hüther erklärt, wofür die beiden Seiten jeweils zuständig sind und wie man sie einzeln trainieren kann
Das menschliche Gehirn sieht ungefähr so aus, wie eine überdimensionale Walnuss. Genau wie der kleine Biosnack, ist auch unsere kluge Schaltzentrale in zwei Hälften aufgeteilt. An diesem Punkt hört es dann aber auch schon auf mit den Gemeinsamkeiten. Das menschliche Denkorgan ist ein Wunderwerk der Evolution und leistet ein vielfaches mehr als der schnellste Computer der Welt.
"Trifft der Schlaganfall die linke Gehirnhälfte, treten oft Sprachausfälle auf, denn das Sprachzentrum sitzt in den meisten Fällen links. Zusätzlich kommt es zu Lähmungen auf der rechten Körperseite", erklärt Professor Gerald Hüther, Hirnforscher und Leiter der Abteilung für Neurobiologische Forschung an der Psychiatrischen Klinik der Universität Göttingen.
Die Spezialisierung der beiden Hirnhälften
Dass das Sprachzentrum meist links sitzt, ist kein Zufall. Bereits im Mutterleib werden die unterschiedlichen Fähigkeiten der Hirnhälften festgelegt. Links ist vor allem für Logik und Analytik zuständig. Rechts für die komplexeren Zusammenhänge und die musischen Begabungen. Die Spezialisierung und die damit verbundene Trennung der beiden Hälften nennen Mediziner Lateralisierung.
"Die unterschiedliche Ausbildung der Hirnhälften hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass das Herz nicht genau mittig im Körper sitzt, und somit die beiden Seiten nicht identisch versorgt", so Hüther. Zum Denken brauchen wir aber beide Hirnhälften: Einfache ja-nein-Entscheidungen fällen wir überwiegend mit links. Für komplexere Zusammenhänge nehmen wir rechts dazu. "Den komplizierten Atomunfall in Japan könnten wir mit links alleine nicht begreifen", merkt Hüther an.
Mit Links- und Rechtshändern hat das alles übrigens nichts zu tun. Und auch die Bilder und Videos, mit deren Hilfe man angeblich feststellen kann, welche Hirnhälfte stärker ausgeprägt ist, haben laut Hüther keinerlei Aussagekraft. Was man auf den Abbildungen erkennt, ist abhängig davon, auf welche Weise man das Bild anschaut.
Ein weiteres Beispiel: Oft wird Menschen - je nachdem, welchen Daumen sie bei den gefalteten Händen oben liegen lassen - eine bestimmt Hirnstruktur nachgesagt. Hüther dazu: "Welche Daumen oben liegt, ist einfach nur Gewohnheit. So wie eine typische Art zu laufen oder zu sitzen."
Männliche und weibliche Gehirne
Männliche Gehirne sind oft stärker lateralisiert, also gespalten, als weibliche. Das liegt laut dem Hirnforscher daran, dass auf Männern ein größerer Erfolgsdruck lastet. Dadurch ist ihre linke, also die analytische, Hirnhälfte deutlicher gefordert.
Dieser Umstand kann dem starken Geschlecht bei einem Schlaganfall von Nachteil sein. Beispiel Sprachwiederfindung: Ist nach einem Hirnschlag das Sprachzentrum geschädigt, können die Betroffenen zwar trotzdem oft noch singen, Frauen sowie Männer. Denn die musische Funktion steuert ja die rechte Seite des Gehirns.
Mit Hilfe der Musik finden manche Patienten ihre Sprache wieder, sie bauen das Zentrum einfach in der rechten Hirnhälfte wieder auf. Allerdings: Dieser Trick klappt bei vielen Männern auf Grund der starken Spaltung nicht mehr. "Frauen haben oft eine bessere Verbindung zwischen den beiden Gehirnseiten", erklärt Hüther. Ihr Gehirn ist also noch flexibler.
Wenn Eltern ihrem Kind von klein auf Erfolg und Leistung abverlangen, kann das die Lateralisierung verstärken. Das muss an sich nicht schlecht sein. Aber eine zu einseitige Ausprägung ist auch nicht wünschenswert. "Das werden oft Menschen, die beruflich sehr erfolgreich sind, bei denen zu Hause aber alles schief läuft", warnt Hüther. Solche Fälle kennt wahrscheinlich jeder.
Was trainiert die rechte Seite?
Die linke Hirnhälfte wird in unserer Leistungsgesellschaft scheinbar genügend gefordert. Wie kann man nun die rechte trainieren? "Durch Gesang, Malerei, Tanz", so Hüther. Alles, was die feinen Sinne anspricht und nicht das logische Denken. Solche Tätigkeiten fördern das Denkorgan beidseitig. Denn wie Hirnforscher Hüther so schön sagt: "Die erfolgreichsten Menschen sind meistes Macher, aber immer auch ein bisschen Träumer!"
Der Experte:
Professor Gerald Hüther ist Leiter der Zentralstelle für Neurobiologische Präventionsforschung der Universität Göttingen und Mannheim/Heidelberg.
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