Naoto Kan
© epaDas Krisenmanagement von Naoto Kan wurde oft kritisiert. Nun fordert die Opposition, dass er abdankt.
Lange herrschte in Japan wegen der Katastrophensituation politischer Friede - nun ist damit Schluss.
Premier wegen Krisenmanagements unter Beschuss.


Tokio. Der politische Friede in Japan ist vorbei: Lange hatte sich die Opposition angesichts des Tsunamis und der Atomkatastrophe in Fukushima ruhig verhalten.

Doch nun forderte sie Premier Naoto Kan zum Rücktritt auf, da sie ihm Versagen bei der Bewältigung der Naturkatastrophe und des Atomunglücks vorwirft. "Es ist an der Zeit für Kan zu entscheiden, ob er bleibt oder geht", zitierte die Nachrichtenagentur Kyodo den Chef der Liberaldemokratischen Partei (LDP), Sadakazu Tanigaki. Eine große Koalition lehnte der Oppositionsführer ab.

Eine derartige Bündelung der Kräfte hatte Kan vorgeschlagen, um Japan möglichst schnell und effizient aus der derzeitigen Katastrophensituation, unter der auch die Wirtschaft enorm leidet, herauszuführen. Kans Demokratische Partei und ihre Bündnispartner besitzen im Parlament zwar eine Mehrheit im Unterhaus, aber nicht im Oberhaus, weshalb die Opposition Gesetzesvorhaben blockieren kann.

Die LDP, die Japan jahrzehntelang regierte, spielt mit ihrer Rücktrittsaufforderung an Kan laut Beobachtern ein riskantes Spiel. Zwar zeigen sich auch immer mehr Japaner mit dem Krisenmanagement des 64-Jährigen unzufrieden - erst kürzlich sorgte der Premier für Kopfschütteln, als er zunächst verkündete, die Evakuierungszone rund um die Atomruine von Fukushima bleibe für die nächsten zehn bis 20 Jahre unbewohnbar, und dann diese Aussage gleich wieder zurücknahm. Doch könnte sich die LDP bald dem Vorwurf ausgesetzt sehen, dass sie Partei- über nationale Interessen stellt.

Abseits des politischen Hickhacks gingen die Arbeiten rund um Fukushima weiter. Dabei suchen Einsatzkräfte seit Donnerstag erstmals nach Toten und Vermissten in der Umgebung des AKWs. Eine niedrigere Strahlung hätte dies nun zugelassen, teilten die Behörden mit.

1000 Leichen vermutet

Neben dem Suchtrupp für Vermisste sind auch Teams zur Messung radioaktiver Strahlung und zur Bergung der Leichen eingesetzt. Bevor die verstrahlten Leichen abtransportiert werden können, müssen sie abgewaschen werden. Seit Erdbeben und Tsunami wurden in Japan 13.000 Leichen identifiziert, 14.800 Menschen werden vermisst. Die Behörden vermuten 1000 Leichen im Umkreis von zehn Kilometern des AKWs.

Im AKW Fukushima selbst versuchen Arbeiter weiterhin, Wasser in die Reaktoren 1 bis 3 zu pumpen. Um eine Explosion von Wasserstoff in Reaktor 1 zu verhindern, füllten sie Stickstoff ein. Der Energiekonzern Tepco gab bekannt, dass einige der gelagerten Brennstäbe in Reaktor 4 beschädigt sind, berichtete die Agentur Kyodo. Dies habe die Untersuchung einer Wasserprobe aus dem Meiler ergeben. Tepco will nun eine unbemannte Drohne einsetzen, um in die Anlage zu blicken.

Der Konzern kommt weiter unter Druck: Landwirte aus der Umgebung der Atomruine forderten von Tepco rasche Entschädigungszahlungen. Sie kritisierten, Tepco habe sie nicht über die Folgen der Strahlung aufgeklärt.

Ein wenig Trost bekommen die Japaner nun vom vor allem bei der älteren Bevölkerung beliebten Kaiserhaus: Kaiser Akihito und seine Gemahlin Michiko besuchten Notunterkünfte.

Unterdessen wird der Export von Waren für Japan immer schwieriger: Lebensmitteln aus bestimmten Präfekturen sind in Südkorea von einem Importverbot betroffen. Das Land reagiere damit auf die Erhöhung der Gefahr nach dem Atomunfall in Fukushima auf die höchste Stufe 7, die gleiche wie bei Tschernobyl. Der russische Zoll wiederum hat im Hafen von Wladiwostok 49 Gebrauchtwagen aus Japan wegen überhöhter radioaktiver Strahlung beschlagnahmt. Einige Fahrzeuge hätten Spuren von Caesium-127 und Uran-238 aufgewiesen, teilte die Zollbehörde mit.

Ganz im Zeichen der Atomkatastrophe von Fukushima stand auch eine Überprüfungskonferenz des Übereinkommens zu nuklearer Sicherheit in der Wiener UNO-City, die am Donnerstag zu Ende ging. In dem Abschlussdokument verpflichteten sich die Staaten, für mehr Sicherheit in Atomkraftwerken zu sorgen. Ein Schritt dazu ist ein Ministertreffen im Juni in Wien, zu dem alle 72 Unterzeichnerstaaten eingeladen sind. Die Konvention über nukleare Sicherheit trat nach der Katastrophe von Tschernobyl 1986 in Kraft. Sämtliche Staaten mit AKW haben sie unterzeichnet.