Bisher wurden die Leichen von mindestens acht Menschen auf Long Island gefunden. Die Polizei tappt weiter im Dunkeln.

New York - Vic scheint man fast etwas Stolz anzumerken. „Der da ist von der ‚New York Times‘“, sagt er und deutet auf einen silbernen Wagen. „Der ist von den ‚Daily News‘ und gerade ist der Kollege vom ‚Star Ledger‘ weg. Und die Jungs von CNN, die schlafen anscheinend sogar da drin.“ Er deutet auf den weißen Übertragungswagen des Senders und freut sich, dass bei ihm mal etwas los ist. Vic ist Pressefotograf und wohnt auf Long Island. Seit Wochen versetzt ein Serienkiller die Menschen in Angst und Schrecken. Und obwohl schon mindestens acht Leichen gefunden wurden und die Polizei täglich neue Spuren findet, bleibt das Verbrechen rätselhaft.

Long Island fängt gleich hinter New York an. Eigentlich liegt der größte Teil der Megastadt schon auf der Insel, doch „LI“ steht für eine große ruhige Insel, in dessen Westen die Reichen New Yorks ein Häuschen haben - auch wenn diese Häuschen meistens Paläste sind. Künstler haben immer wieder die Region gesucht, etwa John Steinbeck und Roy Lichtenstein. F. Scott Fitzgerald ließ seinen „großen Gatsby“ hier spielen und Billy Joel lebt noch heute auf der Insel, auf der er aufwuchs. Jacqueline Kennedy kommt hierher, doch die meisten Menschen sind ganz normale Durchschnittsamerikaner, die einfach die langen rauen Strände lieben.

Und genau die sorgen jetzt für Schlagzeilen. Die Leichen von mindestens acht Menschen wurden bisher gefunden, wahrscheinlich sind es sogar zehn. Meistens waren es Frauen, aber nicht nur und sogar die Leiche eines Kindes soll dabei sein. Letzter Fund: Zwei Zähne, die zu einem Schädel passen könnten, der eine Woche zuvor entdeckt worden war. Alter? Geschlecht? Todesart? Bisher Fehlanzeige.

Vier Frauenleichen lagen dicht beieinander, alles waren Prostituierte, die ihre Dienste im Internetflohmarkt „Craigslist“ angeboten hatten. Für die Polizei besteht kein Zweifel, dass sie ein und dem selben Mörder - oder Mördern? - zum Opfer fielen. Bei den anderen Leichen gibt es da erhebliche Zweifel, weil ihr Tod offenbar schon länger her ist. Bleibt die Frage: Wie kommen so viele Leichen auf die Insel? Und warum hat niemand früher etwas bemerkt?

Kleine orangene Pfeile am Straßenrand weisen den Weg zum letzten Fundort. Zu sehen ist nur noch niedergedrücktes Gras. Gleich nach dem Fund waren die Spezialisten der Polizei da, auf Spurensuche wie in der Gerichtsmedizinerserie „CSI: New York“, die auch im deutschen Fernsehen erfolgreich ist. Weit mehr als 100 Beamte suchen nach dem oder den Killern, mit dem Auto, zu Pferde, per Hubschrauber und High-Tech-Flugzeug und als Taucher. Oder schlicht und einfach zu Fuß, mit der elektrischen Heckenschere, um Quadratmeter um Quadratmeter kahlzuschlagen auf der Suche nach Spuren, einer Mordwaffe - oder weiteren Leichen.

„Wir sind hier so etwas nicht gewohnt“, sagt fast verlegen ein örtlicher Polizist, der nicht genannt werden möchte („ich bin doch nur ein kleines Licht“). „Normalerweise haben wir es hier vielleicht mit ein paar Teenagern zu tun, die angetrunken rumkurven. Aber selbst Diebstähle sind selten.“ Jetzt ist das FBI da, die Staatspolizei - und jede Menge Reporter.

Inzwischen haben Experten im Auftrag der „New York Times“ ein Profil des Täters erstellt. Weiß soll er sein und Mitte 20 bis Mitte 40, in einer Beziehung lebend, gebildet und finanziell abgesichert. Und er komme vermutlich aus der Gegend. „Das ist einer, der durch die Tür kommt und als ganz normaler Durchschnittskerl erscheint“, sagt Soziologe Scott Bonn.

Für Vic bedeuten die rätselhaften Morde erstmal noch Arbeit und jede Menge Gäste auf seiner Insel. „Inzwischen erkenne ich die zivilen Cops schon aus einer Meile Entfernung“, sagt er grinsend. Dann wird er plötzlich ernst, schaut auf das grauweiße Holzhaus, in dem eines der Opfer gelebt hatte, und sagt leise. „Was diese Menschen für Angst gehabt haben müssen. Ich mag mir das gar nicht vorstellen.“