Mit Gesundheit und Schönheit lassen sich gute Geschäfte machen. Lebensmittel mit Zusatznutzen füllen die Regale. Was "Functional Food" wirklich kann, verraten zwei Experten.

Innsbruck, Hall i. T. - In Großbritannien gibt es einen "Lady-Brotlaib" mit pflanzlichen Hormonen für die Frau ab 40, in Frankreich eine Anti-Aging-Marmelade, in den USA Bonbons gegen Pickel und in Japan sogar einen Kaugummi gegen Schweißgeruch. Die Lebensmittelindustrie hat einen neuen Markt entdeckt: Functional Food. Die Regale der Supermärkte sind voll von funktionellen Nahrungsmitteln, die uns vitaler, schöner und gesünder machen sollen.

Ernährungsexperten sehen diesen Trend kritisch. "Ernährungsfehler lassen sich nicht durch funktionelle Nahrung ausgleichen. Bei einer abwechslungsreichen, vollwertigen Ernährung könnte man sich teures Functional Food sparen", erklärt Monika Fernández-Hammer, Diätologin im Sanatorium Kettenbrücke in Innsbruck. Trotzdem zeigen Studien, dass im Jahr 2050 die Hälfte der Nahrungsmittel in Richtung "Design-Food" gehen wird.

Die Phantasie der Nahrungsmittelkonzerne ist diesbezüglich unerschöpflich. Die Versprechungen sind hoch. Bestes Beispiel Probiotika in Milchprodukten. Lebende Mikroorganismen - z.B. Bakterien wie L-Casei - werden den Lebensmitteln zugegeben und sollen eine positive Wirkung auf den Darm ausüben und die Abwehrkräfte stärken.

Das Problem: Es gibt kaum handfeste wissenschaftliche Beweise für die Wirksamkeit solcher "Super-Nahrung". "Die Wissenschaft weiß wenig über die Zusammensetzung der Darmflora. Man muss sich vorstellen: Es befinden sich Billionen von Keimen in unserem Darm. 80 Prozent davon können nicht kultiviert werden. Wie kann ich dann feststellen, ob Joghurt X tatsächlich gut für mich ist", fragt sich Herbert Tilg, Leiter der Inneren Medizin im Landeskrankenhaus Hall. Im Prinzip sei dies nur dann möglich, wenn sich bei einem kranken Menschen die Symptome nach Zufuhr des funktionellen Lebensmittels bessern und keine Nebenwirkungen auftreten. Solche Beweise gibt es aber nicht.

Dass die Nahrung Einfluss auf die Keimwelt hat und die Keimflora lebensnotwendig für unsere Gesundheit ist, ist richtig, aber dass ein probiotisches "High-Tech-Joghurt" besser als das billigere "Standard-Joghurt" ist, das glauben die Experten daher nicht. Seit 2007 sorgt eine Health-Claims-Verordnung der EU zumindest dafür, dass nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben strenger kontrolliert werden. Ein erster Schritt. 2009 hat sich z.B. daraufhin der Joghurt-Hersteller Danone freiwillig entschlossen, Actimel und Activia nicht mehr mit gesundheitsfördernden Eigenschaften zu bewerben.

Trotzdem wissen manche Produzenten genau, wie sie diese neue Hürde galant umschiffen können. So sollen beispielsweise mit den Vitaminen ACE angereicherte antioxidativ wirkende Säfte "vor freien Radikalen schützen", im weitesten Sinne die Abwehr stärken und Krebs vorbeugend sein. Diätologin Fernández-Hammer sieht aber keinen Vorteil gegenüber herkömmlichen Säften, die von Natur aus Obst, sprich Vitamine, enthalten. Ganz im Gegenteil: Ein Zuviel an Vitaminen könnte sich gesundheitsschädigend auf den Organismus auswirken und deshalb ist vor einer übermäßigen, unkontrollierten Vitaminaufnahme zu warnen. Zu beachten ist die hohe Kalorienaufnahme durch den meist hohen Zuckergehalt der so genannten gesunden Säfte.

Anderen Lebensmitteln schreibt man wiederum eine positive Wirkung auf Herz und Kreislauf zu. Angereichert mit Omega-3-Fettsäuren sollen Margarinen und Eier den Cholesterinspiegel senken. "In Deutschland und Skandinavien gibt es bereits Brot mit Omega-3-Fettsäuren. Doch warum soll man in einer Zeit, in der viele versuchen, sich fettärmer zu ernähren, Brot noch mit Öl anreichern?", fragt sich Fernández-Hammer. Es gäbe ja auch natürliche Omega-3-Lieferanten wie zum Beispiel Leinöl oder Fisch.

Einen großen Markt vermutet die Diätologin außerdem im Bereich der Knochengesundheit. Menschen werden immer älter und Lebensmittelhersteller sehen gerade hier ihr "Big Business". Nahrungsmittel können daher zunehmend mit Phytoöstrogenen und Calzium angereichert werden, um vor Osteoporose zu schützen. Phytoöstrogene sind hormonähnliche Pflanzenstoffe und nebst der Sojabohne auch in heimischen Pflanzen wie etwa Linsen oder Leinsamen enthalten.

Für Konsumenten ist es nicht mehr leicht, den Überblick zu bewahren. Der Mediziner Herbert Tilg appelliert daher an den Hausverstand. So hätten verarbeitete Cerialien nichts mit gesunden Müsli-Flocken zu tun, genauso wenig wie Vitamine in Zuckerln stecken oder man durch Wellness-Drinks schöner und durch überzuckerte Powerriegel leistungsfähiger wird. Die meisten Verbraucher wüssten sowieso, was ihnen gut tut und bräuchten keine überteuerten Produkte.