Die Küste Südspaniens erlebt eine schleichende Ölpest: Von einer gigantischen Tankstelle für Schiffe vor Gibraltar schwappt unentwegt Öl ins Meer. Jetzt wurden schlimme gesundheitliche Folgen für Anwohner bekannt - trotzdem wollen Behörden noch mehr Schiffe zum Auftanken anlocken.

Ölpest Mittelmeer
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Madrid - Antonio Muñoz kam mit 13 Jahren aus dem andalusischen Inland an die Küste von Gibraltar in Südspanien - und verliebte sich in die frische Luft und das Rauschen der Brandung. Seither lebt der 52-Jährige in dem Küstenort San Roque, keine zehn Kilometer von Gibraltar entfernt. Doch Meeresbrise und Wellen machen ihm keine Freude mehr. Der Wind weht den Geruch von faulen Eiern heran und die Brandung schwappt viel zu oft schwarz und zähflüssig gegen Klippen und Strand.

Muñoz und die anderen Bewohner kennen die Ursache der Verschmutzung: "Sie kommt von den Tankvorgängen auf dem Meer", erklärt er. Sein Haus liegt hoch auf einem Hügel, von dem aus er einen wunderbaren Blick auf die Bucht hat. Zahllose Schiffe ziehen vorbei - jedes Jahr passieren mehr als 100.000 die Meerenge von Gibraltar. Viele stoppen, um zu tanken.

Vor Gibraltar wartet eine gigantische Tankstelle auf Kundschaft: Spezialschiffe bunkern ständig 300.000 Tonnen Öl. "Gibraltar lockt nicht nur als steuerfreie Zone mit günstigen Preisen sondern auch mit einer fahrlässigen Handhabe der Kontrollen," glaubt Muñoz. "Findet der Tankprozess auf See statt, spart der Kunde zudem die Liegegebühr."

Die Auswirkungen auf die Umwelt sind erheblich: "Was hier vor sich geht ist eine stille Ölpest", sagt Patricia Navarro, sie ist die für Fragen des Umweltschutzes zuständige Staatsanwältin in der Region. 60.000 Tankvorgänge pro Jahr werden geschätzt. Dabei rinnt massenweise Öl ins Meer: "Es ist wie ein steter Tropfen. Mal schwappt hier was an Land, mal dort", klagt Patricia Navarro.

Sie sterben früher

Immer wieder reißen Tankschläuche oder es entstehen kleine Lecks in den Tanks. Auch Unachtsamkeiten der Arbeiter lassen Öl überschwappen. Manche Tanks werden gar mit Meerwasser ausgespült, um sie zu säubern. "Das Reinigen der Tanks auf diese Art ist gesetzlich verboten", sagt Staatsanwältin Navarro. "Aber wir können nichts unternehmen, denn die Behörden von Gibraltar sind nicht zu einer Zusammenarbeit bereit."

Die Verantwortlichen kommen davon. Es sei kaum nachweisbar, wer Verschmutzungen zu verantworten habe. "Und wo es keinen Schuldigen gibt, gibt es auch niemand, gegen den wir Anklage erheben könnten", sagt Navarro.

Jetzt trafen sich Bewohner der betroffenen Region in Algeciras an der Meerenge von Gibraltar. Der Kursaal des spanischen Städtchens war gerammelt voll, als beängstigende Zahlen präsentiert wurden: Die Anwohner erfuhren, dass sie im Durchschnitt früher sterben als die anderen Bewohner der iberischen Halbinsel. Auch ihr Krebsrisiko ist höher.

Laut einer Studie, die der Mediziner Joan Benach von der Universität Pompeu Fabra in Barcelona vor vier Jahren veröffentlicht hat, liegt die Lebenserwartung von Frauen in der Bucht von Gibraltar bei 76 Jahren, für Männer bei 70 Jahren. In anderen Gegenden Spaniens sei die Lebenserwartung um bis zu 13 Jahre höher als in Gibraltar, berichtet Benach.

Bösartige Tumore

Eine um 40 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit, an Krebs zu erkranken, wie die Tageszeitung El País im Vorfeld der Tagung schrieb, konnte die Ärztin Concepción Cruz zwar nicht bestätigen. Aber auch Cruz dokumentiert in einer neuen Studie, die sie am Wochenende in Algeciras vorstellte, dass die Bewohner von Algeciras im Durchschnitt kürzer leben als in anderen Regionen Spaniens: Von 100.000 Einwohnern sterben in der Bucht von Algeciras ihrer Studie zufolge 6432 Menschen an bösartigen Tumoren, während es im restlichen Spanien 4934 pro 100.000 sind.

"Die Menschen sterben zu früh und an Krankheiten, die auf die hohe Belastung der Atmosphäre zurückzuführen sind", sagt Cruz. Früher hat man gern behauptet, die höhere Mortalität in der Gegend um Gibraltar läge daran, dass die Menschen hier mehr rauchen. Das widerlegt meine Studie klar", sagt die Medizinerin. Die Verschmutzung der Umwelt, vor allem aber der Atemluft, sei "zweifelsfrei Schuld daran, dass so viele Einwohner der Gegend an bösartigen Tumoren sterben".

Gesundheitsschädigend sind nicht nur die beim Tanken frei werdenden Gase vor Gibraltar: Zudem verpesten eine Ölraffinerie, ein Stahlwerk, eine Papierfabrik und diverse andere Industrieanlagen die Luft in der Region.

Peter Caruana, der Ministerpräsident von Gibraltar, das unter der Verwaltung von Großbritannien steht, verteidigt sich gegen die Angriffe der Anwohner: "Wir sind keine Umweltterroristen", sagt er. "Tanken auf See birgt offensichtlich ein höheres Risiko, aber Gibraltar ergreift alle angebrachten Maßnahmen, um Unfälle zu vermeiden."

Widerstand der Regierungen

Doch längst gibt es auch Kritik in Spanien. Die Opposition im spanischen Parlament wollte im Juni vergangenen Jahres die spanische Regierung zwingen, wegen der Zunahme des Tankverkehrs auf dem Meer bei der britischen Regierung in London zu protestieren, die für Gibraltar zuständig ist. Die Initiative scheiterte im Kongress am Widerstand der spanischen Regierung.

Möglicherweise verfolgt die spanische Regierung auch wirtschaftliche Interessen: Die zweitgrößte Firma, die vor Gibraltar Schiffe betankt, ist Cepsa Ltd., die zu dem in Madrid ansässigen Cespa-Konzern gehört.

Auch Gibraltars Ministerpräsident Caruana weist die Kritik der spanischen Opposition mit einem schwerwiegenden Vorwurf zurück: Die Kritik aus Spanien sei der Versuch, die territoriale Hoheitsgewalt Gibraltars in Frage zu stellen. Caruana will trotz aller Proteste die maritime Tankstelle sogar am liebsten ausbauen: Die Ölkapazität der Tankschiffe soll auf 400.000 Tonnen aufgestockt werden. Dabei hat die Zahl der schwimmenden Tankstellen um Gibraltar in den vergangenen Jahren bereits rasant zugenommen - und damit die Menge des ins Meer rinnenden Treibstoffes.

Immer öfter kommt es auch zu größeren Verschmutzungen: 16 große Schiffsunfälle haben sich vor Algeciras in den vergangenen Jahren ereignet, der letzte im Dezember 2007: Damals musste eine Kompanie von Arbeitern mit weißen Overalls, Atemmasken und Handschuhen anrücken, um die Strände von Getares und El Rinconcillo vom Öl zu befreien. Statt einer weißen Weihnacht erlebten die Bewohner der Bucht zwischen Algeciras und Gibraltar eine schwarze.

Gefährliches Atmen

Schuld an den ölverschmutzten Stränden war der Unfall der "New Flame", eines unter panamesischer Flagge fahrenden Lastschiffes, das bereits fünf Monate zuvor bei Gibraltar auf Grund gelaufen war. Sein Treibstoff sickerte ins Meer. Im Februar 2008, nach Monaten des Untätigseins der zuständigen Behörden, sank das Schiff schließlich, wodurch erneut Öllachen an die Strände rund um die Bucht von Gibraltar trieben.

Bilder von ölverschmierten Wasservögeln, schwarzen Sandstränden und verzweifelt gegen die Ölpest ankämpfenden Menschen gingen durch die Medien. Es waren eindrucksvolle Bilder, aber das große Presseecho verhallte bald - und damit endete auch die Beachtung der Behörden für die Region. Die großen, aufsehenerregenden Unfälle machen nur zwölf Prozent der Ölverschmutzung der Meere aus. 88 Prozent der Belastung durch Kohlenwasserstoffe der Weltmeere haben andere Ursachen. Das Reinigen von Tanks und das Tanken auf See gehören dazu.

In Gibraltar hat man auf die Sorgen der Bürger inzwischen reagiert, allerdings eher hilflos: Für Klagen über den Gestank wurde vorsorglich eine Telefon-Hotline eingerichtet. Auf spanischer Seite will man nun eine Arbeitsgruppe einrichten, versichert der andalusische Ombudsmann, José Chamizo, der bei der Tagung in Algeciras anwesend war. "Dem konstanten Leugnen einer Gefahr seitens der Behörden stehen zu viele unabhängige Studien von Wissenschaftlern entgegen, die zu einem anderen Schluss kommen", sagt er.

"Darauf warten wir hier schon seit Jahrzehnten," sagt resignierend Raquel Ñeco, die zusammen mit Antonio Muñoz in der Umweltschutzorganisation Verdemar tätig ist. Ihr Vater starb an Blasenkrebs, den die Mediziner auf das Einatmen von Benzindämpfen zurückführten. Ihre Hoffnung, dass die stille Ölpest gemildert würde, schwindet.