Die OSZE-Beauftragte für die Konfliktregelung in der Ukraine, Heidi Tagliavini, wird demnächst ihr Amt niederlegen, schreibt die Zeitung "Kommersant" am Montag.

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Tagliavinis Rücktritt kündigte der Sprecher des Schweizer Außenministeriums, Jean-Marc Crevoisier, an. Einzelheiten gab er nicht bekannt. Laut Quellen im eidgenössischen Außenamt geht es um „persönliche Gründe“. Im OSZE-Sekretariat sagte man, Tagliavini werde möglicherweise am 16. und 23. Juni an zwei Treffen der Kontaktgruppe für die Ukraine-Krise teilnehmen, aber die Suche nach ihrem Nachfolger laufe bereits auf Hochtouren.

Tagliavinis Demarche wurde genau ein Jahr nach ihrer Ernennung zur OSZE-Beauftragten für die Ukraine angekündigt. Beide Konfliktseiten hatten damals große Hoffnungen, weil sie für ihre guten Vermittlungsfähigkeiten und für ihre Neutralität bekannt ist.

Diesmal bedauerten sowohl die ostukrainischen Separatisten als auch die Behörden in Kiew Tagliavinis baldigen Rücktritt. „Ich kann mich über diese Nachricht nicht freuen. Wir haben gut zusammengearbeitet. Sie ist eine Person, die auf Argumente hört“, sagte der Vertreter der Volksrepublik Donezk in der Kontaktgruppe, Denis Puschilin.

Zugleich warnte er, dass der Friedensprozess scheitern könnte, falls die OSZE unter Tagliavinis Nachfolger zu dieser oder jener Seite tendieren würde. Der ukrainische Vertreter in der Kontaktgruppe, der ehemalige Präsident Leonid Kutschma, bedankte sich auf Facebook bei Tagliavini „für die konstruktive Zusammenarbeit“.

Die von Kommersant befragten Experten führen Tagliavinis Rücktrittsmotive auf die negative Entwicklung der Situation in der Ostukraine zurück. Die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen vom 12. Februar ist offenbar in eine Sackgasse geraten, und unter solchen Umständen riskierte die OSZE-Beauftragte, ihren guten Ruf als Vermittlerin zu verlieren.


„In der Donbass-Region ist der Westen zum ersten Mal seit vielen Jahren in eine Situation geraten, in der er den Konflikt trotz aller Aktivitäten der internationalen Vermittler nicht auf Eis legen kann“, sagte der Russland-Experte des Finnischen Instituts für Internationale Beziehungen, Arkadi Mosches.

„Früher war das mehr oder weniger erfolgreich in Transnistrien, Abchasien, Bergkarabach und Bosnien gemacht worden.“ In der Ostukraine neigen beide Konfliktseiten aber zu einer militärischen statt politischen Lösung. Für die OSZE-Vermittlerin sei das sehr enttäuschend und könnte sie zur Idee des Rücktritts gebracht haben, so der Experte.

Das sei ein indirekter Hinweis darauf, dass im Donezbecken eine neue heiße Konfliktphase beginnen könnte. Dann wären aber neue Verhandlungen („Minsk-3“) nötig, vermutete Mosches weiter. Das wäre jedoch eine andere Geschichte, „und Tagliavini, die an der Umsetzung der ‚Minsk-2‘-Vereinbarungen interessiert ist, will sich daran nicht beteiligen“.

Vom Misserfolg bei der Umsetzung der aktuellen Minsker Vereinbarungen zeugen auch die jüngsten Aussagen der westlichen Spitzenpolitiker beim G7-Gipfel im bayerischen Elmau. Für eine Fortsetzung der Russland-Sanktionen haben sich US-Präsident Barack Obama, die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und der britische Premier David Cameron ausgesprochen.