Forscher empfiehlt „digitale Diät“ für Smartphonenutzer
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© Ana Blazic Pavlovic/fotolia.comAuch abends im Bett können viele nicht die Finger von dem Handy lassen.
Vor allem für viele Teenager ist ein Leben ohne Smartphone heutzutage kaum mehr vorstellbar. Doch die Handys machen abhängig, unproduktiv und unglücklich. Das behauptet ein Forscher von der Universität Bonn. Er empfiehlt eine „digitale Diät“.

„Smombies“ sind immer mit dem Handy beschäftigt

„Smombies“, eine neue Wortschöpfung, die für Smartphone und Zombie steht, hat die Chance im November zum „Jugendwort des Jahres“ gewählt zu werden. Dies bringt zum Ausdruck, dass sich offenbar viele Teenager über Menschen lustig machen, die ständig mit ihrem Handy beschäftigt sind. Man kann dem Problem aber auch ernsthafter oder gar wissenschaftlich begegnen. So hat der Forscher Alexander Markowetz, Juniorprofessor für Informatik an der Universität Bonn mit Hilfe einer App die Handy-Nutzung von 60.000 Personen ausgewertet und kommt zu dem Schluss: „Smartphones machen abhängig, unproduktiv und unglücklich.“

Smartphones haben drastische Auswirkungen auf unser Leben

Vor allem Kinder und Jugendliche hängen zu oft am Computer, kritisieren viele Erwachsene. Laut verschiedenen Studie halten es viele Kinder nur 30 Minuten ohne Handy aus, bis sich regelrechte Entzugserscheinungen einstellen. Die elektronischen Geräte haben zwar durch die verschiedenen Anwendungen teilweise auch zu einer enormen Verbesserung der Lebensqualität beigetragen, doch die Nutzung geht auch mit negativen Entwicklungen einher. In seinem demnächst erscheinenden Buch Digitaler Burnout erklärt Alexander Markowetz die Zusammenhänge und beschreibt die dramatischen Folgen für unser Privatleben und die Arbeitswelt.

Handy wird 53 Mal am Tag aktiviert

Rund 300.000 Personen haben sich mittlerweile die App „Menthal“ heruntergeladen, die im vorigen Jahr von Informatikern und Psychologen der Universität Bonn zu Forschungszwecken entwickelt wurde. Diese App zeichnet die Smartphone-Nutzung auf und übermittelt die Daten anonymisiert an die Server der Forscher. Die 60.000 bisher ausgewerteten Datensätze zeigten, dass die Besitzer ihr Handy im Durchschnitt 53 Mal am Tag aktivierten. „Smartphone-Apps funktionieren wie Glücksspielautomaten. Wir betätigen sie immer wieder, um uns einen kleinen Kick zu holen“, so Markowetz in einer Pressemitteilung. In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) sagte er: „Wenn wir von acht Stunden Schlaf am Tag ausgehen, unterbrechen wir somit unsere Tätigkeit alle 18 Minuten, um zum Handy zu greifen.“ 35 Mal handele es sich um kurze Aktivitäten wie beispielsweise ein Blick auf die Uhr.

„Entstehung des Homo Digitalis“

Dieses Verhalten ziehe sich durch alle Altersgruppen und soziale Schichten: „Wir erleben die Entstehung des Homo Digitalis, der einen Großteil seiner Tätigkeiten mittels digitaler Medien abwickelt“, erläuterte der Autor. „Ein Großteil der Zeit verbringen die Menschen mit Social-Media-Anwendungen wie Facebook, WhatsApp sowie Spielen.“ Dem Juniorprofessor zufolge sind dabei besonders die ständigen Unterbrechungen dramatisch, die es nie erlaubten, sich einer Tätigkeit vollauf zu widmen.


Die Folgen seien laut Pressemitteilung „Unproduktivität und ein mangelndes Glücksempfinden“. Vor allem Jugendliche sind extrem auf ihr Handy fixiert. Die 17- bis 25-jährigen Teilnehmer der Untersuchung nutzten ihr Smartphone noch häufiger - insgesamt drei Stunden. Und das, obwohl ein Großteil ihrer Zeit bereits durch Schule oder Ausbildung in Beschlag genommen ist.

Arbeitsalltag wird ständig unterbrochen

Die Wirtschaft habe noch nicht erkannt, was auf sie zukomme. So würden manche Konzerne ihre Mitarbeiter mit Tablets und Smartphones ausstatten und ihnen völlige Flexibilität ermöglichen - und so Abhängigkeit und Burnout-Gefahr verstärken. Andere würden zwar abends die berufliche Smartphone-Nutzung unterbinden - etwa indem sie Email-Server abstellen, doch dies führe dem Forscher zufolge am eigentlichen Problem vorbei: „Entscheidend sind die ständigen Unterbrechungen im Arbeitsalltag und weniger die abendliche E-Mail.“

Experte empfiehlt eine „digitale Diät“

Nach eigenen Angaben gehe es Markowetz nicht darum, Smartphones abzuschaffen oder zu „verteufeln“. „In einem ersten Schritt haben wir die Geräte geschaffen, in einem zweiten müssen wir uns nun gesunde Umgangsformen angewöhnen“. Dem Wissenschaftler zufolge seien Aufklärungskampagnen, Forschungsprojekte oder politische Initiativen zum Umgang mit dem Internet bisher Mangelware. In dem Interview mit der FAS empfiehlt der Experte eine „digitale Diät“: Also das Handy auch Mal weglegen, sich ohne Unterbrechung auf etwas konzentrieren - „und merken, dass die Welt dadurch nicht zusammenbricht, wir noch leben und unsere Freunde uns noch mögen“.

Handy-freie Zonen schaffen

Er spreche digitalen Entwicklungen gar nicht ihren positiven Nutzen ab, doch: „Wir müssen uns bewusst werden, wie wir damit umgehen, damit wir möglichst viel Glück dabei verspüren und gesund bleiben.“ Zudem sei es „höchste Zeit“ für eine Etikette im digitalen Alltag - dazu könne gehören, unwichtige Dinge erst gar nicht zu kommunizieren. Man könne die Automatismen der permanenten Smartphone-Nutzung durch konkrete Techniken loswerden. Beispielsweise, indem man das Schlafzimmer zur Handy-freien Zone erkläre oder die Regel aufstelle, das Smartphone nur auf einem unbequemen Küchenschemel zu nutzen. Allerdings wird dadurch natürlich die Gefahr erhöht, einen sogenannten Handynacken oder andere Haltungsschäden zu bekommen. Da die Nutzung von Smartphones und Co erst am Anfang der Entwicklung stehe, brauchen wir laut Markowetz „dringend eine gesellschaftliche Debatte und einen interdisziplinären Austausch in der Wissenschaft, um zu verstehen, was die Digitalisierung mit unseren Psychen macht“.

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