Vielleicht werden die Historiker eines Tages zurückschauen und erklären, die Geburtsstunde der »neuen Weltordnung« sei der 28. September 2015 gewesen, als sich der russische Präsident Wladimir Putin und der amerikanische Präsident Barack Obama bei den Vereinten Nationen in New York zu einem 90-minütigen Gespräch trafen.

Putin n Obama
© Sergey Guneev/POOL/RIA Novosti Der Russische Präsident Vladimir Putin (L) und US Präsident Barack Obama.
Egal, wie die Gespräche verkauft wurden - das Weiße Haus sprach von einer »produktiven« Unterredung, aus dem Kreml-Umfeld war von einer »angespannten« Stimmung zu hören ‒, die Folgen waren doch praktisch unmittelbar zu erkennen.

Putin drängte Obama, die USA sollten sich Russland anschließen und in einer großen Koalition ISIS/ISIL/Daesch zerschlagen. Die Regierung Obama reagierte wieder einmal ausweichend. Was als Nächstes geschah, habe ich hier ausführlich dargelegt: Im »Neuen Großen Spiel« in Eurasien kam es direkt vom Kaspischen Meer ausgehend zu einer Entwicklung, die alles auf den Kopf stellte. Die Buchstabensuppe der amerikanischen Geheimdienste wurde völlig kalt erwischt, vom Pentagon ganz zu schweigen.

Das war Putins erste Botschaft an Washington und vor allem an das Duo Pentagon & NATO: »Ihr wollt also taktische Atomwaffen stationieren und die Raketenabwehr auf Osteuropa oder sogar den asiatisch-pazifischen Raum ausdehnen? Das ist nur Blendwerk. Unsere Marschflugkörper sind imstande, wirklich großen Schaden anzurichten.«

Und wie hier argumentiert wird, könnten schon bald weitere überschallschnelle hochpräzise Langstreckenraketen auf der Bildfläche erscheinen.

Alte Angewohnheiten sterben nicht langsam, nein, sie liegen einfach ewig im Koma. Wie sah die Reaktion des Pentagons aus, nachdem vom Kaspischen Meer aus Fakten geschaffen wurden? Man warf »bei einer ausgewählten Reihe überprüfter Anführer und ihrer Abteilungen« aus der Luft leichte Waffen ab.

Handelte es sich gar um diese berühmt-berüchtigten und in Wahrheit nicht existenten »gemäßigten Rebellen«? Es wird wahrscheinlich keine zehn Minuten dauern, bis sich die Salafisten-Dschihadisten-Banden die Waffen unter den Nagel reißen.

Als Nächstes war die britische Regierung gezwungen, einen »Bericht« der Sunday Times zu dementieren. Die von Rupert Murdoch kontrollierte Zeitung hatte gemeldet, britische Tornado-Kampfbomber in Syrien seien mit Luft-Luft-Raketen ausgerüstet worden, um sich gegen mögliche »Luftangriffe« der Russen zur Wehr setzen zu können.

Und damit nicht genug: Die sprichwörtlichen »Militärexperten«, mit denen die amerikanischen Mainstreammedien durchsetzt sind, legten los und erklärten, wir seien nur noch 30 Sekunden von einem Dritten Weltkrieg entfernt.

Der Glasjew-Plan

Das Pentagon schäumt weiter vor Wut und wird noch eine Weile benötigen, um die neue militärische Lage in Syrien - und in den Lüften über Syrien - zu verdauen. Das wird die Verzweiflung noch erhöhen, die die »Masters of the Universe« in der Washington-Wall-Street-Achse gepackt hat. Sie wollten doch die strategische Partnerschaft zwischen China und Russland zerschlagen, koste es, was es wolle. Keine leichte Aufgabe, wo doch das Pentagon noch immer den Zweiten Weltkrieg austrägt und seine Waffen, Schiffe und gewaltigen Flugzeugträger leichte Ziele für Russlands neue Raketen sind.

Aber dann ist da ja auch noch Putins zweite - und leisere - Botschaft an Washington. Sie musste Obama nicht einmal persönlich übermittelt werden, aber die amerikanischen Nachrichtendienste dürften sie dennoch mitbekommen haben, denn sie verfolgen die russischen Medien ja aufmerksam.

Die Rede ist von dem Plan, den Präsidentschaftsberater Sergej Glasjew für Russlands unmittelbare wirtschaftliche Zukunft entwickelt hat. Eine Zusammenfassung (auf Russisch) finden Sie hier.

Der Plan wurde offiziell dem russischen Sicherheitsrat vorgelegt. Hier finden Sie auch eine sehr gute Zusammenfassung zur Arbeitsweise des Sicherheitsrats. Glasjews Plan enthält mindestens drei absolut zentrale Punkte. Ich möchte sie wie folgt zusammenfassen:
  1. Wenn sich der Trend fortsetzt und noch mehr Privatvermögen russischer Rechtsträger eingefroren werden, sollte Russland erwägen, den Schuldendienst gegenüber Krediten und Investitionen der an den Einfrieraktionen beteiligten Nationen ganz oder teilweise einzustellen.
  2. Die russische Föderation hat in der Gerichtsbarkeit der NATO-Mitglieder über 1200 Mrd. Dollar investiert, darunter kurzfristige Schulden in Höhe von etwa 800 Mrd. Dollar. Werden die eingefroren, könnte Russland das zumindest teilweise vergelten, indem es NATO-Vermögenswerte in Russland beschlagnahmt. Diese kommen auf einen Wert von 1100 Mrd. Dollar, darunter über 400 Mrd. Dollar langfristig angelegt. Diese Bedrohung wäre also neutralisiert, wenn die russischen Finanzbehörden rechtzeitig die kurzfristigen russischen Vermögenswerte aus den USA und der EU abziehen würden.
  3. Glasjew vertritt unerbittlich den Standpunkt, dass die russische Zentralbank noch immer die Interessen des ausländischen Kapitals vertritt - sprich, der Finanzmächte in London und New York. Er behauptet, die hohen Zinsen der russischen Zentralbank hätten russische Oligarchen dazu gebracht, sich billig im Westen Geld zu leihen. Damit sei die russische Wirtschaft in eine Abhängigkeit geraten - eine Schuldenfalle, mit deren Hilfe der Westen Russland langsam stranguliert. Der Westen führte dann einen Kollaps der Ölpreise und des Rubel-Kurses herbei. Die Zinsen verdoppelten sich, die Rückzahlung der Kredite setzte Russland noch weiter unter Druck.
Sergei Glazyev
© Ramil Sitdikov/RIA Novosti
Was also schlägt Glasjew vor? Im Grunde nichts anderes, als dass Moskau die vollständige Kontrolle über seine Zentralbank zurückerlangt und verhindert, dass Spekulanten ihr Kapital einfach hin- und herbewegen, ohne damit produktive Ziele zu verfolgen. Moskau soll zudem Währungskontrollen einführen und muss eine zentrale Einrichtung für Technologieforschung erschaffen, die den Verlust westlicher Technologie wettmacht. Es wäre eine Kopie des amerikanischen Ansatzes, wo diejenigen Technologien aus der zentralisierten militärischen Forschung kommerzialisiert werden, die auf dem Verbrauchermarkt gute Absatzmöglichkeiten bieten.

Russland hat den Zugang zu seinem westlichen Kredit verloren und kann nicht einfach umschulden, das ist Fakt.Russland wird also die fällig werdenden Kreditsummen und Zinsen zurückzahlen müssen. Wir sprechen über 1000 Mrd. Dollar plus Zinsen. Russland kann auch nichts aus dem Westen importieren, ohne den doppelten Preis dafür zu bezahlen. Man könnte also sagen, dass das Land jetzt in exakt derselben Lage ist, in der es sich befände, wenn Moskau Zahlungsunfähigkeit anmeldete. Insofern hätte Russland durch eine Insolvenz nichts zu verlieren, denn der Schaden ist bereits angerichtet.

Das System wird erschüttert

Auf höchster Ebene wird also erneut über die Möglichkeit diskutiert, dass Russland seine über 1000 Mrd. Dollar Schulden nicht zurückzahlt, mit denen man bei nicht-staatlichen westlichen Parteien in der Kreide steht. Immer vorausgesetzt, dass Washington seine Verteufelung Russlands weiter vorantreibt.

Dass Russland so unter Druck steht, hat natürlich weniger mit den Sanktionen zu tun als vielmehr mit dem Würgegriff, in den die westlichen Finanzmächte die russische Zentralbank genommen haben. Die russische Zentralbank erschuf eine Schuldenfalle, indem sie in Russland die Zinsen hochhielt, während der Westen Geld zu niedrigen Zinssätzen verlieh.

Selbstverständlich würde eine solche Insolvenz das gesamte Finanzsystem des Westens in die Knie zwingen. Man darf niemals das große Ganze aus den Augen verlieren: Die Syrien-Ukraine-Sanktionen-Saga verläuft zeitgleich mit der Annäherung von Russland und China und einer engeren Zusammenarbeit der BRICS-Staaten, die die geopolitischen Machtverhältnisse verschiebt. Für die »Masters of the Universe« geht das natürlich überhaupt nicht. Nehmen wir nur den Fall, als ihre Handlanger an der Wall Street mit Barausgleichen in China die Aktienkurse in hysterische Höhen trieben und dann versuchten, den ganzen Aktienmarkt ähnlich wie 1987 mit einem umgekehrten Barausgleich an die Wand zu fahren.

China bereitet sein eigenes SWIFT-System zur Abwicklung von Finanztransaktionen vor und dann sind da noch zahlreiche neue internationale Institutionen, die unter chinesischer Führung und damit außerhalb der Kontrolle Amerikas stehen. Russland wiederum hat kürzlich ein Gesetz verabschiedet, demzufolge ausländische Vermögenswerte beschlagnahmt werden können, wenn der Westen russische Vermögenswerte beschlagnahmt. Wie Glasjew sagte, sind die Investitionen Russlands im Westen in etwa so hoch wie die Investitionen des Westens in Russland.

Die »Masters of the Universe« mögen weiter darauf bestehen, mit finanziellen Massenvernichtungswaffen zu hantieren. Russland hat ihnen sowohl still und leise als auch mit einigen handfesten Belegen im Kaspischen Meer gezeigt, dass man für alles gewappnet sei, was da auch kommen mag. Ich möchte diesen Beitrag ungern so apokalyptisch beenden. Deshalb hier ein derzeit in Moskau beliebter Witz, wie William Engdahl schreibt:
»Nach seinem Treffen mit Obama in New York kehrt Putin in den Kreml zurück. Er habe Obama zu einer Partie Schach eingeladen, erzählt er einem Berater. Auf die Frage, wie es gelaufen sei, sagt er: ›Als ob man mit einer Taube Schach spielt. Erst wirft sie alle Figuren um, dann kackt sie aufs Brett und dann stolziert sie herum, als ob sie gewonnen habe.‹«