Flüge fallen aus, Orte wirken wie leergefegt: Noch immer legt die Asche des Vulkans Puyehue Chile und Teile Argentiniens lahm. Wann das Asche-Chaos in Südamerika ein Ende hat, ist noch nicht abzusehen.

Der Feind ist weiß-grau, hauchdünn und einfach überall: Aus der Vogelperspektive scheint es, als habe der Urlaubsort Villa La Angostura ein idyllisches Winterkleid angelegt. Doch es ist kein Schnee, der ihn in ein graues Skulpturenmeer verwandelt. Es ist die Asche des chilenischen Vulkans Puyehue, die das beliebte Touristenstädtchen seit Tagen lahmlegt. Bürgermeister Ricardo Alonso bleibt nichts anderes übrig, als hilflose Stellungnahmen in die Mikrofone zu diktieren: „Uns hat etwas heimgesucht, das wir nicht steuern können. Niemand ist schuld daran.“ Treffender kann man die Situation nicht beschreiben, die vor allem Südargentinien gerade durchlebt.



Villa La Angostura steht mittlerweile stellvertretend für all die Probleme, die das Land gerade durchleben muss, seit der mächtige Puyehue unaufhörlich seine Asche in den Himmel spuckt. Schon längst reichen keine Besen mehr, um die dicke Ascheschicht wegzufegen. Rund 30 Zentimeter hoch liegt der graue Brei auf den Straßen, Häusern, in den Gärten. Manche Dächer drohen angesichts der Last einstürzen. Die Asche, die unaufhörlich auf Patagonien niederfällt, hat mittlerweile globale Auswirkungen.

Fast täglich fallen Flüge zwischen den Kontinenten aus. Vor allem die Routen nach Australien und Neuseeland sind betroffen. Tagelang ging in der Luft nichts mehr, zumindest jetzt aber hat sich der internationale Flugverkehr wieder stabilisiert. Mit Sonderflügen wurden gestrandete Passagiere aus allen Teilen der Welt nach Buenos Aires heimgeholt. Auf den Inlandsflughäfen in Chile und Argentinien herrschte tagelang Stillstand. Dann wiederum öffneten sich die Drehkreuze für ein paar Stunden wieder.

Die Sorgenfalten des Organisationskomitees der Fußball-Südamerikameisterschaft, der Copa America, die in diesem Jahr in Argentinien stattfindet, werden täglich größer. Am 1.Juli soll das älteste Nationenturnier der Welt beginnen, zu dem zwölf Mannschaften eingeladen sind. Aber können die überhaupt anreisen? Der argentinische Verbandspräsident Julio Humberto Grondona denkt bereits öffentlich über Terminverschiebungen nach, doch für Panikentscheidungen ist es noch zu früh. Immerhin hat es eine Mannschaft schon nach Argentinien geschafft. Nachbar Bolivien reiste frühzeitig und in einem „Ascheloch“ an. Das Eröffnungsspiel zwischen Argentinien und Bolivien am 1.Juli kann also stattfinden, witzeln einige Sportkommentatoren. Zumindest den Humor haben die Fans noch nicht verloren.

Naturkatastrophe im Wahlkampf

Der argentinischen Staatspräsidentin Cristina Kirchner ist dagegen nicht zum Lachen zumute. Sie versucht, ihre aufgebrachten Landsleute im Süden zu beruhigen: „Wir arbeiten ununterbrochen. Wir tun alles, was wir können“, sagt die Regierungschefin, die mitten im Wahlkampf steckt. Sie weiß, eine schlecht gemanagte Naturkatastrophe könnte für sie gefährlich werden. Sie stößt an die Grenzen ihrer Macht, ihre hilflose Körpersprache verrät bei der Stellungnahme, dass sie auch nicht so recht weiß, wie es weitergeht. Denn der einzige Faktor, der die Spielregeln in dieser Katastrophe bestimmt, ist die Vulkankette Puyehue-Cordón Caulle im Nachbarland Chile. Eine Prognose darüber abzugeben, wie stark und vor allem wie lange die Eruptionen anhalten und wie intensiv der Ascheregen noch Argentinien heimsuchen wird, fällt den Wissenschaftlern schwer. Deswegen verfolgen die Experten in Buenos Aires täglich die Nachrichten aus Chile mit großer Anspannung und Sorge. Die Aschedecke produziert unterdessen bizarre Bilder.

So wie am Rio Limay, wo Taucher der argentinischen Küstenwache durch das von einer dicken Ascheschicht überzogenen Gewässer waten. Es scheint, als marschieren sie durch einen riesigen, grauen Brei. Diese schaurig-schönen Bilder gehen um die Welt und geben einen Eindruck davon, wie tief die Argentinier im Schlammassel stecken. Eine Einschätzung darüber, wie groß der wirtschaftliche Schaden für das südamerikanische Land sein wird, fällt den Experten schwer.

Bislang ist noch nicht abzusehen, wie lange sich das Aschechaos in Südamerika fortsetzen wird. Vor allem der Wintertourismus in Patagonien scheint betroffen. In Villa La Angostura wird für die Menschen immer mehr zur Gewissheit, dass im Juli die Touristen ausbleiben. Allein die Säuberungsarbeiten werden Tage in Anspruch nehmen. Die internationalen wie nationalen Fluglinien klagen bereits über nennenswerte Einnahmeverluste. Auch die Landwirtschaft ist betroffen.

Mensch und Tier leiden

Berichte über 750.000 verendete Schafe geistern durch die lokalen Medien. Auch die berühmtesten landwirtschaftlichen Produkte Argentiniens, das Fleisch und der Wein, könnten in Mitleidenschaft gezogen werden. Die Bauern befürchten einen Imageschaden. Am Sonnabend wagte die argentinische Tageszeitung „Clarin“ einen ersten Überblick über die Auswirkungen der Krise für den Tourismus in der am stärksten betroffenen Region. Der Flughafen von Bariloche, einer der wichtigsten Touristenorte im Süden, soll noch mindestens bis Juli geschlossen bleiben.

Die Behörden in den Touristenhochburgen Bariloche und Villa La Angostura rechnen mit Schäden in zweistelliger Millionenhöhe. Rund 80 Prozent aller Reservierungen seien für die nächsten Tage storniert worden, berichtet der Tourismusverband. Besonders hart trifft die Veranstalter das Ausbleiben der brasilianischen Gäste, die Bariloche alljährlich in ein „Brasiloche“ verwandeln. Rubén Kodjaia, Chef des Hotel- und Gaststättenverbandes, malt ein düsteres Bild: „Wir werden diese Touristen verlieren, wenn der Flughafen weiterhin geschlossen bleibt.“