91 Menschen werden nach Erdrutsch im chinesischen Shenzhen vermisst. Der Erdrutsch ereignet sich mitten in einer Stadt mit zehn Millionen Einwohnern, die zudem Kern einer der wirtschaftsstärksten Regionen der Welt ist.
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© Reuters
Es sah aus wie eine braune Wand aus Schlamm und Plastikfetzen, die spitze Metallteile und Holzbalken mit sich davonschwemmte, berichtet eine Augenzeugin online. Zuvor habe sie ein lautes Grollen gehört. „Dann war unsere Fabrikhalle weg, und wir liefen, so schnell wir konnten, es war wie ein Tsunami.“ Ihre Kollegin sei in der Lawine verschwunden. Rettungskräfte suchen nun mit Baggern nach Überlebenden unter einer ekligen, sechs Meter hohen Schicht aus Abfällen und Dreck. Ob sich in der Masse auch Sondermüll befindet, war am Montag noch nicht bekannt.

Einen Tag nach einer Katastrophe um eine ungesicherte Schutthalde sammeln sich die Erfahrungsberichte im Netz, während die Behörden mehr Details bekanntgeben: Über 380 000 Quadratmeter Fläche sind unter der Lawine in der Großstadt Shenzhen verschwunden, das entspricht 55 Fußballfeldern. Mindestens 91 Menschen werden vermisst. Unter dem Morast liegen 14 Fabriken mitsamt Wohnheimen für die Arbeiter, mehrere kleinere Hütten, zwei Bürogebäude und ein Cafe. Polizei und Armee haben Spürhunde ins Katastrophengebiet gebracht.

Dieser Erdrutsch am Sonntag ist etwas Besonderes, weil er sich mitten in einer Stadt mit zehn Millionen Einwohnern ereignet hat, die zudem Kern einer der wirtschaftsstärksten Regionen der Welt ist. Shenzhen liegt zwischen der Finanzmetropole Hongkong und den Industrierevieren der Provinz Guangdong und des Perlflussdeltas. Großunternehmen wie der Elektroriese Huawei, der Autohersteller BYD oder der Hausgerätekonzern TCL haben hier ihren Sitz.

Shenzhen verfügt über eine hochmoderne Innenstadt aus glitzernden Hochhäusern und ist Börsenstandort. Doch Shenzhen hat auch eine andere Seite, weil die Katastrophe zeigt. Der Erdrutsch hatte sich ereignet, weil Firmen und Privatleute einfach wild entsorgt haben, was bei ihnen überschüssig war. Vor allem Baufirmen haben einen vorhandenen Hügel im Gewerbegebiet Neu-Guangming genutzt, um Schutt abzuladen.

Wie so oft in China hat dann alles riesige Ausmaße angenommen: Es entstand ein über 100 Meter Berg aus Erde und Müll. „Er war viel zu steil, um stabil zu sein“, zitiert die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua einen Beamten, der mit den Rettungsarbeiten befasst ist.

Es sei kein Wunder gewesen, dass es zur Katastrophe gekommen sei. Heftige Regenfälle hatten den Schutthügel in den vergangenen Tagen aufgeweicht und so weit verflüssigt, dass er sich nun über das Gewerbegebiet ergossen hat.

Behördenfehler und Missachtung von Regeln

Örtliche Medien berichten über tragische Schicksale. Der Verlobte einer 28-jährigen Frau ist im Schlamm vermisst - die Hochzeit sollte am 31. Dezember stattfinden. Er hat in der Betonfabrik seines Vaters gearbeitet. Der Vater konnte im letzten Moment entkommen, doch der Sohn wollte seiner Mutter helfen, die sich nicht so schnell bewegen konnte. Beide wurden von dem schlammigen Tsunami eingeholt, berichtet die Tageszeitung „South China Morning Post“. Der Familienbetrieb ist nun völlig zerstört. Der jüngere Bruder des Verlobten zeigt den Rettungskräften immer wieder die GPS-Position der Stelle, wo sein Angehören verschüttet sind. Doch die sind überlastet, können nicht überall gleichzeitig graben.

Die Nachrichtenagentur Xinhua berichtet von dem Lohnarbeiter He Weiming, dessen Vater, Mutter, Sohn, Tochter, Gattin, Nichte und Schwiegertochter in der Nähe des ungesicherten Schuttabladeplatzes gearbeitet haben. Seit Sonntag versucht er verzweifelt, sie auf dem Handy anzurufen. Keiner von ihnen hat mehr Empfang. „Es war nicht einmal mehr das Dach des Gebäudes zu sehen.“

Katastrophen aufgrund von Behördenfehlern und offensichtlicher Missachtung von Regeln ereignen sich in China immer wieder.

Im August erst war in der Hafenstadt Tianjin, ebenfalls eine moderne Millionenmetropole, ein illegales Chemielager explodiert. Hunderte Tonnen brennbarer und reaktionsfreudiger Substanzen hatten in einer Halle am Hafen gelagert. Über der Stadt stand ein Feuerball wie ein Atompilz. Zweihundert Menschen starben, darunter zahlreiche Feuerwehrleute, die zum Löschen angerückt waren.


Kommentar: Die Ursache ist bis heute noch nicht vollkommen geklärt.

Die Stadt Shenzhen hat nun 151 Bagger und elf Feuerwehreinheiten am Unglücksort zusammenziehen lassen. Doch die Helfer stochern bisher nur in den Schlammmassen. Nach Stand von Montagabend Ortszeit liegen 13 Menschen im Krankenhaus, mehrere von ihnen in Lebensgefahr. Augenzeugen sind sich jedoch sicher, dass für viele der Vermissten nur geringe Überlebenschancen bestehen.

Der rote Schlamm bedeckt den Boden und die Gebäude komplett und ist in in alle offenen Hohlräume eingedrungen. Der Katastrophenschutz von Shenzhen hat in Neu-Guangming ein mobiles Hauptquartier und ein Lazarett errichtet