Vor 30 Jahren starb in Leipzig der Stasi-Offizier Werner Teske. Er war der letzte Mensch, der in Deutschland hingerichtet wurde

Der 39-Jährige hatte gestanden, über eine Flucht in den Westen nachzudenken. Deshalb ließ Erich Mielke ihn töten.


Das Ende kommt überraschend. Eben erst ist Werner Teske durch einen zehn Meter langen, fensterlosen Korridor geführt worden. Zwar ahnt er, dass sein Tod bevorsteht - vielleicht hat er aber auch noch Hoffnung. Dann ist in wenigen Sekunden alles vorbei. Lautlos tritt ein Mann von hinten an den 39-Jährigen heran, hebt eine Pistole vom Typ Walther P 38 mit Schalldämpfer und drückt ab. Die Kugel trifft Teske ins Genick, er bricht zusammen und ist sofort tot. Es ist der 26. Juni 1981: Zum letzten Mal wird in Deutschland ein Todesurteil vollstreckt.

Der Tatort war die ehemalige Hausmeisterwohnung der Strafanstalt in der Alfred-Kästner-Straße in der Leipziger Südstadt. Während die Bundesrepublik die Todesstrafe 1949 abgeschafft hatte, gab es sie in der DDR. Seit 1960 wurden alle Hinrichtungen zentral in Leipzig vollzogen, seit 1968 mit der Methode des "unerwarteten Nahschusses", entlehnt vom sowjetischen Geheimdienst KGB.

Insgesamt verhängten ostdeutsche Gerichte seit Gründung der DDR 231 Todesurteile, von denen nach derzeitigem Forschungsstand 160 vollstreckt wurden. Bei fünf Fällen ist bis heute nicht geklärt, ob die Todesstrafe tatsächlich vollzogen wurde. Insgesamt 52 vollstreckte Urteile ergingen wegen vermeintlich politischer Delikte, 64 wegen Verbrechen in der Nazi-Zeit und 44 wegen gewöhnlicher Kriminalität, meistens Mord.

Teske wäre wohl längst vergessen, wenn er nicht hingerichtet worden wäre. 1942 in Berlin geboren, hatte das Ministerium für Staatssicherheit den überzeugten Kommunisten im Jahr 1967 als Spitzel angeworben. Zwei Jahre später trat der promovierte Ökonom als hauptamtlicher Mitarbeiter der Auslandsspionage des MfS bei, der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA).

Allerdings enttäuschte die Arbeit bei der Stasi Teske mit den Jahren immer mehr. Anders als zugesagt konnte er nicht mehr wissenschaftlich arbeiten, und er verlor seinen Glauben an die Ideale des Kommunismus. Teske begann zu trinken und bekam Probleme mit seiner Frau. Der Offizier sann mehr und mehr über eine Flucht in den Westen nach - für einen Geheimdienstler ein unerhörter Gedanke. Er nahm geheime Dienstunterlagen mit nach Hause - vielleicht um sie als Gegenleistung für einen "Neustart" im Westen zu nutzen. Teskes Pech war, dass sein HVA-Kollege Werner Stiller 1979 nach West-Berlin geflüchtet war. Die Führung des MfS mit Erich Mielke an der Spitze musste angesichts dessen bei nächster Gelegenheit ein Exempel statuieren, um die Disziplin im eigenen Dienst aufrechtzuerhalten. Der Minister kündigte im Januar 1980 in einer "Geheimen Verschlusssache" eine harte Bestrafung von Verrätern aus den eigenen Reihen an. "Verrat ist das schwerste Verbrechen, welches ein Angehöriger des MfS begehen kann. Die Partei und die Arbeiterklasse haben unserem Ministerium wichtige Aufgaben zum Schutz der Arbeiter-und-Bauern-Macht anvertraut, haben bedeutsame Machtmittel in unsere Hände gelegt. Wer dieses Vertrauen durch schmählichen Verrat hintergeht, den muss die härteste Strafe treffen."

Der fast allmächtige Stasi-Chef verlangte Unnachgiebigkeit: "In allen Diensteinheiten ist ein noch wirkungsvollerer Kampf um die allseitige politisch-moralische Festigung der Kollektive zu führen. Dabei muss die verantwortungsbewusste Gewährleistung der inneren Sicherheit und Ordnung bzw. die ständige Festigung der Disziplin, insbesondere durch die Erziehung aller Tschekisten zu hoher revolutionärer Wachsamkeit im Mittelpunkt stehen."

Angesichts dessen war Werner Teskes Schicksal so gut wie besiegelt, als seine Vorgesetzten auf verschwundene Dienstpapiere aufmerksam wurden und eine Hausdurchsuchung bei ihm stattfand. Er wurde festgenommen und tagelang verhört, wie jetzt der Öffentlichkeit übergebene Unterlagen aus der Stasi-Unterlagen-Behörde zeigen.

Der Hauptmann gestand, über einen Wechsel in den Westen nachgedacht zu haben. In einem Bericht der Abteilung "Kader und Schulung" vom 12. September 1980 heißt es, dass er "1978 die Absicht hatte, Verrat an der Deutschen Demokratischen Republik zu begehen". Obwohl Teske nicht ein Dokument tatsächlich weitergegeben, ja nicht einmal Kontakt mit westlichen Dienststellen aufgenommen hatte, reichte das für die Höchststrafe aus. Zuvor wurde er am 14. Oktober 1980 noch aus der SED ausgeschlossen.

Das Strafgesetzbuch der DDR sah noch bis 1987 die Todesstrafe vor, vor allem für Hochverrat und Spionage, außerdem für Mord und NS-Kriegsverbrechen sowie für "Kriegshetze" und "Sabotage". Da Teske jedoch eben nichts verraten hatte, sondern lediglich darüber nachgedacht hatte, war in seinem Fall das Todesurteil nicht einmal nach DDR-Strafrecht angemessen. Laut einem Vermerk auf seiner Kaderkarteikarte wurde er zu "lebenslänglich" verurteilt - aber dennoch hingerichtet. Seine Exekution blieb ein Staatsgeheimnis, seine Frau glaubte bis zur Wiedervereinigung, dass ihr Mann noch lebe und eingesperrt sei.

Am 10. Juni 1981, der nicht öffentliche Prozess ging nach nur zwei Tagen zu Ende, wandte sich Teske an das Militärgericht: "Ich bitte den hohen Senat bei seiner Urteilsverkündung, mir noch einmal die Chance einzuräumen, mir noch einmal die Möglichkeit zu geben, ein Leben mir einzurichten, in dem ich voll den gesellschaftlichen und gesetzlichen Normen der DDR entspreche." Für die Richter spielte dieses Gnadengesuch keine Rolle: Schon 16 Tage später fiel der tödliche Schuss. Nach der Hinrichtung wurde der Leichnam des Stasi-Offiziers anonym im Krematorium des Leipziger Südfriedhofes eingeäschert, als "Anatomieleiche". Seine sterblichen Überreste verscharrte man in einem Massengrab.

"Todesursache und Sterbeort wurden gefälscht, damit keine Rückschlüsse auf Leipzig als Hinrichtungsort gezogen werden konnten", sagt Tobias Hollitzer, der Leiter des Stasi-Museums in der "Runden Ecke" in Leipzig und bester Kenner der Todesstrafe in der DDR. Tatsächlich erfuhr man erst Anfang der 90er-Jahre von dem Ort. Ehemalige Gefängnismitarbeiter schwiegen bis heute.

Hollitzers Ziel ist, dass die ehemalige Hinrichtungsstätte der DDR in der Alfred-Kästner-Straße künftig der Öffentlichkeit zur Verfügung steht. Nicht als klassische Opfer-Gedenkstätte, denn hier wurden neben den aus politischen Gründen verurteilten Menschen eben auch Schwerst- und Kriegsverbrecher hingerichtet. Sondern als authentischer Ort der Todesstrafe in Deutschland - darüber gibt es bis heute hierzulande keine Dokumentation.

Gegenwärtig ist der Tatort nur zwei Mal jährlich für Besucher zugänglich, zur Leipziger Museumsnacht sowie zum Tag des offenen Denkmals. Hollitzer berät mit dem Justizministerium in Dresden über einen "justizgeschichtlichen Erinnerungsort". Wann es so weit sein könnte, ist 30 Jahre nach dem letzten vollstreckten Todesurteil aber noch offen.