Am Toten Meer reißt der Boden auf. Schon reiht sich ein Krater mit bis zu 20 Meter Tiefe an den nächsten. Jeden Tag kommen neue Löcher dazu, Anwohner fallen metertief. Schuld ist der Kampf ums Wasser.
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© Getty Images/Flickr RFSchlucklöcher zerstören das Naherholungsgebiet am Toten Meer. Betrachtet man Luftaufnahmen, sieht das Ufer des Salzsees wie ein Schweizer Käse aus. Krater bis zu 20 Meter Tiefe reihen sich aneinander
Es war kurz vor dem jüdischen Fest Pessach, als die Erde sich auftat. Tausende Autos aus Tel Aviv und Jerusalem drängten für die Feiertage in den Süden, zum beliebten Naherholungsgebiet ans Tote Meer. Ein bisschen auf dem warmen Salzwasser treiben, den Körper mit Mineralschlamm abrubbeln, die sauerstoffreiche Luft am tiefsten trockenen Punkt der Erde atmen. Doch aus den Urlaubsplänen wurde nichts. Die Route 90, die an dem Salzsee vorbeiführt: umgeleitet. Die beiden öffentlichen Strände: geschlossen.

Kurz zuvor hatten Satelliten ein riesiges Loch unter der Hauptstraße gemeldet. Es war nur eine Frage der Zeit, bis ein Auto oder LKW durch die Straße in den Krater kracht. Dann riss der Boden am Strand auf. Darunter: metertiefes Nichts. Wie in einem apokalyptischen Film rutschten Duschen und Umkleidekabinen in die Löcher. Schockiert drehten die Urlauber um. Keiner von ihnen wollte sein Leben riskieren.

Jeden Tag ein neues Schluckloch

Was ist los am Toten Meer? Die Straßen sind seit Jahren mit Schildern gesäumt, die auf Hebräisch, Arabisch und Englisch vor Schlucklöchern im Erdboden warnen. Betrachtet man Luftaufnahmen, sieht das Ufer des Salzsees wie ein Schweizer Käse aus. Krater bis zu 20 Meter Tiefe reihen sich aneinander. Mittlerweile kommt jeden Tag ein solches Schluckloch dazu, schätzt die Hydrologin Carmit Ish Shalom, die im nahe gelegenen Kibbuz Ein Gedi lebt und seit sechs Jahren am Toten Meer forscht.

Die Trichter entstehen, weil der Wasserspiegel des Toten Meeres sinkt. Das Salzwasser weicht zurück, Süßwasser aus den Bergen dringt nach und wäscht die unterirdische Salzschicht ab. So entstehen Hohlräume, über denen die Oberfläche einstürzt. Das erste Loch entdeckten Anwohner in den 80er-Jahren.


Kommentar: Oder handelt sich um Erdfälle?


Tourismuszahlen brechen ein

Dass das Tote Meer austrocknet, liegt am Eingriff in den Jordan. Der einst mächtige Fluss plätschert heute nur noch als Rinnsal ins Tote Meer. Die Anrainer, vor allem Israel, aber auch Jordanien, Syrien und Libanon, dürsten nach seinem Wasser und zweigen 98 Prozent des Flusses für Haushalte, Landwirtschaft und Industrie ab. Mittlerweile hat das Tote Meer ein Drittel seiner Oberfläche eingebüßt, jedes Jahr sinkt sein Spiegel um einen Meter. "2050 dürfte nur noch ein kleiner Teich übrig sein", sagt Hydrologin Shalom.


Kommentar: Das wäre dann nicht nur ein symbolischer Name für das Tote Meer.


Das Tote Meer ist ein weltweit einmaliges Phänomen. Weil es zehnmal salziger ist als der Atlantik, schwimmen außer Mikroben keine Lebewesen darin. Deshalb bezeichnet man das Gewässer als tot. Eigentlich ist es vielmehr ein See als ein Meer, da es auf einem Kontinent liegt und nicht mit anderen offenen Gewässern verbunden ist. Weil das Tote Meer keinen Abfluss hat, bleiben alle Mineralien wie Brom, Magnesium und Kalium im Wasser erhalten. Das macht es attraktiv für Wellnessgäste.

Seit aber die einzigen frei zugänglichen Strände schließen mussten, ist der Tourismus eingebrochen. "Das Kibbuz hat gerade 1,3 Millionen Euro in das Ufer investiert. Dann ist der Riss aufgetaucht und der Strand wurde gesperrt. Nicht einen einzigen Tag war er seit der Investition offen", sagt Gundi Shachal. Die deutsche Forscherin ist vor 30 Jahren nach Israel ausgewandert und lebt seitdem im Kibbuz Ein Gedi. Für die jordanisch-israelisch-palästinensische Umweltschutzorganisation Friends of the Earth of the Middle East vertritt sie die Wüstenregion am Toten Meer. "Der Tourismus ist die wichtigste Einkommensquelle für den Kibbuz, vom einen auf den anderen Tag haben wir so gut wie kein Einkommen mehr", sagt sie. Auch der Kiosk und die Tankstelle haben mittlerweile dicht gemacht.

"Die interessieren sich nicht für uns"
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Luftaufnahme von ein paar Erdfällen
Lediglich im kibbuzeigenen Spa machen die Touristen noch Schlammkuren. Weil das Meer sich täglich weiter zurückzieht, fährt mittlerweile ein Traktor vom Gebäude aus 1,5 Kilometer über den rissigen Boden dem Meer hinterher und bringt die Besucher in zwei Anhängern zum Ufer. Regelmäßig müssen die Angestellten Liegestühle, Duschen und Wachtürme näher ans Meer rücken. Bisher war jeder zweite Israelbesucher auch im Toten Meer baden, aber aufgrund der aktuellen Gefahr, den Boden unter den Füßen zu verlieren, wird sich das wohl ändern.

Es gleicht einem Wunder, dass noch niemand tödlich verunglückt ist. Verletzt haben sich allerdings schon einige. Die Erste war eine Putzfrau des Campingplatzes. Mit ihrem Wagen wurde sie vor einigen Jahren vom Erdboden verschluckt und fiel fünf Meter tief. Sie kam mit ein paar Brüchen davon, am nächsten Tag schlossen die Behörden den Platz und schickten die Gäste nach Hause.

Einmal ist ein Forscher in die Erde eingebrochen, einen ganzen Tag hat er in dem Graben ausgeharrt. Als er schon nicht mehr an seine Rettung glaubte, schrieb er auf ein Stück Klopapier sein Testament und Abschiedsbriefe an die Familie. Nach 14 Stunden fand ihn das Rettungsteam der Region, das mittlerweile auf die Bergung aus den Schlucklöchern spezialisiert ist, und zog ihn heraus.

Könnte ein Kanal zum Roten Meer die Rettung sein?

Ist das Tote Meer noch zu retten? Erst kürzlich haben sich Israel, Jordanien und die Palästinenser nach jahrzehntelanger Verhandlung auf ein gemeinsames Mammutprojekt geeinigt. Sie wollen einen Kanal vom Roten Meer zum Toten Meer bauen, der den Salzsee auffüllen soll. Jordanien hat vor wenigen Wochen die Ausschreibung gestartet, bis Ende März nächsten Jahres könnten sich Unternehmen und Konsortien um den gewaltigen Auftrag bewerben, teilte das Ministerium für Wasser und Bewässerung in Amman mit.

Umweltschützer befürchten, dass das weniger salzige und leichtere Wasser des Roten Meeres sich nicht mit dem Wasser des Toten Meeres vermischt, sondern darauf schwimmen wird. Hinzu kommt die Bildung von Gips, der als schleimige, weiße Schicht auftauchen könnte. "Wer will darin dann noch schwimmen?", fragt Aktivistin Gundi Shachal. "Das Beste wäre, den Jordan wieder zum Fließen zu bringen", sagt sie, aber das sei wohl eher utopisch. Von der Politik erwartet sie keine Hilfe. "Die interessieren sich nicht für uns hier unten in der Wüste."