Bohrarbeiten
© AFPUnter dem Meer. Ein Arbeiter auf dem japanischen Spezialschiff „Chikyu“ bereitet einen Bohrer für den Einsatz vor. Die Chikyu kann sieben Kilometer tief in den Meeresboden bohren...
Auf den Spuren von Jules Verne: Mit einer Bohrung auf hoher See wollen Geologen den Erdmantel erreichen. Gelänge dies, brächte das wertvolle Informationen, zum Beispiel über den Ursprung und die Entwicklung unseres Planeten.

Für den französischen Schriftsteller Jules Verne war ein Vorstoß ins Innere der Erde eine relativ einfache Sache. In seinem Roman „Reise zum Mittelpunkt der Erde“ ließ er 1864 seine wagemutigen Helden durch einen isländischen Vulkan in die Tiefen unseres Planeten hinabsteigen. Doch die wirklichen physikalischen Verhältnisse, wie hohe Temperaturen, die im Erdkern Werte um die 6000 Grad Celsius erreichen, schieben einer solchen Expedition einen unüberwindlichen Riegel vor.

Dennoch haben die Wissenschaftler im vergangenen Jahrhundert zahlreiche Informationen über den inneren Aufbau der Erde erhalten, und zwar durch die Messung seismischer Wellen, wie sie bei Erdbeben freigesetzt werden.

Wie Röntgenstrahlen durchlaufen sie den Erdkörper und erlauben einen Blick auf dessen verschiedene Schalen, Kruste, Mantel und Kern sowie die dort ablaufenden Prozesse.

Doch die so gewonnenen Informationen sind naturgemäß nur indirekte Schlussfolgerungen und mit einer gewissen Vorsicht zu genießen. Deshalb wollen Wissenschaftler auch direkte Messungen in der Tiefe vornehmen und Proben nehmen. Bisher gelang das nur bei der Erdkruste, die mittels Tiefbohrungen erkundet wird. Den Rekord halten hier die Russen mit 12.262 Meter auf der Halbinsel Kola. Dagegen kamen die Deutschen im oberpfälzischen Windischeschenbach „nur“ bis 9101 Meter. Denn, so formuliert es Ulrich Harms vom Deutschen Geoforschungszentrum Potsdam: „Bei der Kola-Bohrung waren die Temperaturen in der Tiefe mit rund 180 Grad relativ niedrig, während wir auf 270 Grad trafen.“ Aber noch tiefer zu bohren, hätte kaum etwas gebracht, sagt der Forscher. Ab 200 Grad arbeiten die elektronischen Messgeräte zum Beispiel für das Magnetfeld nicht mehr. Trotzdem haben die Wissenschaftler in Windischeschenbach wichtige Erkenntnisse gewonnen, etwa über die Größe der Gesteinsspannungen in neun Kilometer Tiefe, den Temperaturanstieg oder die Grundwasserverteilung.

Angesichts der Krustendicke von 30 bis 60 Kilometern unter den Kontinenten sind diese Bohrungen nur Nadelstiche. Dennoch wollten die Forscher schon vor fünfzig Jahren noch tiefer vordringen, nämlich bis zum Erdmantel und von dort direkt Proben nehmen. Zwar sind an der Erdoberfläche an einigen Stellen Gesteine zu finden, die aus dem Mantel stammen - doch sie haben sich während ihrer „Reise“ an die Oberfläche sowie durch die Einflüsse von Wind und Wetter seit Jahrtausenden verändert. Um wirklich zu wissen, wie es im Erdmantel aussieht, müssen die Geoforscher das tiefe Stockwerk mit einer Bohrung erkunden. Gelänge dies, brächte das wertvolle Informationen, zum Beispiel über den Ursprung und die Entwicklung unseres Planeten. So wurde das Projekt „Mohole“ gestartet. Der Wort setzt sich zusammen aus dem wissenschaftlichen Namen des Übergangs von der Erdkruste zum Mantel, der „Mohorovicic“-Diskontinuität, und dem englischen „hole“, was schlicht „Loch“ bedeutet. Doch neben den technischen Schwierigkeiten und geopolitischen Querelen um das Bohrloch vor der mexikanischen Pazifikküste gab es vor allem Finanzierungsprobleme. 1966 schließlich strich der US-Kongress das Geld. Nach gerade 183 Bohrmetern.

Nun greifen Forscher diese Idee wieder auf. Dank moderner Technik sowie den Erfahrungen aus zahlreichen Forschungsbohrungen an Land und in den Meeren soll das Vorhaben „Mohole“ nun endlich gelingen. Koordiniert werden die Arbeiten vom international operierenden Ozean-Bohrprogramm (IODP), an dem 24 Länder beteiligt sind. Um eine geeignete Bohrstelle zu finden, sind geophysikalische Untersuchungen an mehreren Stellen im Pazifik geplant: östlich von Hawaii, westlich von Kalifornien und vor Costa Rica. „Im Gegensatz zu den Kontinenten ist dort die Erdkruste nur weniger als zehn Kilometer dick“, begründet Harms. Außerdem seien in diesen Gegenden die Gesteine bereits mehr als eine Million Jahre alt und somit gut abgekühlt. An den mittelozeanischen Rücken, wo an Unterwasservulkanen ständig neue Kruste produziert wird, ist die Gesteinstemperatur merklich höher.

Bis allerdings die erste Tiefbohrung in den Mantel an der günstigsten Stelle startet, werden die Forscher eine Menge Geld organisieren müssen. „Große mehrjährige Bohrprogramme wie die Untersuchung der San-Andreas-Verwerfung in Kalifornien bewegen sich schon um die 20 Millionen Dollar“, erläutert Harms. „Und was die Kosten für eine Bohrung im Meeresboden angeht, so gilt die Faustregel, dass diese leicht zehnmal so teuer ist wie auf dem Kontinent.“

Die eigentliche Bohrung könnte innerhalb dieses Jahrzehnts beginnen, sofern der Bohrplatz und vor allem die Finanzierung geklärt sind, schätzt der Potsdamer Geowissenschaftler. Die Technik für solch eine Expedition in die Tiefe ist vorhanden, sie stammt aus der Erdöl-Erdgasförderung. Sie wurde jedoch für wissenschaftliche Zwecke modifiziert. „Das Ziel einer wissenschaftlichen Bohrung besteht nicht darin, möglichst schnell in die Tiefe zu kommen“, sagt Harms. „Für uns ist es wichtig, während des Bohrens kontinuierlich Gesteinskerne zu fördern, und die Eigenschaften der tiefen Schichten zu untersuchen.“ Dazu gehören etwa Temperatur, Druck, Spannung und chemische Parameter.

Wie bei Erdölbohrungen gelten auch bei Forschungstiefbohrungen Sicherheitsmaßnahmen, auch wenn dort eigentlich nicht mit einem explosiven Erdöl- und Erdgasaustritt gerechnet werden muss. „Aber auch wir müssen in lockeren Sedimenten das Bohrloch durch Rohre sichern“, sagt Harms. Ab sechs Kilometer, wo die Spannungen im Untergrund erheblich sind, sei die Stabilität der Bohrung oft ein großes Problem: Von der Seite hereinbrechendes Gestein droht das Loch zu verschließen. „Dann kommen die schon angesprochenen Temperaturen von über 200 Grad hinzu, bei denen die Messelektronik zu versagen droht.“

Doch damit nicht genug. Auch das lange Bohrgestänge ist schwer zu handhaben. „Es ist etwa so, als ob man vom Fernsehturm aus versucht, einen Bindfaden zu kontrollieren, an dessen Ende sich eine Murmel befindet“, erläutert der Forscher die Dimension. Beim Vorstoß in den Erdmantel potenzieren sich die Schwierigkeiten. „Dort würde man es wahrscheinlich mit sogenanntem ultrabasischem Hartgestein und enormen Druck- und Temperaturbedingungen zu tun bekommen“, sagt Harms.

Aus seiner Sicht lohnt sich die Mühe dennoch. „Wir könnten beispielsweise herausfinden, wie sich die Gesteinszusammensetzung am Übergang von der Kruste zum Mantel ändert, wie neue Erdkruste an den mittelozeanischen Rücken entsteht, oder wie die tiefe Kruste zu magnetischen Anomalien im Ozeanboden beiträgt.“ Aber die Wissenschaftler sind noch lange nicht am Ziel. Viele Versuche und Experimente sind seiner Einschätzung nach vonnöten, um wirklich bis in den Erdmantel vorzudringen. Die Expedition auf den Spuren Jules Vernes hat gerade erst begonnen.