Quasar
© ESO/M. KornmesserKünstlerische Darstellung des entferntesten Quasars

Pressemitteilung der Europäischen Südsternwarte (Garching bei München) - Ein Team von europäischen Astronomen hat mit dem Very Large Telescope (VLT) der ESO und einer Reihe weiterer Teleskope den entferntesten bisher bekannten Quasar entdeckt und näher untersucht. Dieses strahlende Leuchtfeuer wird von einem Schwarzen Loch mit zwei Milliarden Sonnenmassen angetrieben und ist das leuchtkräftigste Objekt, das bislang im frühen Universum entdeckt wurde. Die Ergebnisse der hier vorgestellten Studie erscheinen am 30. Juni 2011 in der Fachzeitschrift Nature.

“Dieser Quasar verschafft uns wertvolle Einblicke in das frühe Universum. Es handelt sich um eine sehr seltenes Objekt, das uns helfen wird, zu verstehen, wie supermassereiche Schwarze Löcher einige hundert Millionen Jahre nach dem Urknall an Masse zugenommen haben”, erklärt Stephen Warren, der Leiter des Wissenschaftlerteams.

Quasare sind extrem helle, weit entfernte Galaxien, deren Leuchtkraft vermutlich von supermassereichen Schwarzen Löchern in ihren Zentren erzeugt wird. Ihre große Helligkeit macht Quasare zu Leuchtfeuern, die uns helfen können, das Zeitalter der Entstehung der ersten Sterne und Galaxien zu untersuchen. Der jetzt entdeckte Quasar ist so weit entfernt, dass sein Licht uns Einblicke in den letzten Abschnitt des so genannten Zeitalters der Reionisation ermöglicht [1].

Der Quasar trägt die Bezeichnung ULAS J1120+0641 [2].Wir sehen ihn heute in dem Zustand, in dem er sich nur 770 Millionen Jahre nach dem Urknall befand (entsprechend einer Rotverschiebung z [3] von 7,1). Sein Licht brauchte 12,9 Milliarden Jahre, um uns zu erreichen.

Frühere Beobachtungen haben zwar noch weiter entfernte Ereignisse und Objekte, etwa einen Gammastrahlen-Ausbruch mit einer Rotverschiebung von z=8,2 (eso0917) und eine Galaxie mit einer Rotverschiebung z=8,6 (eso1041), erfassen können. Aber der jetzt entdeckte Quasar ist mehrere hundert Mal heller und damit das mit Abstand fernste Objekt, das hell genug ist, um eine detaillierte Untersuchung zu ermöglichen.

Die Nummer zwei in der Liste der entferntesten Quasare sehen wir bereits in dem Zustand, den das Objekt 870 Millionen Jahre nach dem Urknall hatte (entsprechend einer Rotverschiebung von z=6,4). Bei noch größerer Rotverschiebung können Objekte dieser Art nicht mit Durchmusterungen im sichtbaren Licht aufgefunden werden: Die Wellenlänge des von ihnen ausgesandten Lichts wird durch die Expansion des Universums gedehnt und erreicht die Erde daher als (langwelligere) Infrarotstrahlung. Die Suche nach derart entfernten Objekten ist einer der Gründe für die Himmelsdurchmusterung European UKIRT Deep Sky Survey (UKIDSS), die derzeit mit dem britischen Infrarotteleskop UKIRT auf Hawaii [4] im Infraroten durchgeführt wird und besonders tief ins Weltall blicken soll. Das Astronomenteam, das den neuen Quasar entdeckte, durchforstete auf der Suche nach weit entfernten Quasaren die Millionen von Einträgen in der UKIDSS-Datenbank, und landete schließlich einen Volltreffer.

“Wir brauchten fünf Jahre, um ULAS J1120+0641 zu finden”, erklärt Bram Venemans, einer der Autoren der Studie. “Eigentlich waren wir auf der Suche nach einem Quasar mit einer Rotverschiebung von mehr als 6,5. Dass wir ein noch so viel weiter entferntes Exemplar entdeckt haben - mit einer Rotverschiebung von mehr als 7 - war eine angenehme Überraschung. Dieser Quasar ermöglicht uns einen tiefen Blick in das Zeitalter der Reionisation und eröffnet uns damit die einzigartige Gelegenheit, eine 100 Millionen Jahre umfassende Zeitspanne in der Anfangsgeschichte des Kosmos zu erforschen, die bisher unzugänglich gewesen ist.”

Die Rotverschiebung und damit auch die Entfernung von ULAS J1120+0641 wurden durch Beobachtungen mit dem FORS-Instrument am Very Large Telescope (VLT) der ESO und mit Instrumenten am Gemini-Nord-Teleskop [5] bestimmt. Da er vergleichsweise hell ist, ist es möglich, das Licht des Quasars in seine einzelnen Farben aufzuspalten. Aus diesem Spektrum lassen sich neben der Rotverschiebung noch umfangreiche weitere Erkenntnisse über den Quasar gewinnen.

Die Beobachtungen haben gezeigt, dass das Schwarze Loch im Zentrum von ULAS J1120+0641 etwa zwei Milliarden Sonnenmassen enthält. Das ist überraschend, denn die gängigen Theorien zum Wachstum supermassereicher Schwarzer Löcher sagen eine langsame Massenzunahme voraus, während derer das kompakte Objekt Materie aus seiner Umgebung einfängt. In diesen Theorien ist daher schwer zu erklären, wie ein Objekt bereits so kurz nach dem Urknall eine derart große Masse haben konnte

“Wir vermuten, dass es am gesamten Himmel nur ungefähr 100 helle Quasare mit einer Rotverschiebung von mehr als 7 gibt”, schließt Daniel Mortlock, der Erstautor des Fachartikels. “Um ULAS J1120+0641 zu finden, war eine langwierige Suche nötig. Doch das Ergebnis war den großen Aufwand allemal wert - wir konnten dem frühen Universum einige seiner Geheimnisse entlocken.”

Endnoten

[1] Etwa 400.000 Jahre nach dem Urknall, der sich vor 13,7 Milliarden Jahren ereignet hat, war das Universum so weit abgekühlt, dass sich Elektronen und Protonen zu neutralem Wasserstoff verbinden konnten, also zu einem Gas, das keine elektrische Ladung trägt. Dieses kalte, dunkle Gas füllte das Universum aus, bis sich 100 bis 150 Millionen Jahre später die ersten Sterne bildeten. Deren intensive Ultraviolettstrahlung spaltete die Wasserstoffatome nach und nach wieder in Protonen und Elektronen auf. Diesen Prozess, der das Universum für Ultraviolettstrahlung wieder durchsichtiger machte, nennt man Reionisation. Das Zeitalter der Reionisation fand vermutlich zwischen 150 Millionen und 800 Millionen Jahren nach dem Urknall statt.

[2] Das Objekt wurde in Datensätzen aus dem UKIDSS Large Area Survey (ULAS) gefunden. Die Zahlen und das Präfix „J“ geben die Position des Objektes am Himmel an.

[3] Da das Licht sich nur mit endlicher Geschwindigkeit ausbreitet, schauen Astronomen bei Beobachtungen ferner Objekte immer auch zurück in der Zeit. Während der 12,9 Milliarden Jahre, die das Licht von ULAS J1120+0641 brauchte, um die Erde zu erreichen, hat sich das Universum ausgedehnt, und dabei wurde das Licht auf seinem Weg von dem Quasar zu uns ebenfalls gedehnt. Die kosmologische Rotverschiebung, oft auch einfach Rotverschiebung genannt und mit dem Buchstaben z abgekürzt, ist ein Maß dafür, wie stark sich das Universum zwischen dem Zeitpunkt, zu dem das Licht ausgesandt wurde, und dem Zeitpunkt seiner Detektion auf der Erde ausgedehnt hat.

[4] UKIRT steht für United Kingdom Infrared Telescope („Infrarotteleskop des Vereinigten Königreichs“). Das Teleskop ist Eigentum des UK Science and Technology Facilities Council und wird von Mitarbeitern des Joint Astronomy Centre in Hilo auf Hawaii betrieben.

[5] Der FOcal Reducer and low dispersion Spectrograph (wörtlich "Brennweitenreduzierer und niedrigauflösender Spektrograf") ist das vielseitigste Instrument des Very Large Telescope. Die Kombination aus astronomischer Kamera und Spektrograf wurde gemeinsam von den Universitätssternwarten in Heidelberg, Göttingen und München und der ESO entwickelt und gebaut. Für die spektroskopischen Untersuchungen von ULAS J1120+0641 wurden außerdem der Gemini Multi-Object Spectrograph GMOS („Gemini Multiobjekt-Spektrograf“) und der Gemini Near-Infrared Spectrograph GNIRS („Gemini-Spektrograf für das nahe Infrarot“) verwendet. Zusätzlich kamen das Liverpool-Teleskop, das Isaac Newton Teleskop und das UK Infrared Telescope (UKIRT) verwendet, um die Messungen aus der Himmelsdurchmusterung zu bestätigen.

Zusatzinformationen

Die hier vorgestellten Forschungsergebnisse von Mortlock et al. erscheinen am 30. Juni 2011 unter dem Titel “A luminous quasar with a redshift of z = 7.085”, in der Fachzeitschrift Nature.

Die beteiligten Wissenschaftler sind Daniel J. Mortlock (Imperial College London, Großbritannien), Stephen J. Warren (Imperial), Bram P. Venemans (ESO, Garching), Mitesh Patel (Imperial), Paul C. Hewett (Institute of Astronomy [IoA], Cambridge, Großbritannien), Richard G. McMahon (IoA), Chris Simpson (Liverpool John Moores University, Großbritannien), Tom Theuns (Institute for Computational Cosmology, Durham, Großbritannien and Universiteit von Antwerpen, Belgien), Eduardo A. Gonzáles-Solares (IoA), Andy Adamson (Joint Astronomy Centre, Hilo, USA), Simon Dye (Centre for Astronomy and Particle Theory, Nottingham, Großbritannien), Nigel C. Hambly (Institute for Astronomy, Edinburgh, Großbritannien), Paul Hirst (Gemini Observatory, Hilo, USA), Mike J. Irwin (IoA), Ernst Kuiper (Sterrewacht Leiden, Niederlande), Andy Lawrence (Institute for Astronomy, Edinburgh, Großbritannien), Huub J. A. Röttgering (Sterrewacht Leiden, Niederlande).

Die Europäische Südsternwarte ESO (European Southern Observatory) ist die führende europäische Organisation für astronomische Forschung und das wissenschaftlich produktivste Observatorium der Welt. Getragen wird die Organisation durch ihre 15 Mitgliedsländer: Belgien, Brasilien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Italien, die Niederlande, Österreich, Portugal, Spanien, Schweden, die Schweiz, die Tschechische Republik und das Vereinigte Königreich. Die ESO ermöglicht astronomische Spitzenforschung, indem sie leistungsfähige bodengebundene Teleskope entwirft, konstruiert und betreibt. Auch bei der Förderung internationaler Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Astronomie spielt die Organisation eine maßgebliche Rolle. Die ESO betreibt drei weltweit einzigartige Beobachtungsstandorte in Nordchile: La Silla, Paranal und Chajnantor. Auf dem Paranal betreibt die ESO mit dem Very Large Telescope (VLT) das weltweit leistungsfähigste Observatorium für Beobachtungen im Bereich des sichtbaren Lichts und zwei Teleskope für Himmelsdurchmusterungen: VISTA, das größte Durchmusterungsteleskop der Welt, arbeitet im Infraroten, während das VLT Survey Telescope (VST) für Himmelsdurchmusterungen ausschließlich im sichtbaren Licht konzipiert ist. Die ESO ist der europäische Partner für den Aufbau des Antennenfelds ALMA, das größte astronomische Projekt überhaupt. Derzeit entwickelt die ESO ein Großteleskop der 40-Meter-Klasse für Beobachtungen im Bereich des sichtbaren und Infrarotlichts, das einmal das größte optische Teleskop der Welt werden wird, das European Extremely Large Telescope (E-ELT).

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