In den vergangenen Jahren sind Forscher den Ursachen von chronischen Schmerzen immer nähergekommen. Nun zeigt sich: Die Wurzel des Übels könnte bei Männern und Frauen verschieden sein.
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Schmerz ist ein wichtiges Warnsignal unseres Körpers. Wird er jedoch über eine Verletzung oder Krankheit hinaus zum Dauerzustand, entwickelt er sich schnell zu einer Qual für die Betroffenen. Manche Menschen reagieren dann mit der Zeit so sensibel auf Reize aus ihrer Umwelt, dass ihnen plötzlich auch Berührungen, die eigentlich völlig harmlos sind, große Pein bereiten. Forscher sind bereits seit Jahrzehnten auf der Suche nach Medikamenten und Therapien, mit denen sich solche chronischen Leiden wirkungsvoll in den Griff bekommen lassen.
Eine
Studie, die Wissenschaftler um Jeffrey Mogil von der McGill University in Montreal, Kanada, im Fachmagazin
Nature Neuroscience veröffentlichten, deutet nun allerdings darauf hin, dass das grundlegende Verständnis, das Forscher seit rund 15 Jahren von der Entstehung chronischer Schmerzen haben, falsch sein könnte. Bei Mäusen entdeckten sie erstmals, dass sich ein Teil der bisherigen Erkenntnisse offenbar nur auf männliche Tiere anwenden lässt. Weibliche Nager verarbeiten Schmerzen nämlich anders.
Mikrogliazellen stacheln Neurone anKonkret geht es in der Arbeit der kanadischen Wissenschaftler um die Rolle der so genannten
Mikrogliazellen, der Immunzellen des zentralen Nervensystems. Werden Nervenfasern im Zuge einer Verletzung geschädigt, senden die entsprechenden Nervenzellen Schmerzsignale ans Gehirn. Die Mikroglia, darauf deuteten in der Vergangenheit Tiermodelle hin,
nehmen dieses Notsignal auf und erhöhen über bestimmte Botenstoffe unter anderem die Erregbarkeit der Neurone und erleichtern ihnen so die Signalübertragung. Läuft dieses System aus dem Ruder, entsteht ein Teufelskreis, bei dem sich Neurone und Mikroglia gegenseitig anfeuern,
so dass schließlich Schmerzsignale ohne echten Auslöser zu Stande kommen.
Wie das Experiment von Mogil und seinen Kollegen zeigt, gilt das so aber nur für Männer - zumindest wenn man sich Mäuse anschaut. Die Forscher fügten ihren Tieren eine Nervenverletzung zu und injizierten ihnen nach der Chronifizierung der Beschwerden einen Wirkstoff, der die Aktivität der Mikroglia hemmt. Das linderte
im Einklang mit früheren Versuchen auch die Schmerzen der Nager, allerdings nur bei männlichen Tieren. Die Weibchen, die Mogil und sein Team ebenfalls testeten, profitierten nicht von dieser Behandlung, egal ob die Mikroglia stummgeschaltet oder sogar gleich ganz zerstört wurden.
T-Zellen und TestosteronBei den weiblichen Tieren scheint dagegen eine andere Art von Immunzellen, so genannte T-Zellen, für die Schmerzsensibilisierung verantwortlich zu sein. Wie genau die Zellen das bewerkstelligen, können die Forscher nicht sagen, wohl aber, dass die Präferenz für den Mikroglia-Signalweg etwas mit dem Hormon Testosteron zu tun zu haben scheint. Behandelten die Forscher ihre weiblichen Mäuse damit, wurden sie ebenfalls empfänglich für die Mikroglia-Therapie.
Dass dieser Umstand bisher noch niemandem aufgefallen ist, führen die Forscher darauf zurück, dass die meisten Versuche auf diesem Gebiet ausschließlich an männlichen Nagern durchgeführt wurden. Ihre Arbeit sei daher auch ein gutes Beispiel dafür, wie wichtig es ist, männliche und weibliche Tieren oder Zelllinien gleichermaßen in Laborexperimente miteinzuschließen, sagt Mogil.
Ob sich die Erkenntnisse zur Schmerzverarbeitung auch eins zu eins auf den Menschen übertragen lassen, ist noch unklar. Sie sollten uns aber zumindest für die Möglichkeit sensibilisieren,
dass auch bei uns für männliche und weibliche Patienten unterschiedliche Therapien vonnöten sein könnten. Das müssten Wissenschaftler nun vor allem im Auge behalten, wenn es um die Entwicklung neuer Medikamente geht, die eben bei jenen Immunzellen ansetzten, um chronische Schmerzen zu lindern, so die Forscher. Schon in der Vergangenheit
hatten Studien gezeigt, dass Männer und Frauen in puncto Schmerzen unterschiedlich ticken.
So spüren Frauen Pein etwa stärker und leiden auch häufiger unter chronischen Beschwerden.
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