Ein nächstes Erdbeben könnte eine Kettenreaktion sich entladender Spannungen auslösen
Erdbeben vom 25. April 2015 in Kathmandu
© Roger Bilham/ CIRESDas Erdbeben vom 25. April 2015 zerstörte Gebäude in Kathmandu.
Es ist noch nicht vorbei: Das Erdbeben von Nepal im April 2015 hat die Spannung im Untergrund des Himalaya kaum verringert. Stattdessen ist das Gestein südlich von Kathmandu, aber auch an anderen Stellen entlang der Plattengrenze noch immer verhakt. Die an diesen Stellen gespeicherte Spannung könnte sich bei einem nächsten Beben wie in einer Art Kettenreaktion entladen, warnen Forscher im Fachmagazin Nature Geoscience.

Als am 25. April 2015 ein Erdbeben der Magnitude 7,8 Nepal erschütterte, hatte dies gravierende Folgen. Tausende Menschen starben, die Stadt Kathmandu wurde weitgehend zerstört und sogar der Mount Everest verschob sich um einige Zentimeter.

Doch das war noch nicht alles: Schon kurz nach dem Beben warnten Geoforscher, dass damit nur ein Teil der Spannungen im Untergrund behoben waren. Denn ein großer Teil der Himalaya-Hauptverwerfung westlich des Beben-Epizentrums war beim Beben nicht aufgerissen und könnte daher noch immer verhakt sein und unter Spannung stehen.

Fehlendes Nachrutschen

Diese Warnungen bestätigen und präzisieren nun David Mencin von der University of Colorado in Boulder und seine Kollegen. Für ihre Studie hatten sie untersucht, warum nach dem Nepal-Beben das sonst typische "Nachrutschen" entlang der Verwerfung fast komplett ausblieb und sich der Riss im Untergrund nicht bis an die Oberfläche fortgesetzt hatte.

Normalerweise kann ein Fehlen dieses sogenannten "Afterslips" zwei Dinge bedeuten, wie die Forscher erklären: Entweder bewegt sich der Untergrund an diesem Teil der Plattengrenze so langsam, dass keine Erdstöße oder sichtbaren Risse auftreten oder aber der Untergrund bewegt sich gar nicht - weil das Gestein noch immer ineinander verhakt ist. Mittels GPS-Messungen und Radarinterferometrie überprüften die Forscher, welches Szenario in Nepal zutrifft.

Gespeicherte Spannungen

Ihr Ergebnis: Zwar gab es an der Verwerfung nördlich der Erdbebenzone rund 70 Millimeter des Nachrutschens, im Süden aber bewegte sich so gut wie nichts. "Unsere GPS-Messungen belegen, dass es keine aseismischen Verschiebungen in den sechs Monaten nach dem Erdbeben gab", so Mencin und seine Kollegen. "Weniger als 25 Millimeter des Nachrutschens ereigneten sich südlich der Erdbebenzone."

Das Problem: Nach Schätzungen der Forsch hat sich im verhakten Gestein dieser Verwerfung so viel Spannung angesammelt, wie es einer Verschiebung um 3,5 Metern entspricht. Das große Beben von Nepal, aber auch vorhergehende Starkbeben in der Region haben daher nicht alle Spannungen gelöst, die im Untergrund gespeichert sind. "Das hat Konsequenzen für künftige Erdbeben", so Mencin.

Drohende Kettenreaktion

Allerdings: Nach Angaben der Forscher besteht die Gefahr dabei nicht unbedingt darin, dass sich die Spannung südlich der alten Rissstelle von selbst in einem großen Erdbeben entladen könnte. Stattdessen liegt die Bedrohung in einer Art Kettenreaktion: Tritt anderswo entlang der Hauptverwerfung im Himalaya ein Erdbeben auf, könnte dieses das Mit-Aufreißen der ohnehin noch unter Spannung stehenden Zonen auslösen. Umgekehrt könnte die latente Spannung in Untergrund die Wahrscheinlichkeit für ein Starkbeben in einem benachbarten Gebiet erhöhen.

"Der gesamte Himalaya-Bogen enthält Dutzende von Spannungszentren, die nur darauf warten, sich durch künftige Starkbeben entladen zu können", sagt Mencin. Er und seine Kollegen sehen vor allen die Verwerfungen im Westen von Kathmandu als potenzielle Auslöser einer solchen Kettenreaktion.

(Nature Geoscience, 2016; doi: 10.1038/ngeo2734)