Forscher identifizieren neuronale Veränderungen im Trancezustand
Hirn im Ausnahmezustand: Forscher haben erstmals beobachtet, was im Gehirn bei Hypnose genau vor sich geht. Ihre Studie zeigt: Der Trancezustand offenbart sich durch drei typische Veränderungen in der Hirnaktivität. Das Wissen darüber, welche Regionen im Gehirn an einer erfolgreichen Hypnose beteiligt sind, eröffnet nun neue Ansätze für Therapien. Vor allem Menschen, die sich bislang nur schlecht hypnotisieren lassen, könnten davon profitieren.
Manche Menschen halten Hypnose für faule Zauberei - zu Unrecht, wie die Medizin heute weiß. Tatsächlich lassen sich mit dieser Methode psychische und körperliche Prozesse beeinflussen, die sonst nur schwer steuerbar sind. Studien belegen: Hypnose hilft Patienten mit Angststörungen,
lindert chronische Schmerzen und kann sogar die Schlafqualität
verbessern.
"Hypnose ist die älteste Form westlicher Psychotherapie", sagen Wissenschaftler um Heidi Jiang von der Northwestern University in Chicago. "Sie ist ein effektives Mittel, um die Art und Weise zu verändern, wie wir unser Gehirn benutzen - und kann damit unsere Wahrnehmung und unseren Körper kontrollieren." Doch obwohl das medizinische Potenzial der Methode immer mehr Anerkennung finde, wisse man nur wenig darüber, wie sie auf der physiologischen Ebene funktioniere. Das Forscherteam hat diese Wissenslücke nun geschlossen - und herausgefunden, was im Gehirn unter Hypnose passiert.
Gehirn unter BeobachtungFür ihre Studie akquirierten die Wissenschaftler 36 Probanden, die sich in Eignungstests als besonders gut hypnotisierbar erwiesen hatten, sowie 21 Teilnehmer, die sich nur sehr schwer in Trance versetzen ließen. "Diese Kontrollgruppe ist wichtig. Denn nur so können wir sicher sein, dass das, was wir sehen, tatsächlich auf die Hypnose zurückzuführen ist", erklären die Forscher.
Mithilfe der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) beobachtete das Team die Gehirnaktivität der Versuchsteilnehmer unter vier verschiedenen Bedingungen: während sich die Probanden ausruhten, während sie sich an etwas erinnern sollten und zweimal, während sie hypnotisiert wurden.
Veränderungen im TrancezustandTatsächlich konnten Jiang und ihre Kollegen dabei eindeutig bestimmte Hirnregionen identifizieren, die sich im Trancezustand verändern. So sinkt unter Hypnose zum einen die Aktivität im dorsalen anterioren Gyrus cinguli. Dieser Bereich gehört zum sogenannten Salienz-Netzwerk: Es entscheidet, wie stark wir auf bestimmte Reize reagieren und signalisiert damit, was besonders relevant ist. "Während der Hypnose ist man so versunken, dass man sich um nichts Anderes von außen kümmert", erklärt Mitautor David Spiegel von der Standford University.
Zweitens beobachtete das Team eine erhöhte Aktivität der Verbindung zwischen einem Teil des präfrontalen Kortex und der Inselrinde. Laut den Forschern hilft diese dem Gehirn dabei zu verarbeiten, was im Körper geschieht.
© Walter Reed National Military Medical CenterIn diesem fMRT-Bild zeigen rote Bereiche die im Default Mode Network aktiven Areale an.
Die dritte Veränderung passiert zwischen dem präfrontalen Kortex und dem sogenannten Default Mode Netzwerk, jenen Regionen, die beim Nichtstun aktiv sind und beim Lösen von Aufgaben deaktiviert werden. Die Verbindung zwischen diesen beiden Bereichen wird im Hypnosezustand schwächer.
Die Forscher glauben: Das zeigt an, dass die eigenen Aktionen und das Bewusstsein darüber nicht mehr verknüpft sind. Während der Hypnose führe dieser Zustand dazu, dass man sich in seinem Tun unbewusst von anderen leiten lasse. Interessanterweise beeinflusst auch regelmäßige
Meditation die Verknüpfungen im Default Mode Netzwerk, wie Studien belegen.
Chance für schwer hypnotisierbare Menschen?Diese neuen Erkenntnisse könnten künftig vor allem Patienten helfen, bei denen die Hypnose bislang nicht funktioniert. "Jetzt, wo wir wissen, welche Gehirnregionen an einem Trancezustand beteiligt sind, können wir die Effektivität einer Hypnose womöglich beeinflussen", sagt Spiegel. Die Idee: eine Therapie, die Hirnstimulation und Hypnose vereint. "Uns reizt der Ansatz, die Hypnosefähigkeit einer Person zu verbessern, indem wir gezielt bestimmte Bereiche in ihrem Gehirn stimulieren", so Spiegel.
Bislang gelten den Forschern zufolge nur rund zehn Prozent der Bevölkerung als außerordentlich gut hypnotisierbar, rund die Hälfte spricht mittelgut auf die Methode an. Die von dem Team erdachte Behandlung könnte unter Umständen auch den bislang nur schwer mit Hypnose therapierbaren Menschen helfen - und ihnen dadurch zum Beispiel starke Schmerzmedikamente ersparen. Bevor das möglich werde, sei aber noch mehr Forschung nötig, schließt das Team.
„Cerebral Cortex“, 2016; doi: 10.1093/cercor/bhw220, Stanford University Medical Center, 29.07.2016 - DAL
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