Verschwörungstheoretiker glauben, dass Regierungen die Menschen gezielt mit Giften aus Flugzeugabgasen unter Kontrolle halten. Nun haben seriöse Forscher die Chemtrail-These erstmals untersucht.
contrails chemtrails
© Mick West
Regierungen wollen ihre Bevölkerung kontrollieren, das Wetter steuern und auch die Zufuhr von Nahrung. Deshalb sprühen sie mit Flugzeugabgasen Chemikalien in die Luft. Das zumindest glauben manche Verschwörungstheoretiker. Chemtrails nennen sie deshalb die Kondensstreifen, die Flugzeuge hinter sich herziehen. Nun haben Forscher erstmals wissenschaftlich untersucht, was von der Theorie zu halten ist.

Christine Shearer von der University of California in Irvine legte dazu 77 Atmosphären-Forschern Daten vor, die Anhänger der Theorie als Beleg heranziehen. 49 Experten sollten das Aussehen verschiedener Kondensstreifen auf Fotos bewerten, 28 beschäftigten sich mit chemischen Analysen zur Zusammensetzung der Luft.

Denn als Beleg für die Chemtrail-Theorie gilt Anhängern unter anderem, dass sich Kondensstreifen mitunter lange am Himmel halten. Laut den Anhängern der These müssten diese viel schneller verschwinden, wenn sie denn wirklich nur Flugzeugabgase beinhalten würden. Zudem argumentieren Chemtrail-Gläubige, dass erhöhte Mengen Strontium, Barium und Aluminium etwa in Schnee- und Wasserproben darauf hindeuteten, dass die Bevölkerung systematisch vergiftet werde.
Wer hat die Studie bezahlt?

Die Studie ist in einer Kooperation der Carnegie Institution for Science in Stanford, der University of California in Irvine und der Non-Profit-Organisation "Near Zero" entstanden, die sich dafür einsetzt, umweltschädliche Abgase zu reduzieren.
Halten Kondensstreifen heute länger als zu Beginn des Fliegens?

"Die Untersuchung richtet sich vor allem an jene Menschen, die sich noch nicht entschieden haben, ob sie die Chemtrail-Theorie glauben sollen", schreiben die Forscher im Fachmagazin "Environmental Research Letters". Von den insgesamt 77 Experten hatte nach eigenen Angaben nur einer jemals einen Hinweis auf Chemtrails gefunden.

Unter den 49 Kondensstreifen-Experten bestätigten allerdings 18 (37 Prozent), dass Kondensstreifen sich heute länger am Himmel halten als zu Beginn der Flugzeugära. Das begründeten sie jedoch unter anderem damit, dass die Flugzeuge heute höher fliegen und modernere und größere Motoren haben. Diese geben mehr Wasserdampf in die Atmosphäre ab. 23 Experten (47 Prozent) stimmten der Grundbehauptung erst gar nicht zu, die restlichen acht gaben keine Antwort.


Kommentar: Oder es verändert sich unsere Atmosphäre, d.h. sie hat sich mehr abgekühlt.


Bei der Analyse der Abbildungen auf vier Kondensstreifen-Bildern (zu finden unter diesem Link), die Verschwörungstheoretiker als Beleg für ihre Theorie heranziehen, fanden die Forscher ebenfalls keine Indizien für die Chemtrail-Theorie.

Wie entstehen unterschiedlich dicke Kondensstreifen?

So zeigt beispielsweise das erste Bild drei Kondensstreifen, einen dicken langen und zwei dünnere und kürzere. Laut der Chemtrail-Theorie kommen die Unterschiede dadurch zustande, dass die Flugzeuge unterschiedlich lange und intensiv Chemikalien versprüht haben. Die befragten Forscher fanden andere Erklärungen.

Demnach könnte der dickere Streifen in einer Region mit größerer Luftfeuchtigkeit entstanden sein. Andere führten sein Erscheinungsbild darauf zurück, dass das Flugzeug in größerer Höhe unterwegs war. Zudem stammen die Kondensstreifen laut den Forschern wahrscheinlich von unterschiedlichen Flugzeugtypen mit verschieden effizienten Motoren.

Ungewöhnliche Bariumwerte in der Atmosphäre

Auch die befragten Atmosphärenchemiker kannten nach eigenen Angaben kaum Hinweise, die für Chemtrails sprechen. Lediglich ein Forscher berichtete, einmal in einer abgelegenen Gegend in der Atmosphäre auf ungewöhnlich hohe Bariumwerte gestoßen zu sein. Ein Beleg dafür, dass die Werte durch Chemtrails erhöht waren, ist das aber nicht.

Stattdessen zweifeln die Forscher grundlegend an der Vorgehensweise der Chemtrail-Theoretiker. Bei einer Onlineerklärung, wie man am besten Wasser- oder Schneeproben nimmt, um darin erhöhte Chemikalienwerte nachzuweisen, heißt es beispielsweise: Wichtig sei, immer auch etwas Sediment, also Ablagerungen vom Grund, mit aufzunehmen. "Sedimente sind natürlicherweise reich an Spurenmetallen. Die Konzentrationen darin verraten nichts über Belastungen des darüber liegenden Wassers", kommentiert ein Forscher.

Luftgehalte mit Wassergrenzwerten verglichen

Auch eine weitere Beobachtung lässt an den vermeintlichen Beweisen für Chemtrails zweifeln. So präsentierten die Forscher den Atmosphärenwissenschaftlern etwa die Analyse aus einer Luftprobe, die im Mai 2008 in Phoenix, Arizona genommen wurde (zu finden unter diesem Link). Darin wurde der Gehalt von Barium, Kupfer und Mangan gemessen. Die Auswertung der Chemtrail-Theoretiker legt nahe, dass die Werte für alle drei untersuchten Substanzen weit über den üblichen Grenzen liegen.

Ein Experte entlarvte die Einordnung der Verschwörungstheoretiker mit zwei Sätzen: "Die Werte gleichen denen von ganz normalem Boden- oder Wüstenstaub. Die angegebenen Grenzwerte sind nicht relevant und scheinen von Trinkwassergrenzwerten abgeleitet zu sein", schrieb er. Tatsächlich waren in der Analyse Trinkwassergrenzwerte als Referenz angegeben. Sie gehören zu den strengsten, die es überhaupt gibt, da Trinkwasser so gut wie keine Fremdstoffe enthalten darf.

"Veränderungen der Flugzeugtechnik könnten dazu geführt haben, dass Kondensstreifen länger am Himmel zu sehen sind, und die industrielle Entwicklung hat den Ausstoß von Partikeln in einigen Regionen befördert", schreiben die Forscher. Seinen Fokus auf ein groß angelegtes Chemie-Versprüh-Programm zu legen, könne demnach leicht ablenken von echten Problemen, die angegangen werden sollten.

Eine Schwäche hat die Studie allerdings: Da die befragten Experten wussten, worum es geht, haben sie möglicherweise erwünschte Antworten gegeben.

Zusammengefasst: Forscher haben Experten befragt, ob sie in Bildern von Kondensstreifen und chemischen Analysen Hinweise für Chemtrails finden. Die wissenschaftliche Basis für die Theorie ist demnach extrem dünn. Stattdessen führen Atmosphärenforscher die lange Haltbarkeit von Kondensstreifen darauf zurück, dass Flugzeuge heute höher fliegen und modernere und größere Motoren haben, die mehr Wasserdampf in die Atmosphäre geben. Bei chemischen Analysen von Luft- oder Wasserproben wiesen die Experten den Chemtrail-Theoretikern methodische Mängel nach.